Tatort Rosenheim. Heinz von Wilk. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Heinz von Wilk
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Триллеры
Год издания: 0
isbn: 9783734994920
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… eine Allergie bekommen hat. Eine Briefmarkenallergie, genau genommen. Wegen dem Kleber, der da hinten drauf ist. Und er hat’s mit dem Kreislauf. Schon immer. Wenn die Briefe alle so schnell an einem vorbeiflitzen, auf dem Band da, und man muss die dann irgendwie rumsortieren, da leidet auch der Kreislauf. Ja, und jetzt wohnt er hier bei mir und hilft seinem alten Tantchen ein bisschen beim Leben, gell, Bub?«

      Sie stellte die Schüssel ab und klopfte dem Max auf den Hinterkopf: »Jetzt hör schon mit deiner blöden Fragerei auf.«

      Friedl lächelte den Manfred an: »So war er schon als kleiner Bub. Immer neugierig, immer am Fragen.« Und zum Max: »Den Manfred lassen wir jetzt in aller Ruhe essen, dann überlegen wir mal, wo er hier schlafen kann, gell?«

      Manfred hob abwehrend die Hände: »Nein, nein, mach dir keine Umstände, Friedl, ich such mir eine Pension. Gleich nach dem Essen zieh ich los.«

      Max sagte: »Wo ist denn dein Gepäck?«

      Friedl zischte: »Fängst du schon wieder an? Wo bleibt denn deine Erziehung, Bub? Verdammt noch mal, jetzt! Man könnte meinen, du bist per Anhalter durch die gute Kinderstube gehuscht.«

      Manfred schüttelte den Kopf: »Lass sein, Friedl, ist ja gut.« Und zu Max: »Ich habe nur die kleine Tasche dabei, die im Flur steht. Der Rest ist noch unterwegs und wird mir nachgeschickt. Vielleicht suche ich mir hier in Rosenheim eine Wohnung. Das, was ich von eurer Dachterrasse aus von der Stadt gesehen habe, gefällt mir schon mal sehr gut. Lasst uns jetzt essen, ich sterbe vor Hunger.«

      »Genau, gib mir mal deinen Teller rüber, mein lieber Manfred!« Friedl zwang sich ein Lächeln ab und schaute den Max dabei strafend an.

      Der zuckte mit den Schultern und hielt auch seinen Teller über den Tisch. Die dicken goldbraunen Pfannkuchenstreifen glitten auf die schneeweißen, mit Ornamenten verzierten Porzellanteller, und die klare Brühe verbreitete einen verführerisch guten Duft.

      Schweigend löffelten die Friedl und der Max vor sich hin, jeder hatte schon ein bisschen gegessen, als sie bemerkten, dass der Manfred seinen Teller anstarrte.

      Die Hände hielt er übereinandergefaltet, nicht wie beim Gebet, sondern … na ja, anders halt.

      Friedl räusperte sich: »Betest du?«

      Manfred schreckte hoch und lächelte: »Was? Nein. Ich war ja auch einige Zeit in Japan unterwegs. Und dort entschuldigen sich die Menschen bei ihrem Essen, bevor sie es verspeisen. Das da ist eine wunderbare Hühnersuppe, das rieche ich.«

      »Aha, und Hühner sind religiös, oder?« Max deutete mit seinem Löffel auf den Teller.

      »Könnte sein, ja. Wenn ich so nachdenke, warum nicht? Für so ein Huhn ist der liebe Gott vielleicht … ein uralter, weiser Hahn, der Eier legen kann. Weil er ein Hühnergott ist. Und sein erstgeborener Sohn ist in der Hühnerreligion ein ganz besonderes Ei, das nicht ausgebrütet oder verzehrt werden darf. Mahlzeit.«

      Der Manfred schaufelte andächtig einen mit Pfannkuchen beladenen Löffel in den Mund, bekleckerte sich das Hemd und wischte es mit der Krawatte ab. »Da braucht ihr mich gar nicht so anzuschauen. Kann ja durchaus sein, dass es so ist. Schafe verehren bestimmt was anderes als ein Huhn. Und so weiter und so fort.«

      Jetzt denkst du sicher, ja, spinnt denn der? Denn genau das dachte sich der Max. Um das Gespräch aber wieder auf einen einigermaßen sicheren Boden zu steuern, nickte er und sagte: »Erzähl doch mal was von der Kreuzfahrt. Die Friedl ist da erstaunlich wortkarg.«

      Manfred hob sein Glas, prostete ihr zu und meinte: »Das war irgendwie wie ein Blitz. Wir saßen im gleichen Tenderboot bei dem Ausflug zu den blauen Grotten. Die ersten Tage auf dem Schiff war ich fast nur in meiner Kabine, weil ich niemanden sehen wollte. Zum Frühstück ging ich immer ganz früh, hab mir was für den Tag mitgenommen, und abends oder, besser gesagt, nachts bin ich zum Mitternachtsbuffet, da waren immer nur ganz wenige von den Passagieren.«

      »Aber so ein Kreuzfahrtschiff ist doch viel in Häfen, oder?«

      Die Friedl klopfte dem Max mit ihrem Löffel auf den Handrücken: »Unterbrich ihn nicht, Bub. Jetzt kommt der schöne Teil.«

