Die Medizin kennt die genialen Täter. Es sind nicht nur die Stammzellen. Es gibt etwa auch einen Stoff, der als Fibroblast-Wachstumsfaktor-21 bezeichnet wird. Von dem gibt es im Embryo viel mehr als in einem alten Organismus. Es wird heftig daran gearbeitet, den Wachstumsfaktor künstlich herzustellen.
Was wiederum im Körper eines älteren Menschen in höherer Konzentration auftritt, ist das für die Kontrolle der Zellteilung zuständige Protein Cdc42. Die Abkürzung steht für Cell division control. Ist dieses Protein zu aktiv, führt das dazu, dass es in seinem Arbeitseifer eine ziemliche Unordnung hinterlässt. Es lässt seine epigenetischen Sachen gleichsam auf der DNA herumliegen, und die Kuriere des Körpers wissen nicht mehr, wann sie welche Informationen ablesen sollen. Dieses Chaos beschleunigt den Alterungsprozess. Hartmut Geiger vom Universitätsklinikum Ulm ist es 2015 gelungen, das Cdc42 bei Mäusen einzudämmen. So wurde nicht nur der Alterungsprozess verlangsamt, sondern bis zu einem gewissen Grad sogar rückgängig gemacht. Ein wahrer Durchbruch.
Zurück zur Mutter. Die aus dem Fetus eingeschleusten Zellen sind persistierend, also ziemlich lang am Leben. Als Stammzellen bauen sie so einiges auf, unter anderem stärken sie das Herz. Da gibt es wunderschöne Bilder davon, die zeigen, wie die kindlichen Zellen sich in die Muskulatur des mütterlichen Herzens einfügen.
Eines der schönsten Phänomene am Mikrochimärismus unter dem Mikroskop ist das Schauspiel, das die Natur veranstaltet, wenn eine Frau einen Buben zur Welt gebracht hat. Seine Stammzellen leuchten im bildgebenden Verfahren richtig heraus. Man darf mich da wörtlich nehmen. Buben bringen das Herz der Mutter zum Leuchten.
Es ist eine histochemische Technik, mit der man einen fluoreszierenden Farbstoff in die Chromomen einbauen kann. Gibt man ihn auf das Y-Chromosom, sieht man es unterm Mikroskop strahlen. Eine Freude, das zu beobachten. Auch Mädchen liegen der Mutter am Herzen, das ist klar. Nur findet man die Zellen der Töchter nicht ganz so leicht, weil sie ebenso wie diejenigen der Mutter zwei X-Chromosomen haben.
Von den Effekten wieder zum Effektiven. Der Mikrochimärismus löste auch ein Rätsel, das die Medizin lange nicht knacken konnte.
Warum bekommt eine Frau, die viele Schwangerschaften hinter sich hat, keinen Brustkrebs? Und warum sind Klosterfrauen, die nie ein Kind austragen, geradezu prädestiniert für das Mamma-Karzinom?
Nun wissen wir: Unter dem Einfluss der Hormone veranstalten die kindlichen Stammzellen in der Schwangerschaft ein Wettschwimmen zur Brust der Mutter, ein Brust-Schwimmen sozusagen. Dort angekommen, haben sie gleich zwei Aufträge.
In der Spätschwangerschaft schwirren sie ein, um alles auf das Stillen vorzubereiten. Zu dem Zeitpunkt ist auch das Prolactin, das Hormon, das für den Milcheinschuss verantwortlich ist, auf einem Höchststand. Das bedeutet für die jungen Stürmer aus dem Blut des Embryos, sich zügig in Milch produzierende Zellen umzuwandeln.
Während der Geburt kommt noch eine Menge Oxytocin dazu, sodass die Mama sofort stillen kann, wenn das Kindlein das Licht der Welt erblickt.
In holistischer Voraussicht kann sich die Mutter also vom Kind Stammzellen holen, die garantieren, dass auf jeden Fall genug Milch da ist.
Zweiter Auftrag: Die kindlichen Zellen dürfen Polizisten spielen. Sie sind jung und passen auf, dass keine Mutation entsteht. Sie sollen einen allfälligen Krebs verhindern.
Da ist er, einer der Gründe, warum Mütter, die viele Kinder geboren haben, hoch signifikant weniger Mamma-Karzinome haben als kinderlose Frauen. Nicht zuletzt steigt heute die Brustkrebsrate auch deshalb so an, weil die meisten Frauen nur ein oder überhaupt kein Kind haben.
Es gibt eine Landkarte des weiblichen Körpers, die zeigt, an welchen Organen die jungen Zellen bevorzugt sitzen. Wo sie hingeschickt werden. Brust, Herz, Lunge. Auch die Lunge muss in der Schwangerschaft auf die enormen Ansprüche adaptiert werden. Wie Evas Herz für zwei schlägt, atmet auch ihre Lunge nicht mehr nur für sie allein.
Das Kind bedankt sich wieder mit seinen Stammzellen. Wenn Frauen, die geboren haben, Lungenkrebs bekommen, dann meistens die weniger aggressiven Formen, die prognostisch günstigeren Karzinome. Selbstverständlich reden wir hier von Nichtraucherinnen.
