Grundlagen der globalen Kommunikation. Kai Hafez. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Kai Hafez
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Социология
Год издания: 0
isbn: 9783846355510
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Publikums herrschen Interdependenzbeziehungen. Die Politik zum Beispiel agiert insofern als gesellschaftliches Supersystem (Gerhards/Neidhardt 1990, S.8f.), als es das Mediensystem rechtlich und politisch reguliert und kontrolliert, wobei allerdings auch die Politik von ihrer Darstellung in den Medien abhängig ist. Die Wirtschaft ist in einer Doppelrolle, da sie einerseits über die Besitzverhältnisse Teil des inneren Mediensystems ist, zugleich jedoch dem Mediensystem, ähnlich wie das zahlende Publikum, ökonomische Ressourcen zuführt, etwa über Werbeeinnahmen. Die Beziehungen des Mediensystems zu seinen Umwelten sind nicht zuletzt abhängig vom Charakter des jeweiligen politischen Systems und sind in einem freiheitlichen System (Demokratie) am besten durch ein Fließgleichgewicht von Autonomie und Anpassung zu beschreiben. Das Mediensystem erbringt eine eigenständige (kritische) Beobachtungsleistung für die Gesellschaft, ist zugleich aber Einflüssen seiner Umwelten ausgesetzt, die seine Autonomie einschränken (Kunczik 1984, Marcinkowski 1993, Hafez 2002a, Bd.1, S.123ff.).

      Während im nationalstaatlichen Rahmen auf diese Art integrierte Mediensysteme entstehen, existiert ein globales Mediensystem (bisher) nicht. Die allermeisten Massenmedien dieser Welt sind auf nationale oder noch kleinere lokale Publika ausgerichtet und sprachlich eingeschränkt. Dies gilt auch für die globale Massenkommunikation, wo diese als „Auslandsberichterstattung“ Teil der nationalen Mediensysteme ist, da hier nationale Medien die Welt für nationale Publika aufbereiten. Nationale Auslandsberichterstattung, bei der nationale Heimatredaktionen mit Hilfe von Auslandskorrespondenten und -korrespondentinnen und den ihnen zur Verfügung gestellten Informationen von Nachrichtenagenturen Auslandsnachrichten produzieren, ist noch immer die dominante Form des globalen Journalismus und der Mediennutzung (siehe unten). Die Synchronisation der „Weltöffentlichkeit“ wird also grundlegend von „egozentrischen“, das heißt dezentralen nationalen Mediensystemen geleistet. Mediensysteme – und dies hängt eng mit ihrem Hang zur diskursiven statt zur interaktiven Kommunikation zusammen – sind tendenziell egozentrischer als politische oder wirtschaftliche Systeme. Organisierte Sozialsysteme haben, wie wir noch sehen werden, einen Teil ihrer Souveränität zugunsten transnationaler Diplomatieräume, globaler Governance-Strukturen und transnationaler Produktions- und Eigentumsverhältnisse aufgegeben.

      Auch dort, wo Rezipienten und Rezipientinnen (auf der Makroebene) über technische Wege wie etwa den direktempfangbaren Satellitenrundfunk Grenzen überschreiten und die Medien anderer Länder nutzen, haben sich zwar die Medienräume des Publikums über Staatsgrenzen hinaus ausgedehnt. Die politische Regulierung wird aber – ungeachtet gewisser grenzüberschreitender medienpolitischer Bestrebungen und politischer PR, die über Nachrichtenagenturen weltweit verbreitet wird – weiterhin vom jeweiligen Nationalstaat ausgeführt, nicht aber von einem transnationalen Staat, den es ja lediglich in Ansätzen etwa im Rahmen der Europäischen Union gibt. Auch auf der Mesoebene können Medien durch Im-/Export Austauschbeziehungen pflegen, es kann internationale Leitmedien (wie die New York Times) geben und es können sogar, wie im Cross-Border-Journalismus, grenzüberschreitende Gemeinschaftsprojekte durchgeführt werden. Aber auch hier bleiben die regulierenden Umweltsysteme stets national geprägt. Auf der theoretischen Mikroebene können Journalisten und Journalistinnen sich an universellen Ethiken und Professionsverständnissen, einschließlich ästhetischer und stilistischer Standards, orientieren (siehe unten) – sie bleiben dennoch Angestellte im rechtlichen Rahmen eines bestimmten Nationalstaats.

      Die lokale Restbindung bei allen Formen der globalen Massenkommunikation ist prinzipiell auch bei Medien vorhanden, die sich programmatisch als „globale Medien“ verstehen und die vielfach als Ausweis eines transnationalen Mediensystems betrachtet werden – es aber letztlich nicht sind. Die Fernsehsender CNN, Al-Jazeera English oder BBC World News agieren beispielsweise weltweit, sind aber politisch an ihre Heimatsysteme gebunden. Noch deutlicher wird dies beim sogenannten „Auslandsrundfunk“, also von Staaten etablierten Medien, die in verschiedenen Sprachen senden (z.B. Deutsche Welle, Voice of America, RT, BBC World Service) und die ihren politischen Auftrag als Teil der Public Diplomacy ihrer Heimatländer nicht leugnen können. Ein globales Mediensystem, das nicht in der einen oder anderen Weise an bestimmte Nationalstaaten gebunden wäre, bleibt auch im 21.Jahrhundert weitgehend eine Utopie (Hafez 2005, S.25).