      Manfred schluckte seine Pfannkuchenstreifen runter: »Die beiden Landgänge, die wir hatten, da hab ich immer gewartet, bis alle von Bord waren, dann bin ich auch runter vom Schiff. Und ich war immer einer der ersten Passagiere, die zurückkamen. So, und dann war dieser Tag, da wurde getendert. Mit den großen Rettungsbooten bringen sie da die Passagiere zum Ausflug in die blaue Grotte, weil kein Hafen in der Nähe ist. Ich bin als Letzter in das letzte Boot gestiegen und hab mich auf den letzten freien Platz gesetzt. Und neben mir: die Friedl. Kennst du das, wenn dich plötzlich was anspringt wie ein Raubtier, und du vergisst zu atmen?«

      Max schaute ungläubig hoch: »Sie hat dich angesprungen? Im Boot? Vor allen Leuten? Wow.«

      Friedl zischte, und Manfred hob die Hand: »Ich meinte das jetzt philosophisch. Der Funke, die Kraft, die Liebe, die von ihr ausgingen. Wir haben uns unterhalten und es war so, als ob wir uns schon ewig lange kennen würden. Seelenverwandt, verstehst?«

      Der Max schüttelte den Kopf: »Nein. Echt nicht.«

      »Auch gut. So ein Glück hat auch nicht ein jeder. Auf jeden Fall war es ein wundervoller Nachmittag. Abends haben wir auf Deck gegessen und der Sonne nachgeschaut, wie sie im Meer verschwunden ist. Dann sind wir in meine Kabine gegangen. Dort habe ich der Friedl auf meinem alten Rekorder eine Kassette von Grieg vorgespielt. Auf meinem Privatbalkon, bei Kerzenschein und mit einer Flasche Brunello.«

      Friedl kicherte wie ein kleines Mädchen: »Dann hat er mich geküsst, ich bin gegen den Rekorder gestoßen und hab ihn vom Tisch gefegt. Die Kassette fing an zu eiern und wir hatten Bandsalat. Ich habe mit einer Nagelfeile das Band wieder zurückgedreht, und dann hatten wir eine tolle Nacht. Eine von vielen tollen Nächten.«

      Sie langte über den Tisch, nahm Manfreds Hand und drückte sie. Max verschluckte sich an einem Pfannkuchenstück, löffelte schnell seinen Teller leer und sagt hustend: »Ich brauch mal einen Happen frische Luft. Wenn ihr mich sucht, ich bin auf der Terrasse.«

      Friedl rief ihm nach: »Ist gut, Bub, die Kalbsvögel sind eh noch nicht ganz fertig! Dauert noch vielleicht zehn Minuten.« Und zu Manfred: »Hilfst du mir, die Teller rüberzubringen?«

      Kannst du dir vorstellen, wie der Auer Max auf der Dachterrasse steht, sich am Geländer festklammert und denkt, ja, bin ich jetzt auf dem falschen Planeten oder was? Und wie er vor sich hin starrt, über die Lichter von Rosenheim, da kommt der Manfred, leicht verlegen, und stellt sich neben ihn: »Sie ruft uns, wenn es weitergeht.«

      Die Temperatur war gefallen und der Himmel nahm das makellose dunkle Blau an, das nur der Mond einer klaren Nacht geben kann. Wie ein orangefarbener Riesenkürbis stieg er über der Alpenkette auf. Der leichte Wind brachte den Geruch von verbranntem Benzin mit, und von der Wohnung unter ihnen drangen dünne Geruchsschwaden von gegrilltem Fleisch und Gemüse an ihre Nasen.

      Manfred hob weder den Blick noch sah er den Max an, als er einen tiefen Zug aus seinem Glas nahm und seufzte. Er starrte auf die Autos und die Menschen unten auf der Straße, und sein lausbubenhaftes Altmännergesicht sah im Licht der Straßenbeleuchtung, die von unten hochkam, hart aus: »Ich bin ein schlechter Gegner. Sag, wenn du mich hier nicht haben willst, und ich verschwinde nach dem Essen. Friedl wird nie wieder von mir hören, okay?«

      »Wo willst du hin? Dahin, von wo du gekommen bist? So schnell?«

      Max drehte sich zu Manfred, und das diffuse Licht warf kräuselnde Schatten auf sein Gesicht: »Nimm diese dämliche Unschuldsmiene aus deinem Gesicht, Manfred. Du bist ein Vollzeitklugscheißer. Ich sag dir was: Ich war nicht bei der Post, sondern bei der Polizei. Bei den ganz Harten. Und noch was: Du siehst für mich aus wie einer, der gerade aus dem ›Hotel zum Käfig‹ gekommen ist. Also, was liegt an? Was hast du mit ihr vor?«

      Unten, auf der Münchener Straße, hielt ein Streifenwagen. Zwei Polizisten stiegen aus, setzten ihre Mützen auf und schauten sich um. Manfred trat einen Schritt vom Geländer zurück und verschränkte die Arme vor der Brust: »Hast du die gerufen?«