Jeder Mensch braucht deshalb Stressstabilität und mentale Stärke. Und nun gehe ich einen kleinen Schritt weiter: Wenn wir lernen, die Kraft unserer Gedanken zielgerichtet einzusetzen, können wir damit unseren Stoffwechsel, unser Wohlbefinden, unsere Leistungsfähigkeit beeinflussen. Wir erwerben mentale Intelligenz. Das Erlernen von Fremdsprachen und der Aufbau digitaler Kompetenz ist an Schulen inzwischen Normalität. Die Engpässe aus früherer Zeit sind überwunden. Solange mentale Intelligenz noch nicht auf dem Lehrplan steht, muss jeder von uns, auch die Unternehmen, in diese Kompetenzen investieren. Immer mehr Firmen nutzen Programme zu Gesundheitsförderung, gesunder Führung, Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen, barrierefreiem Coaching etc. Und das ist auch gut so. Noch besser wird es sein, wenn diese Programme auch gerade in herausfordernden Zeiten nicht eingespart werden, sondern weiterhin auf der Agenda bleiben.
Es ist also wieder ein Umdenken erforderlich. Dieses Mal im Hinblick auf die persönlichen Talente, die dazu beitragen, dass die Menschen in der zunehmenden Komplexität und Dynamik ihren persönlichen Kurs finden und halten. Ständig geht es um die Verarbeitung von Veränderungen in der Welt, die uns umgibt. Wir brauchen die Kraft und Stabilität in uns, damit wir uns immer wieder neu justieren und unsere Ziele priorisieren. Mit mentaler Intelligenz halten wir einen wesentlichen Schlüssel dafür in Händen.
1.3 Mentale Gesundheit, was ist das?
Wenn wir hier so viel »Mentales« betrachten, wenden wir uns doch auch kurz der mentalen Gesundheit zu. Was bedeutet das konkret? Wir sprechen über mentale oder psychische Gesundheit und meinen damit letztlich das persönliche Wohlbefinden. Dazu gehört auch, dass berufliche, private und persönliche Lebensbereiche gut sortiert und ausbalanciert sind. Das ist bei vielen nicht immer stimmig. So spreche ich immer wieder mit Menschen, die alles für ihr berufliches Weiterkommen geben. Zusätzlich steht die Familie ganz oben auf der Prioritätenliste. Bedürfnisse, die nur für sie persönlich wichtig sind, wie zum Beispiel gemütlich ein Buch zu lesen oder Sport zu machen, werden nicht wahrgenommen oder zurückgestellt und irgendwann aufgegeben. Wir brauchen den Dreiklang. Kennzeichen von Wohlbefinden ist auch, die Balance der Lebensbereiche zu halten oder sie nach einer Schieflage schnell wieder auszubalancieren.
Der Neurobiologe Gerald Hüther beschreibt Wohlbefinden1 in etwa so: Wir wachen morgens fröhlich auf und freuen uns auf den Tag, der vor uns liegt. In Gedanken gehen wir positiv gespannt die anstehenden Themen des Tages durch. Wir fühlen uns aufgehoben in einem System von Menschen, die wir lieben und mögen, von denen wir auch geliebt werden. Wir nehmen diese Stimmung mit in den Tag, lösen knifflige Fragestellungen, haben positive Gespräche und kommen abends mit der Gewissheit nach Hause, etwas geschafft zu haben.
Wohlbefinden ist also für ein produktives Leben und die persönliche Entwicklung unverzichtbar. Wohlbefinden …
ist eine sichere Grundlage, um Unglück oder Krisen zu überwinden.
liefert positive Lebenskraft und Selbstwertgefühl.
ist weit mehr als die Abwesenheit von psychischen Störungen oder Erkrankungen.
Natürlich fühlen wir uns an manchen Tagen wohler als an anderen. Mentale Gesundheit bedeutet, die Möglichkeiten, unser Wohlbefinden wiederherzustellen, zu kennen und zu nutzen: sei es, wieder einmal mit Freunden einen gemütlichen Abend zu verbringen, sich körperlich auszutoben, einen langen Spaziergang an der frischen Luft zu genießen oder sich mental auf eine Wolke zu beamen, um die aktuelle Situation von oben zu betrachten.
Mentale Gesundheit ist also ein Bestandteil der allgemeinen Gesundheit und zeichnet sich durch Wohlbefinden aus. Ein durchaus erstrebenswerter Zustand, finden Sie nicht auch? Die vielen Mosaiksteine, die zu unserem ganz persönlichen Gesamtbild »mein Wohlbefinden« beitragen, können wir justieren. Ein wesentliches Werkzeug dafür ist die mentale Intelligenz.
