Als wir ins Hotel zurückkamen, war Tina ziemlich müde und fiel wie ein Stein ins Bett.
Ich blätterte noch die Zeitungen durch. Eine nach der anderen durchforstete ich nach dem Namen Snegow. Ich fand ihn nicht. Nur im Kurier stand eine kleine Meldung, aber ohne Namensnennung. Es war einfach nur von einem russischen Wissenschaftler die Rede.
Schlauer war ich jetzt auch nicht.
Ich sah zu Tina hinüber.
Sie schlief schon richtig tief und fest. Eigentlich war ich müde, aber ich hatte das Gefühl, jetzt unmöglich schlafen zu können. Da war einfach zu viel, was sich mir im Kopf herumdrehte.
Ich stand auf, öffnete die Hebetür und trat auf den kleinen Balkon hinaus, der zu unserem Zimmer gehörte. Es war eine laue Nacht. Eine der ersten lauen Nächte dieses Jahres.
Unser Zimmer war im siebten oder achten Stock. Ich sah hinab auf das Gewimmel. Von der Straße kam ein beständiges Rauschen, fast wie bei einer Meeresbrandung. Mein Blick glitt über die Lichtergalaxie der Stadt und ich dachte an alles Mögliche. Es herrschte ein großes Durcheinander in meinem Kopf. Ich dachte an den grauen Mann, an das Bankkonto in Zürich, auf das in nächster Zeit hunderttausend eingezahlt würden, ich dachte eine Sekunde lang an Erikson und an die Firma Kreuzpaintner, derentwegen ich in Wien war.
Und ich dachte an Tina.
Was wurde mit ihr, wenn ich den Job erledigt hatte?
Ich hatte noch noch nicht genügend darüber nachgedacht, wurde mir klar.
Was sollte ich ihr dann sagen?
Einfach von der Bildfläche verschwinden? Auf Nimmerwiedersehen? Es wäre das Einfachste gewesen. Und vermutlich auch das Sicherste. Aber ich wollte das eigentlich nicht, nicht wenn es sich vermeiden ließ jedenfalls. Ich wollte sie mit mir nehmen, so fern das möglich war. Und das hing von ihr ab. Und ein bisschen auch von mir. Von meinem Geschick, sie zu belügen, um genau zu sein, denn die Wahrheit konnte ich ihr nicht zumuten. Sie hätte sie nicht verstanden.
Aber im Lügen hatte ich ja ein bisschen Übung, warum sollte ich mir da also Sorgen machen?
11
Der Kerl, der uns am nächsten Morgen das Frühstück servierte, war fast zwei Meter groß, dafür aber ziemlich schmal. Er sah aus wie eine Vogelscheuche und schien noch nicht lange in seinem Job zu arbeiten, denn er brauchte insgesamt fünf Wege, um uns das Frühstück vollständig an den Tisch zu bringen. Schließlich hatten wir dann aber doch alles. Der Kaffee war allerdings nur noch lauwarm, als wir unser Drei-Minuten-Ei bekamen.
"Schade", meinte Tina irgendwann, während des Frühstücks. "Wenn in Jugoslawien jetzt nicht gekämpft würde, könnten wir noch ein bisschen weiter südlich fahren und uns an der Adria ein paar Tage in die Sonne legen. Müsste eigentlich schon warm genug sein."
"Ja", meinte ich abwesend. "Scheiß Bürgerkrieg." Es gab auch Leute, die fuhren extra deswegen hin, um mal ein bisschen Krieg zu erleben. Ich gehörte nicht dazu. In dieser Hinsicht hatte ich meine Portion Abenteuer intus und war für die nächsten hundert Jahre gesättigt.
"Aber wir könnten noch nach Italien runter!", schlug sie dann vor.
"Wir sind doch gerade erst in Wien!"
"Venedig. Was hältst du davon? Ich rufe zu Hause bei meinem Chef und frage ihn, ob das in Ordnung geht."
Ich schüttelte den Kopf.
"Tut mir leid, aber das geht nicht."
"Warum nicht?"
"Hab zu tun!"
"Was denn?"
"Ich habe zu tun, das reicht doch wohl, oder? Ein andernmal können wir gerne nach Venedig fahren. Wirklich. Aber nicht jetzt."
Sie zuckte die Achseln.
"War ja nur ein Vorschlag."
"Ich weiß."
Ich versuchte zu lächeln, aber das Ergebnis war wohl nicht so besonders.
Sie sah mich an. Und zwar auf ganz besondere Weise, wie sie es nur sehr selten tat. "Ich weiß eigentlich sehr wenig über dich", meinte sie dann in einem ziemlich nachdenklichen Tonfall.
"Wirklich?"
"Ich meine, über deine Vergangenheit. Über das, was du gewesen bist, bevor wir uns kennengelernt haben."
"Ich bin immer derselbe gewesen."
"Du gibst darüber nicht gerne Auskunft, nicht wahr?"
"Wie kommst du darauf?"
"Weil du mir bei solchen Fragen bislang immer geschickt ausgewichen bist." Sie hob etwas die Schultern. Dann strich sie sich mit einer unnachahmlichen Bewegung eine Strähne aus der Stirn, die sich aus ihrer Frisur herausgemogelt hatte. "Ist doch wahr, oder?"
Ich zuckte die Achseln.
"So interessant ist mein Leben nun auch wieder nicht."
"Ich finde schon."
"So?"
"Ich liebe dich. Deshalb interessiert es mich."
Ich blickte auf, ihr direkt in die grüngrauen Augen. "Was zählt, ist die Gegenwart", sagte ich dann ohne besonders große Überzeugungskraft.
"Findest du?"
"Finde ich."
Sie ließ nicht locker. Heute nicht. Sie machte einen weiteren Anlauf.
"Du warst bei der Fremdenlegion."
"Richtig."
"Warum?"
"Aus Dummheit."
"Das kann doch nicht alles gewesen sein!"
"Enttäuscht?"
"Nein."
"Nein?"
"Ich glaube dir nämlich kein Wort."
Ich trank meinen lauwarmen Kaffee aus, ehe er ganz kalt war und köpfte dann mein Ei.
"Warst du auch im Golfkrieg dabei?", fragte Tina dann.
Ich lachte heiser.