Propaganda 4.0. Johannes Hillje. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Johannes Hillje
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Зарубежная публицистика
Год издания: 0
isbn: 9783801270391
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führt.

      Diese aktualisierte Ausgabe von »Propaganda 4.0« erscheint just zu dem Zeitpunkt, an dem die erste Legislaturperiode im Bundestag jener Partei zu Ende geht, die den Konsens über das dunkelste Kapitel deutscher Geschichte und die allseits beschworene »Brandmauer« zum Rechtsextremismus im bundesrepublikanischen Parlamentarismus aufgebrochen hat. Und die Neuausgabe erscheint kurz nachdem ein radikaler Rechtspopulist mit einer Schneise der Verwüstung das Weiße Haus in Washington D. C. verlassen hat. Es ist ein Zeitpunkt, an dem allerspätestens eine oft in den öffentlichen Diskurs eingeworfene Beruhigungspille aus dem rhetorischen Arzneischrank verbannt werden sollte: Rechtspopulisten mäßigen sich nicht an der Macht, sie entzaubern sich nicht durch den »Zauber« ehrwürdiger demokratischer Institutionen. Im Gegenteil: Sie nutzen die Institutionen, um ihre Propagandamaschinerie mit zusätzlichem Treibstoff zu betanken, den sie direkt aus den Kassen der Demokratie finanzieren. Und sie vergrößern ihr Arsenal für den von ihnen ausgerufenen »Informationskrieg«, wie an den eingangs zitierten Plänen der AfD abzulesen ist.

      Propaganda 4.0 ist eine kommunikative Strategie, die einerseits darauf abzielt, das Sagbare im öffentlichen Diskurs der Mehrheitsgesellschaft zu verändern, andererseits eine digital konstituierte, radikal rechte »Desinformationsgesellschaft« mittels eines eigenen Medienapparats und verbündeter rechter Alternativmedien zu schaffen. Ein Zusammenspiel aus »earned media« (Aufmerksamkeit durch Polarisierung in Massenmedien) und »owned media« (Aufmerksamkeit durch Emotionalisierung in Parteimedien), mit dem die AfD als digitale Propagandapartei einen schnellen Aufstieg hingelegt hat. Mit den Ressourcen des Bundestags hat die AfD ihre Propagandakapazitäten in den letzten Jahren ausgebaut: Sie nutzt ihre Rechte im Parlament, um es verächtlich zu machen (Delegitimierung) – etwa mit Fotos ihrer Abgeordneten im leeren Plenarsaal vor Sitzungsbeginn, die sie als Beleg für die Faulheit der anderen Fraktionen in sozialen Medien präsentiert. Sie setzt ihre zusätzlichen finanziellen Mittel dafür ein, um als Partei zum Medium zu werden und den unabhängigen Journalismus durch Partei-PR zu ersetzen zu wollen (Medienproduktion). Sie sendet über ihre Parteimedien in erster Linie identitätspolitische Botschaften aus, dadurch wird ihre Propaganda zu einem Vehikel für die Sozialisierung in eine rechtspopulistische Gruppenidentität, die sich gleichermaßen als Wut- und Mut-Gemeinschaft versteht (virtuelles Volk). Sie nutzt die Bühne des Parlaments, um sich zu inszenieren, Menschen zu diskriminieren und die anderen Parteien zu provozieren, den parlamentarischen wie auch gesellschaftlichen Diskurs in dem Sinne zu zerstören, als dass die beiden Lager nicht mehr in der Sache argumentieren, sondern sich nur gegenseitig delegitimieren (extreme Polarisierung). Diese vier strategischen Bausteine, die bereits in der ersten Auflage dieses Buches im Jahr 2017 entwickelt wurden, konnte man bei der AfD in den letzten Jahren in Dauerschleife beobachten. Die vorliegende Neuausgabe wurde daher mit neuer Empirie aktualisiert, etwa einer quantitativen Auswertung der Social-Media-Kommunikation der Partei in ihrer ersten Legislaturperiode im Bundestag sowie um eine qualitative Analyse des »Wir« in den Botschaften der AfD komplementiert.

      Offenkundig ist heute auch: Die AfD hat eine sprachliche Gewalt in Parlament und Öffentlichkeit gebracht, die ihr Echo in physischer Gewalt auf den Straßen gefunden hat. In Kassel, in Halle, in Hanau. Die Täter beziehen sich auf das Narrativ vom »großen Bevölkerungsaustausch«, das von AfD-Politikern reichenweitenstark mit verbreitet wird. Die AfD sendet immer wieder Signale mit der Hundepfeife, wenn sie von einer »Tat-Elite«, von »Wehrhaftigkeit«, vom »Aufräumen« spricht. Rechtsextremisten haben diese Parolen mit ihren Methoden umgesetzt. Die AfD hat somit nicht nur das Sagbare verändert, sondern längst auch das Machbare. Da die Partei mittlerweile auch im Visier des Verfassungsschutzes ist, wird häufig die Frage gestellt, ob man die AfD überhaupt noch »rechtspopulistisch« nennen könne. Das kann man. Denn Rechtspopulismus ist ein Kontinuum von noch demokratischen zu eindeutig extremistischen Positionen. Das politische Geschäftsmodell der AfD besteht genau darin, die Grenze des demokratischen Spektrums nach rechts zu verwischen, einen grenzfreien Verkehr für Ideen aus dem nicht demokratischen in das demokratische Gelände zu organisieren und auf dieser neu gelegten Strecke zwischen rechtsradikaler Szene und bürgerlicher Mitte ein möglichst großes Stimmenpotenzial zu mobilisieren. Mit einer Mobilisierungsstrategie, die Propaganda 4.0 heißt.

