VORWORT
Dieses Buch entstand dummerweise – oder glücklicherweise – aufgrund meiner eigenen Scheibenpanik. Ich war stark betroffen, über eine lange Zeit. Ich habe den Frust und das Negative der Scheibenpanik erlebt. Im täglichen Training und auch bei den großen internationalen Wettkämpfen. Nach den Europameisterschaften in Schweden 2012 habe ich den Stier wirklich bei den Hörnern gepackt, und mir ist klar geworden, dass meine bisherigen Trainingsmethoden nicht gut genug waren, um das Problem des Schussreflexes zu lösen.
In diesem Buch zeige ich die Wege auf, die ich selbst ging, um die Kontrolle im Schuss zurückzugewinnen. Kontrollverlust ist frustran. Heute schieße ich wieder sehr gerne, weil ich Kontrolle im Schuss habe. Es geht mir darum, auch anderen Schützen dieses Gefühl zurückzugeben.
Viele Leute haben mich in meiner technischen und mentalen Entwicklung unterstützt. Indem sie mich ermuntert haben oder einfach akzeptieren, dass meine Schießergebnisse eine Zeitlang weniger gut waren. Diese Leute haben mich nicht auf Grund meiner Ergebnisse bewertet, sondern haben mich unterstützt und mir weitergeholfen. Das war eine sehr gute Erfahrung.
Ein großes Dankeschön geht an David Hauge, den Coach der 3D Nationalmannschaft. Dank auch an Hjötur Gislason und natürlich auch an meine wunderbare Bogensport-Freundin Evgeniia Schushikova aus der russischen 3D Nationalmannschaft, die hier auch die Rolle des Fotomodells übernommen hat. Ein riesiges Dankeschön nicht zuletzt an die Brüder Siim und Madis Talmar aus Estland von Falco.ee, meinem Sponsor für Bogen und Ausrüstung.
Auch möchte ich mich bei meinen Kameraden und Trainern meines Bogensportvereins Lyngby Bueskyttelaug für ihre Mitarbeit und ihr Interesse bedanken, wenn ich neue und manchmal seltsam anmutende Ideen mit ins Training gebracht habe. Dennis Bager – einer der besten dänischen Recurveschützen – und der traditionelle Bogenjäger Peter Juulsgaard haben das Manuskript dieses Buches gegengelesen und waren mir damit eine große Unterstützung. ch stehe in der Schuld dieser und vieler anderer Menschen.
In diesem Buch geht es um das Phänomen der Scheibenpanik oder Schussreflex, wie ich es nenne. Davon sind leider viele Schütz*innen betroffen. Mit diesem Thema habe ich mich auseinandergesetzt, habe die Literatur dazu studiert und geprüft und ich habe mich mit Schützen unterhalten, die unter Scheibenpanik litten.
Ich schildere meine eigenen Erfahrungen mit Scheibenpanik und stelle das TAB System (Target Anchor Back System) vor. Mit diesem System arbeite ich, wenn Bogenschütz*innen mit Scheibenpanik zu mir kommen. Später erkläre ich, warum ich diesem Phänomen einen anderen, neuen Namen gegeben habe.
Mit dem TAB-System habe ich das Rad nicht neu erfunden. Es handelt sich um eine einfache Methode zur Dekodierung des Schussreflexes und beinhaltet eine Visualisierung. Ich teile den Schuss in Zeitintervalle anstatt in Bewegungsabschnitte ein.
Da Bogenschütz*innen nun mal unterschiedlich sind und auch unterschiedlich lernen, war es mir wichtig, dass sich das System in unterschiedliche Trainingsmethoden integrieren lässt. Dadurch kannst du so trainieren wie du willst und wie es zu dir und deinem Schießen passt.
In einer Sache sind sich Coachs und Trainer*innen in der ganzen Welt einig: Es gibt leider kein schnelles Wundermittel, um Scheibenpanik zu überwinden. Egal welche Methode man anwendet, sie setzt dich lediglich auf den richtigen Weg, führt dich in die richtige Richtung.
Es erfordert deinen Willen und viel Arbeit, den Schussreflex zu dekodieren, den neuronalen Pfad neu zu bahnen und auch die innere Einstellung zu verändern. Das dauert seine Zeit, aber auch der Schussreflex hat sich ja über viele Schüsse hin ausgebildet.
Das TAB System kann nicht isoliert und für sich genommen angewendet werden. Dazu kommen Visualisierungstechniken, mentales Training, Schießübungen und das Verständnis davon, wie unser Gehirn Reflexe oder Programme aufbaut.