1.4 Ein Blick in den Profisport
Eines ist klar: Der Kopf beeinflusst alles. Dazu gibt es genügend wissenschaftliche Belege. Immer mehr Athleten und Trainer sagen: Wettkämpfe oder Spiele werden im Kopf entschieden. Und da scheint etwas dran zu sein, denn wir wissen: Tennisspieler, Fußballspieler und Golfer tun es, aber auch Triathleten, Judokas, Läufer, Schwimmer, alle. Neben körperlicher Fitness und brillanter Technik bauen sie mentale Stärke auf und unterstützen so ihren sportlichen Erfolg mit der Kraft ihrer Gedanken.
Besonders in kritischen Situationen kann mentale Intelligenz das Zünglein an der Waage sein. Denken Sie an eine Sprintstrecke, da trennen den Sieger Bruchteile von Sekunden vom zweiten und dritten Platz. Wer da nicht voll im Fokus und im echten Flow ist, findet sich auf den hinteren Plätzen wieder. Jan Frodeno, Weltmeister im Triathlon, trainiert nicht nur mit seinem Fahrrad im Windkanal, sondern nutzt alle Register mentaler Prozesse, auch den inneren Dialog2, um erfolgreich ans Ziel zu kommen. Der Kickboxer Michael Smolik3, ebenfalls Weltmeister, hat festgestellt, dass er erfolgreicher ist, wenn er regelmäßig meditiert und sich kurz vor dem Wettkampf sein Erfolgsbild vor Augen führt.
Die Bedeutung von Selbstgesprächen zeigen verschiedene Studien aus dem Leistungssport. Verglichen wurden Turner, die die Qualifikation zur Teilnahme an den Olympischen Spielen erreicht hatten, mit denjenigen, die sich nicht qualifiziert hatten. Qualifizierte Sportler konnten sich vollständig auf die Situationen konzentrieren, während Nicht-Qualifizierte über tragische Konsequenzen von Fehlern nachdachten und von Selbstzweifeln sowie Versagensängsten geplagt waren. Darüber hinaus haben andere Studien zum Beispiel bei Schlittschuhläufern gezeigt, dass die für die Sportler besonders schwierigen Sprünge auf dem Eis regelmäßig durch Gedanken eingeleitet wurden, die Sorgen und Ängste wegen des nun kommenden schwierigen Sprungs zum Ausdruck brachten. Das Scheitern eines Sprungs wurde somit durch das vorher stattfindende Selbstgespräch eingeleitet. Deshalb taucht in diesem Zusammenhang der Begriff der »sich selbst erfüllenden Prophezeiung« auf. Je schwieriger die Situation, desto lauter und dramatischer ist das Selbstgespräch – inklusive schimpfen und fluchen. Das können Sie auch manchmal im Tennis beobachten. Wie man sich mental umprogrammieren kann, zeigen die Tennis-Profis. Nach einer kurzen Pause fokussieren sie sich wieder, bleiben ruhig und spielen plötzlich »wie ausgewechselt«.
Wenn Sie selbst regelmäßig Sport treiben, wissen Sie, wie die Qualität Ihrer Gedanken Einfluss auf Ihre Leistung nimmt. Wenn Sie beim Joggen daran zweifeln, auch die Anhöhe leicht zu schaffen, wird es deutlich anstrengender. Häufig schalten Sie dann auch noch vorsorglich einen Gang zurück. Wenn Sie sich selbst Mut und Kraft zusprechen, schaffen Sie auch die letzten Kilometer in guter Zeit.
Vielleicht haben Sie auch schon einmal beobachtet, dass ein Skilangläufer kurz vor dem Ziel langsamer wird. Das ist eigentlich unlogisch, denn körperlich würde er die letzten Meter genauso durchhalten wie die lange Strecke davor. Wenn man den Skilangläufer nachher fragt, was sein Ziel für diese Strecke war, kommt meist die Antwort, »die vorderen Ränge zu erreichen«. Das ist ein Beispiel für ein unklares Ziel. Wenn sich jemand auf dem Siegertreppchen stehen sieht, wird er die letzten Kräfte mobilisieren, um dies zu erreichen.
Jeder Sportler hat seine besonderen Rituale. Stellen Sie sich einen Wettkampf auf Zeit vor, zum Beispiel einen Skiabfahrtslauf. Bevor das Startzeichen kommt, gibt es bestimmte Phasen. In den letzten drei Minuten vor dem Start fährt jemand gedanklich die Strecke ab, ein anderer stellt sich sein bestes Abfahrtsrennen vor. In der letzten Minute vor dem Start macht einer eine bestimmte Atemübung, ein anderer bekommt noch mal Zuspruch vom Trainer. In den Sekunden vor dem Startzeichen stellt sich der Athlet sein Erfolgsbild, also sich selbst auf dem Siegertreppchen, vor.
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