       INTRO

      Die Demokratie lebt von Voraussetzungen, die der Staat nicht schaffen kann. Dieses Diktum des Verfassungsrechtlers Ernst-Wolfgang Böckenförde, das er 1964 in Bezug auf das Verhältnis von Staat und Religion in etwas anderem Wortlaut formulierte1, ging mir an einem Abend im Herbst 2016 im Berliner Gorki-Theater durch den Kopf. Auf der Bühne trugen zwei Schauspielende Reden aus den Reihen der Alternative für Deutschland (AfD) vor. Gauland, Höcke, von Storch, Bystron, Hampel: 75 Minuten lang »Rechte Reden« (so der Titel der »Performance«). Das Stück hatte keine Dramaturgie, keine Handlung, keine Helden oder Bösewichte – es war eine Aneinanderreihung von Originalreden des AfD-Personals. Den beiden Schauspielenden, Mely Kiyak und Thomas Wodianka, gelang es dabei, die Mimik, Gestik und Rhetorik der Politiker, etwa den »Führer«-Duktus von Björn Höcke, originalgetreu und kaum übertrieben nachzuahmen. Das Publikum war jung, urban und divers – aber nur äußerlich, politisch stand es geschlossenen in maximaler Distanz zur AfD. Als sich Mely Kiyak in der für Beatrix von Storch typischen hohen Stimmlage über »Gender Mainstreaming« in Rage redete, ging meine Sitznachbarin vor Lachen zu Boden. Überhaupt wurde sehr viel gelacht an diesem Abend. Es wirkte zu wahnsinning, um wahr zu sein. Für Menschen auf dem Erfurter Domplatz oder in der Essener Grugahalle beschreiben diese Reden die politische Lage in unserem Land ziemlich zutreffend. Für das hippe Berliner Publikum waren sie in erster Linie Comedy. Eine gute Abendunterhaltung. Ich musste an diesem Abend an das Böckenförde-Diktum denken, weil ich mir nicht sicher war, ob der Konsum von Rechtspopulismus als Entertainment uns eine Haltung ermöglicht, die es erlaubt, die von Böckenförde eingeforderte »moralische Substanz des Einzelnen«, das demokratische Ethos der Bürgerinnen und Bürger, zu praktizieren. Ohne eine solche Grundeinstellung, Aristoteles nannte sie im Jahr 332 vor Christus »die Tugend der Bürger«, kann ein demokratischer Staat auf lange Sicht nicht überleben, mahnte Böckenförde. Denn wenn er seine freiheitlichen Ziele, zum Beispiel Toleranz und die Anerkennung von Andersartigkeit seiner Bürgerinnen und Bürger, mit Zwang durchsetzen müsste, wäre er kein freier Staat mehr, sondern ein autoritärer.

      Mir scheint, als wäre das demokratische Ethos des Einzelnen heute besonders gefordert. Vier Jahre lang haben wir die Präsidentschaft von Donald John Trump wie eine Realityshow konsumiert. Trump ist ein Entertainer. Mit seinem Bühnentalent zog er stets die Aufmerksamkeit von Menschen auf sich, ganz egal, ob sie seine Politik unterstützten oder nicht. Diejenigen, die Wut und Frust über die für sie ausbleibende demokratische Dividende verspüren und denen Trump eine Ausgleichszahlung versprach, klatschten euphorisch. Diejenigen, die Trump ablehnen, konnten sich trotz aller Abscheu ein Lachen oftmals nicht verkneifen. Zu maßlos, zu abgedreht und wahnwitzig erscheint ein autoritärer Populist wie der 45. Präsident der Vereinigten Staaten für die liberalen Kreise.

      Während Trumps Präsidentschaft hieß es häufig, was er tue und sage, hätten sich nicht mal die Autoren der amerikanischen Polit-Soap »House of Cards« in fiktiver Form gewagt. Überhaupt wurde die Parallele zum Show-Format bei Trumps Regierungsstil oft gezogen. Sie ist auch nicht ganz falsch, erinnert man sich etwa an die allererste Sitzung seines Kabinetts. Die Presse durfte entgegen der Gepflogenheiten auch nach dem offiziellen Sitzungsbeginn im Raum bleiben, um Zeuge der Eingangsstatements der Ministerinnen und Minister zu werden. Diese trieften nur so vor Lob, Heuchelei und Unterwürfigkeit gegenüber dem Präsidenten. Eine Inszenierung, die aus Russland oder Nordkorea hätte stammen können. Oder als sich Trump am Ende seiner Amstzeit mit Covid-19 infiziert hatte: Seine Rückkehr mit dem Helikopter aus dem Krankenhaus ins Weiße Haus verfilmte er so opulent wie das große Finale eines Hollywoodfilms, bei dem das Gute doch wieder über das Böse gesiegt hat. Dramatische Musik, 15 Kamereinstellungen in nur 37 Sekunden, Trump gefilmt aus der Untersicht. Die Botschaft: Der Held hat das böse Virus bezwungen, mit seiner Immunität kehrt er stärker zurück als er jemals war. Den Clip veröffentlichte Trump auf Twitter. Zahlreiche journalistische Medien verbreiteten später mindestens Ausschnitte aus dem PR-Video. Die Bilder waren zu stark, um nicht gezeigt zu werden. Doch ein Entertainer kann nur dann erfolgreich