Es gibt verschiedene Theorien dazu, wie Scheibenpanik entsteht. Ich erkläre hier meinen Ansatz und zeige, wie damit umzugehen ist. Mein Ansatz wird durch verschiedene psychologische Theorien und die Aussagen von anderen Autor*innen, die sich mit der Thematik beschäftigt haben, gestützt.
Mein Standpunkt
Ich denke, dass fast alle traditionellen Schützen früher oder später in ihrer Laufbahn mit dem Schussreflex zu tun haben. Ob nun die eine oder andere Theorie den Schussreflex besser beschreibt, ändert nichts daran, dass er erlebte Realität ist. Fakt ist auch, dass man den Reflex nur schwer dekodieren und verändern kann. Die Theorie über die Entstehung des Reflexes entscheidet jedoch über die Methode, mit der man ihn überwinden will. Unabhängig von der gewählten Methode braucht es viel konsequente Arbeit, um den Reflex zu überwinden.
Ich hoffe, meine Methode hilft allen, die dieses Buch lesen. Ich hoffe, du lässt dieses negative Gefühl hinter dir, wenn dein Körper im Schuss irgendwelche unbeabsichtigten und unkontrollierten Bewegungen macht. Ich hoffe, du findest - so wie ich - die Freude am Schießen wieder.
Ich erläutere später noch, wie ein einmal im Nervensystem angelegter Gedächtnispfad – in diesem Fall leider der Schussreflex – unter Umständen wieder aktiviert wird, wenn er nur die passenden Schlüsselreize erhält. Deswegen musst du dir immer bewusst sein, dass es den Schussreflex gibt und bei jedem Schuss diszipliniert damit umgehen.
Diese Disziplin kann aber zu einer guten Gewohnheit werden, die sich gut anfühlt und deine Wahrnehmung für das schärft, was du gerade tust. Es ist egal, ob es sich dabei um das Schießen handelt oder um andere Lebenssituationen, in den du präsent sein musst.
Viel Freude beim Lesen und viel Freude beim Training.
Jes Lysgaard
Einführung
Ich arbeite mich langsam durch meinen Schussablauf.
Mein Zeigefinger ist genau am Ankerpunkt am Eckzahn – das Zielbild ist fast erfüllt, langsam senke ich den Bogenarm um ein paar Millimeter bis das Zielbild perfekt ist.
Ich habe den Eindruck von Zeitlosigkeit – alles fühlt sich kontrolliert und gut an.
Ich bin in Göteborg und es ist das Jahr 2018 im Spätsommer und ich schieße bei der 3D Europameisterschaft. Zum sechsten Mal bin ich Mitglied der dänischen Nationalmannschaft.
Zwei Jahre lang hatte ich Probleme mit Scheibenpanik, mit wechselnder Intensität. Durch einen Sturz, bei dem ich mir das Schlüsselbein ausgerenkt habe, entwickelte sich dieser unglückliche Reflex, mit dem ich dann so lange zu tun hatte.
Nur noch ein Millimeter, und der Pfeil steht dort, wo er sein soll. Dann verreiße ich den ganzen Schuss mit meiner Zugschulter, die Zughand fliegt seitlich weg, anstatt schön nach hinten zum Nacken zu gleiten, mein Bogenarm fällt und der Pfeil fliegt über das Ziel hinweg.
Da stand ich, beschämt über diesen schlechten Schuss in Gesellschaft der besten europäischen Schützen. Ich musste auch an meinen Sponsor Falco aus Estland denken, der mich jahrelang unterstützt hatte, mit den besten Bögen und Pfeilen. Was für eine miserable Leistung.
Dann ein einfacher Schuss und eine weitere Fahrkarte! Ich habe Angst, völlig von der Rolle zu kommen und versuche mit all meinen Mitteln und Techniken die Kontrolle zurückzugewinnen.
Bewusste Atmung, positives Selbstgespräch, positive Affirmationen, ja sogar schwedischer Schnupftabak! Aber ich komme einfach nicht zurück in den grünen Bereich, nichts hilft. Einige Schüsse gelingen gut und kontrolliert. Aber in meinem Hinterkopf lauern die schlechten, unkontrollierten Schüsse. Ich kann sie nicht vertreiben.
Jetzt bin ich völlig in der Abwärtsspirale gefangen, ich habe Scheibenpanik, so wie es viele Schützen kennen. Ich hatte es schon erlebt, aber noch nie so heftig wie dieses Mal.
Als mir