      Um den Grundaufbau globaler Massenkommunikation zu verstehen, ist es daher sinnvoll, drei verschiedene Dimensionen zu unterscheiden (Abbildung 2.1). Globale Massenkommunikation ist kein geschlossenes globales System, sondern es besteht aus:

       nationalen Mediensystemen (v.a. Auslandsberichterstattung),

       die sich internationaler Kommunikationsflüsse bedienen (z.B. durch Nachrichtenagenturen, Auslandskorrespondenten, Im-/Exporte) und

       die durch einzelne transnationale Medienstrukturen (globale Ethiken, gemeinsame Produktionen, grenzüberschreitende Rezeptionen und Regulationen) ergänzt werden.

      Globale Kommunikationsflüsse bilden kein globales Mediensystem aus, sondern die lokalen/nationalen Systeme bleiben intakt, sind aber globalen Einflüssen ausgesetzt und bilden zusätzlich transnationale Netzwerkstrukturen aus.

      Abb. 2.1:

      Dimensionen der globalen Massenkommunikation

      Als Leitsatz lässt sich formulieren, dass die nationalstaatliche Systemprägung der Massenmedien und des Journalismus auf allen Ebenen noch immer stärker ist als die globale (Hafez 2002a, Bd.1, S.134ff.). Es dominieren in aller Regel nationale Ethiken und Sozialisationen des Journalismus (Mikroebene), nationale Organisationsformen und Besitzverhältnisse (Mesoebene) und nationale Publika und Umwelteinflüsse (Makroebene). Die Globalisierung ist im Bereich der Massenmedien zumeist strukturschwach geblieben und von einem grenzüberschreitenden Zusammenwachsen der Mediensysteme kann generell nicht die Rede sein.

      Zugleich können sowohl die internationalen Kommunikationsflüsse als auch die transnationalen Teilstrukturen durchaus dynamisch sein. Ob sich national geprägte Systeme oder global beeinflusste Prozesse stärker auf den Mediendiskurs auswirken, ist nach unserem theoretischen Grundmodell des System-Lebenswelt-Netzwerk-Ansatzes nicht ohne empirische Prüfung nachweisbar. Zudem ist es zwar unwahrscheinlich, dass der Primat nationaler Mediensysteme beendet wird, bevor sich der Nationalstaat weltweit auflöst, was derzeit nicht zu erwarten ist. Dennoch ist selbst ein Systemwandel im Feld der Massenmedien in der Zukunft nicht ausgeschlossen.

      Erste Anzeichen hierfür zeigten sich in der Debatte über die „Neue Weltinformationsordnung“ an der Wende zu den 1980er Jahren. Hier wurde der dominante Informationsdruck beklagt, den vor allem die großen westlichen Nachrichtenagenturen sowie die Musik- und Filmindustrien auf den Rest der Welt ausüben (Many Voices – One World 1980). Zwischen diesem vor allem durch die Supermacht USA geprägten Einfluss und den „subalternen Gegenflüssen“ (Contra Flows) durch die Länder Asiens, Afrikas und Lateinamerikas besteht bis heute ein erhebliches Gefälle (Thussu 2010, S.222f., 234). Angesichts der ungleichen kulturellen Machtverhältnisse von einer „multi-zentrierten“ (multi-centered) Globalisierung zu sprechen (Butsch 2019, S.214ff.), scheint daher verfrüht. Die starke weltweite Präsenz vor allem westlicher Kommunikate ist kein Widerspruch zur Nichtexistenz eines globalen Mediensystems, sondern verweist auf die möglicherweise zunehmende Wirkung internationaler Systemumwelten, die zwar nicht als organisierte Umweltsysteme mit formaler politischer und rechtlicher Regulationsmacht in Erscheinung treten (siehe unten), aber die Informationsumwelt nationaler Mediensysteme prägen. Die noch immer vorhandene Dominanz nationaler Systeme, aber auch die internationalen Kommunikationsflüsse und transnationalen Teilstrukturen der globalen Massenkommunikation sollen im Fortgang des Kapitels auf allen Ebenen – von der Professionsethik, der medialen Produktion und Rezeption bis zu politischen und wirtschaftlichen Umweltfaktoren der Mediensysteme – erörtert werden.

      (Trans-)Nationale Medienethik und Professionalismus

      Professioneller Journalismus lässt sich durch Wertebezüge von Journalisten, Medien und journalistischen Standesvertretern (wie Presseräten) beschreiben, die das Medienhandeln beeinflussen. Diese Werte sind sowohl in der formalen Ethik (Ethikkodizes) wie auch in informellen Praktiken der Medienschaffenden nachweisbar. Vergleichende Länderstudien lassen Ähnlichkeiten wie auch Unterschiede zwischen