Ein paar Leute suchen das Glück und lachen sich tot. Sibylle Berg. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Sibylle Berg
Издательство: Bookwire
Серия: Reclam Taschenbuch
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783159604152
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schaue dich an, und die ganzen großen Sachen sind weg. Weinen zu wollen, vor Liebe. Beschützen zu wollen oder einfach nur anschauen, die ganze Nacht. Da ist nur noch jemand, der schläft. Und wo der Mund offen ist. Nix mehr da. Ich denk nur, daß ich morgen das Kissen wechseln sollte, wegen der Spucke aus deinem Mund.

      Draußen steht der Vollmond und du schläfst und warum laufen wir jetzt nicht draußen rum. Erzählen uns Gruselgeschichten, fassen uns an, weil wir Angst haben, wegen der Geschichten, fallen auf so eine Wiese, vom Mond beschienen. Der Mond und du und ich gehe raus und laufe im Bademantel die kalte Straße hoch und runter. Die Füße nackig und die frieren. Ich diese blöde Straße lang und die Kälte ist gut. Steigt das Bein lang und hat was Lässiges, so im Bademantel in der Großstadt. Ich bin wieder dabei. Ein urbaner Single mit nackigen Füßen.

      RUTH langweilt sich

      Es ist wirklich unangenehm langweilig.

      Als ich jünger war, dachte ich, wenn ich viel daran denke, wie es ist, alt zu sein, dann kann mich nichts mehr überraschen. Ich dachte mir, es wäre wahrscheinlich ganz gut, alt zu sein. Ich habe mir vorgestellt, ich wäre so eine coole Alte, mit viel Schmuck und lila gefärbtem Haar. Und ich würde in einem Haus wohnen, in Nizza vielleicht, und das schwankte immer, die Idee, wo das Haus sein würde. Auf jeden Fall wäre das Haus immer voll mit wirklich verrückten Menschen, die echt verrückte Sachen machen würden. Auf Tischen tanzen und so was. Und ich könnte über alles lachen, weil ich weise wäre und es besser wüßte. Was auch immer. Und so richtig klasse wäre es, dachte ich immer, daß mir im Alter die meisten Geschichten egal wären. Liebeskummer, Cellulite und so was. Ich dachte mir, es müsse wirklich ganz nett sein, alt zu werden. Und jetzt bin ich alt und weiß gar nicht, wie es so schnell dazu kommen konnte. Ich bin nicht reich, ich dachte immer, das käme schon noch, aber es kam halt nicht. Es kam auch kein reicher Mann. Oder sagen wir mal, überhaupt ein Mann, der blieb. Immer dachte ich, es käme da noch ein besserer, weil ich ja auch immer besser würde. Aber das stimmte auch nicht. Es kamen eher immer weniger und schlechtere. Und auf einmal war ich alt. Ohne mich irgendwie weise oder eben alt zu fühlen. Ich fühle mich nur gelangweilt. Ich wohne also nicht in einem Haus in Nizza, sondern in einem verfluchten Altersheim. Die anderen hier, die sind wirklich alt. Ich nicht. Wenn eines noch an Wunder glaubt, ist es nicht alt. Ich glaube, das kann wirklich nicht alles gewesen sein. Es wird noch etwas ganz Großes passieren. Irgendwas, das mir klarmacht, wozu das alles gut ist. Das weiß ich nämlich beim Stand der Dinge nicht wirklich. Ich am Fenster und seh den totkultivierten Garten an. In meinem Haus in Nizza wäre mein Garten ganz verwildert gewesen. Ich hätte da jetzt draußen gesessen, mit ein paar Freunden, einige würden grad wieder auf dem Tisch tanzen, und ich würde mich vielleicht langweilen, wegen dieser permanenten Tischtanzerei. Wenn dem Menschen nichts mehr einfällt, glaubt er auf einmal, daß es einen Gott gibt. Hey, bitte lieber Gott mach, daß noch etwas kommt.

      TOM geht weg

      Die Luft riecht nach Großstadt, morgens um 4. Ein dicker Geruch. Nach schimmelndem Metall und Bäcker. Die Frau liegt oben. Wahrscheinlich weint sie. Wenn ich eine Frau wäre, würde ich auch weinen. Weil das so bequem ist, eine Flucht, die nichts ändert, falls ihr versteht, was ich meine. Die Frau weint also vermutlich. Ich nicht. Ich weine nicht, ich leide auch nicht. Ich gehe einfach nur nach Hause. Ich werde mir die Frau abduschen. Wieder durch die Bars laufen und suchen. Nach einer neuen Frau. Wenn Weihnachten ist, und ich kann euch sagen, das kommt immer schneller, als man so denkt, werde ich wieder vor diesem Kaufhaus hier stehen. Jetzt sind da irgendwelche Herbstsachen drin. Blöde Plastefrüchte und so. Aber Weihnachten ist da eine Eisenbahn drin, in dem Schaufenster. Die fährt durch verschneite Dörfer. Die Häuschen sind von innen beleuchtet. Ich steh da immer ganz lange. Stell mir Sachen vor, die in diesen Häuschen passieren. Irgendwo wird eine Katze geschlachtet, in den Ofen geschoben, die Därme an den Baum geputzt. In einem anderen Häuschen liegt der Großvater im Bett und ist schon geraume Weile tot. Da sind Fliegen und die Enkel spielen mit dem Opa. Solche Sachen eben, und ich habe dann so einen Haß auf die Kinder. Die stehen neben mir und sehen meine Bahn an. Und die Eltern zwinkern, wenn die Scheißkinder fragen: Krieg ich so eine? Wir werden sehen, sagen die Eltern und zwinkern. Ich könnt die dann immer in die Schnauze haun. Ich weiß wirklich nicht, warum. Was ich sagen will, ist, irgendwie suche ich nach einer Frau, die Weihnachten mit mir diese Bahn anguckt. Und die mich nichts Blödes fragt. Die vielleicht so einem Kind eine runterhaut. Und die mir dann eine Eisenbahn schenkt. Aber ich habe so eine noch nie gefunden. Ich gehe jetzt heim, dusche. Und dann gehe ich wieder los. Und suche weiter nach der Frau, die mit mir zu diesem Schaufenster geht.