Die jüngste Nachricht betrifft das Gehirn. Sogar dort kümmern sich die Nachwuchs-Stammzellen um die Mutter. Man weiß es noch nicht ganz genau, aber womöglich schützen sie als jugendliche Neurone vor Alzheimer.
Herz, Brust, Lunge, Gehirn. Schutz, Regeneration, Heilung. Eine bessere Vorsorge als das eigene Kind wird eine Mutter nirgends finden. Noch dazu so nachhaltig. Die Zellen der Kinder haben eine derart lange Lebensdauer, dass sie über Dekaden erhalten bleiben.
Besonders viele der kindlichen Stammzellen werden zu T- und B-Lymphozyten, die weiße Blutkörperchen herstellen, um den Fetus zu schützen. So schützen sie auch die Mutter mit. Nebenbei gesagt, steht das T für Thymus, in dem sich diese Zellen ansiedeln. Das B steht eigentlich für das Organ Bursa Fabricii. Dieses Organ haben allerdings nur Vögel. Bei uns Menschen gibt es die B-Lymphozyten vor allem im Knochenmark. Das englische Wort bone marrow für Knochenmark hilft als Eselsbrücke.
Aber nun lassen wir die Schatten aufziehen. Wo so viel Licht ist wie beim Mikrochimärismus, kommen wir um die dunklen Seiten nicht herum. Geraten nämlich die kindlichen Stammzellen etwa auf Viren oder UV-Strahlung, zeigen sie sich von einer ganz anderen Seite. Sie regen Veränderungen an, die bösartig enden können.
Wo im mütterlichen Organismus Probleme vorhanden sind, machen sie noch größere draus. Irgendwo eine Infektion, irgendwo eine UV-Exposition, schon wird aus der Protektion eine Belastung.
Einer der anfälligsten Opfer ist der Muttermund. Dort kommt selten die Sonne hin, dafür wird das Immunsystem heruntergefahren, um das Sperma hereinzulassen. Etabliert sich dort ein Virus, zum Beispiel HPV, und es gesellen sich fetale Zellen dazu, kann es zum Äußersten kommen. Die jungen Zellen werden zu jungen wilden Zellen. Gut wird zu Böse.
Was für die Brust so günstig ist, ist für den Uterus also ganz schlecht. Viele Geburten können Brustkrebs verhindern, aber Gebärmutterhalskrebs begünstigen.
Ähnliches gilt für das zweite Karzinom, das bei Frauen nach vielen Geburten häufiger vorkommt als sonst: dem Melanom. Der Hautkrebs ist außerdem auch wesentlich aggressiver. Ist die Haut irgendwo besonders beleidigt, sind kindliche Stammzellen das Letzte, was ihr in die Nähe kommen sollte. Die jungen Dinger sind extrem mitosefreudig, sie teilen sich also wie verrückt. Gerade das ist in so einem Fall das Gefährlichste.
Die nächste Schwachstelle ist der Dickdarm. Wenn der Darm durch die Ernährung mit den falschen Darmbakterien besiedelt ist, kann man nur hoffen, dass keine embryonalen Stammzellen vorbeiflanieren. Dann sind sie es nämlich, die schnell beleidigt sind, und als Retourkutsche umso eifriger an einem Karzinom arbeiten.
Nicht zuletzt haben wir noch die Autoimmunerkrankungen in der Schublade der Schandtaten kindlicher DNA. Das ist ja auch logisch. Die Zellen des Kindes sind nun einmal fremde Zellen, und da kann das Immunsystem schon verrücktspielen. Außerdem produzieren die T- und B-Lymphozyten unter ihnen ja zusätzliche Abwehrkräfte.
So neigen Frauen mit vielen Kindern im Vergleich zu kinderlosen Frauen eher zur Rheumatoiden Arthritis, Multiplen Sklerose, zu Lupus Erythematodes und Morbus Hashimoto, wobei letztere zu einer chronischen Schilddrüsenentzündung führt. Auf den Rheumastationen sitzen mindestens so viele Frauen wie in den Ambulanzen der Gynäkologie.
Wolfgang Holzgreve hat darüber hinaus nachgewiesen, dass die Schwangerschaftsintoxikation, die sogenannte EPH-Gestose, eigentlich eine Vergiftung mit den fetalen Stammzellen ist. Normalerweise befindet sich im Körper der Mutter eine Zelle des Kindes zu einer Million eigenen Zellen. Bei Patientinnen mit der EPH-Gestose ist es eine fetale Zelle zu nur Tausend eigenen.
Die Zellen des Kindes schützen und verjüngen zwar, andererseits sind sie aber etwas Fremdes, das den Körper durcheinanderbringen kann. Und von allem Guten kann man auch zu viel haben. Die Bilanz wirkt am Ende eher negativ.
Aber so ist eben mit Krankheiten. Sie treten auf, wenn nicht alles glatt läuft. Die Natur meint es gut. Sie hat einen Plan, der