»Lassen Sie hören.« Der Staatsanwalt legte seinen Stift beiseite, lehnte sich zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. Auch die anderen Blicke waren allesamt auf Manfred gerichtet.
»Frank hat recht. Eine erste Spur könnten wir haben. Ich bin vorhin bei einem Kollegen vom Einbruchsdezernat gewesen. Der hat mir die Akte vom Einbruch gegeben. Er selbst fand die Vorgehensweise der oder des Täters etwas merkwürdig.«
»Wieso?«, erkundigte sich Frank.
»Weil der Einbrecher anscheinend etwas suchte. Aber es war kein Geld.«
»Was macht Sie da so sicher?«, wollte Henssler wissen.
»Weil er 2.000 Euro, die auf einem Schreibtisch lagen, nicht mitgenommen hat. Außerdem schien der Chef des Weinkonvents nicht sonderlich an Ermittlungen interessiert zu sein. Er tat den Einbruch als ›dummen Jungenstreich‹ ab.«
Wie oft wurde diese Bezeichnung heute schon verwendet. Frank verdrehte die Augen.
»Wie heißt denn der Chef?«, fragte er.
»Andre Kalter«, erwiderte Manfred, während er die weiteren Erkenntnisse an die Kollegen weitergab.
Der Name tauchte Franks Meinung nach etwas zu oft in beiden Fällen auf. Gut, es mochte Zufall sein. Dies herauszufinden, war ihre Aufgabe. Er zückte sein Notizbuch, schrieb sich den Namen mit einem dicken Ausrufezeichen dahinter auf.
»Fingerabdrücke gibt’s auch. Leider konnte man die noch nicht zuordnen. In der hiesigen Datenbank sind sie jedenfalls nicht registriert.« Manfred legte die Akte wieder auf den Tisch und lehnte sich zurück.
»Spricht ja dann eher für die Theorie des ›dummen Jungenstreiches‹«, meinte Henssler. »Ich brauche aber Fakten zum Mord an diesem Gerd Bäuerle. Gibt’s denn da was?« Er wandte sich Walter Riegelgraf und Adelbert Herzog zu.
»Ich habe ihn bereits untersucht«, begann der Rechtsmediziner. »Der erste Schlag auf den Kopf war nicht tödlich, hat nur eine starke Platzwunde verursacht. Der zweite Schlag muss heftiger ausgeführt worden sein. Traf ihn genau an der Schläfe, wo die Nerven entlanglaufen. Zufall? Weiß ich nicht. Kann sein. Auf jeden Fall ist dieser Schlag tödlich gewesen.«
»Sonst noch was Wichtiges?« Henssler schaute auf die Uhr. »Wenn nicht, würde ich mich an dieser Stelle ausklinken. Ich muss noch zum Oberstaatsanwalt. Sehen Sie zu, dass wir möglichst bald fundierte Ermittlungsergebnisse vorzuweisen haben.«
Er packte seinen Koffer zusammen. Er wollte gerade aufbrechen, da kam Müller-Huber zur Tür rein.
»Sorry, es ging nicht früher. Hab ich was verpasst?«
»Lassen Sie sich durch Ihre Mitarbeiter auf den neuesten Stand bringen«, antwortete der Staatsanwalt kurz angebunden. Dann blickte er Müller-Huber an. »Eigentlich wollte ich den Fall in Ihre kompetenten Hände legen, aber ich habe mich entschlossen, ›kompetent‹ zu streichen.«
Frank musste ob des sarkastischen, trockenen Humors von Staatsanwalt Henssler grinsen. Müller-Huber hatte den Hintergrund der Aussage nicht verstanden, denn er reagierte gelassen und stand, zugegeben etwas verloren, in der Mitte des Raumes.
»Legen wir los«, sagte er.
»Wir sind schon mittendrin«, antwortete Richard genervt und erhob sich. Seine Kollegen folgten ihm ins Büro. Walter Riegelgraf stand noch mit Adelbert Herzog zusammen. Augenscheinlich hatten beiden etwas zu besprechen.
»Den Kalter sollten wir vorladen«, meinte Frank. »Der scheint mehr zu wissen, als er zugibt. Außerdem höre ich seinen Namen etwas zu oft.«
»Für morgen Vormittag?«, ergänzte Richard.
»10 Uhr dürfte eine gute Zeit sein.« Frank griff zum Hörer, um Kalter davon zu unterrichten, dass er offiziell ins Polizeipräsidium vorgeladen wurde. Die Freude Kalters hielt sich in erträglichen Grenzen, doch alles Murren und Schimpfen half nichts. Der Einladung durch die Kommissare musste er wohl oder übel Folge leisten, wollte er nicht riskieren, mit Blaulicht abgeholt zu werden.
In einem beschaulichen, von Weinbergen als natürlichem Schutz vor schädlichen Einflüssen geschützten kleinen Dorf würde dies für ein unangenehmes Maß an Aufmerksamkeit beziehungsweise Gerede sorgen.
»Jetzt machen wir erst mal Feierabend«, meinte Richard. »Morgen sieht die Sache schon etwas besser aus.«
Von den Kollegen kam keine Gegenwehr. Müller-Huber verschwand nach seinem kurzen Auftritt schnell wieder im Büro.
Adelbert Herzog klopfte an den Türrahmen. »Bevor ich es vergesse, liebe Kollegen, ich bin ab Donnerstag für ein paar Tage im Urlaub. Ihr braucht gar nicht versuchen, mich zu erreichen. Ich nehme kein Telefon mit. Klare Ansage meiner Frau.«
»Wo geht’s denn hin?«, erkundigte sich Manfred, der seine Sachen aufräumte.
»Kaltern am See, Südtirol. Wellness machen. Selbstverständlich mit einer Weinverkostung. So etwas darf nicht fehlen.«
»Na dann viel Spaß«, erwiderte Frank. So ein Wellnessurlaub mit Lisa käme ihm auch ganz gelegen. Die passende Location hatte er gerade eben gefunden.
»Wenn ich wiederkomme, ist der Fall geklärt«, lachte Adelbert frech. Es war eines der wenigen Male, da man einen gelösten Kollegen vor sich sah. Die Freude auf die bevorstehende Erholung schien ihm gutzutun. Dass sein Urlaub eine entscheidende Wendung in den Mordfall bringen würde, konnte er zu diesem Zeitpunkt noch nicht wissen.
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