      VERA sitzt auf dem Balkon

      Vera und Helge sind verheiratet. Schon lange. Wissen sie eigentlich gar nicht, warum.

      Sie sitzen draußen, auf dem Balkon. Es ist ein Sommerabend. Die Luft fleischwarm und macht im Menschen das Gefühl, daß er etwas unternehmen müßte, in dieser Nacht, das ihr gerecht wird, in der Aufregung, die sie verursacht. Was kann ich machen, mit so einer schönen Nacht, denkt sich Vera und weiß keine Antwort. Und eigentlich auch keine Frage. So eine Nacht ist eben eine Nacht. Die will gar nichts gemacht kriegen. Vera sieht Helge an. Der sitzt neben ihr und ist tausend Gedanken entfernt.

      Sie würde gerne rübergehen, zu ihm. Aber sie weiß nicht wie. Sie schaut in den Himmel und sucht dort den Satz. Der alles ändert. Ein Satz nur. Himmel, schenk mir einen. Der Himmel bleibt stumm und schön, und Wunder gibt es eben nicht. Wunder muß es aber geben, denkt Vera und guckt stur in den Himmel. Und dann guckt sie zu Helge rüber und der guckt geradeaus. Helge trinkt Bier.

      »Helge …« Helge trinkt Bier.

      »Ein schöner Abend.«

      Helge bleibt stumm, und Vera könnte gut tot umfallen. So leer fühlt sie sich an und weiß gar nicht, warum sie noch hier sitzen soll, oder aufstehen, oder weiterleben. Der Himmel ist ein Verräter, und einen Gott gibt es nicht. Vera nimmt ihre Hand und legt sie auf die von Helge. Da liegt sie dann so. Helges Hand bewegt sich nicht.

      Sie fühlt, daß ihre Hand weglaufen möchte. Sie mag das schwitzige Ding nicht anfassen müssen. Nichts ist peinlicher als eine Hand, die man anfaßt und die sich nicht bewegt, denkt Veras Hand, sondern nur atmet. Vor lauter Widerwillen laut atmet. Das denkt sich Veras Hand so, und Vera selbst schämt sich und nimmt ihre Hand weg, um sich eine Strähne aus dem Gesicht zu wischen. Sie steht auf und geht in die Küche. Der Abwasch steht noch da. Vera bindet sich die Schürze um. Sie wäscht ab und überlegt sich, was sie morgen ins Büro anziehen soll. Dann fällt ihr ein, daß Nora bald Geburtstag hat, und sie schüttelt den Kopf. Es gibt doch wirklich wichtigere Sachen als so einen blöden, warmen Abend und eine Hand, die nicht von ihr angefaßt werden will.

      NORA ist weggefahren

      Ich bin weggefahren. Ans Meer. In meinem Alter kann man alleine ans Meer fahren. Wenn ich zurückkomme, werde ich von zu Hause ausziehen. Vielleicht komme ich auch gar nicht zurück. Ich rede mit niemandem mehr. Zu Hause nicht und hier auch nicht. Ich habe einen Schlafsack. Es ist ziemlich kalt. Den ganzen Tag laufe ich, und abends lege ich mich in den Schlafsack. Ich rede mit niemandem.

      Das Meer ist langweilig. Es bewegt sich nur. Das Geld ist fast alle. Ich brauche auch kaum Geld.

      Ich esse nichts. Ab und zu esse ich Äpfel. Aber von denen wird mir inzwischen schlecht. Mir wird schlecht, wenn ich irgendwas Fremdes in mir habe. Vor ein paar Tagen bin ich mit einem Jungen mitgegangen, der hier wohnt. Wir waren in seinem Zimmer. Das war total staubig, und überall standen voll häßliche Pokale rum. Und dann hatte er ein Poster von so einer dicken Frau an der Wand. Pamela Anderson. Eigentlich hätte ich da schon wieder gehen sollen, wenn einer so dicke Frauen gut findet. Aber ich bin geblieben, weil er sich schon ausgezogen hat, und ich nicht wußte, wie ich sagen soll, daß ich doch besser gehe. Ich bin mitgegangen, weil ich dachte, es wäre ganz gut, in einem Bett zu schlafen, und weil ich sowieso keine Idee hatte, wo ich hingehen sollte. Weil es egal ist, wo ich hingehe. Der Junge hat mich nicht groß angefaßt. Wir haben nicht geredet. Ich weiß nicht, worüber ich mit einem Jungen so reden soll. Er hat es gemacht. Als er schlief, bin ich wieder weggegangen. Draußen war es noch ganz still. Ganz früh morgens in so einem kleinen Kaff am Meer. Ich