Das System als eigenständiger Beziehungspartner
Insbesondere für größere Unternehmen gilt, dass sogar das System ein eigenständiger Beziehungspartner jenseits der einzelnen Personen wird. Die im Unternehmen Arbeitenden bauen eine Beziehung zu der Gesamteinheit Unternehmen auf. Aus den unterschiedlichen Perspektiven jedes Beteiligten wird eine Ganzheit des unternehmerischen Systems wahrgenommen und »das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile«, wie Aris toteles vermerkte. Die Tiefenstruktur kann von unterschiedlichen Personen unterschiedlich bewertet werden. Ein Humansystem selbst entwickelt bestimmte Gewohnheiten und sogar eine bestimmte »geistige Kraft«. Diese trägt sich weiter, auch wenn einzelne Personen wechseln. Dieser Geist der Tiefenstruktur wird zwar geschaffen durch die beteiligten Kräfte, er ist aber auch unabhängig von ihnen. Auch beispielsweise ein Wechsel im Topmanagement hat hier kurzfristig nur begrenzten Einfluss. [DIE ESSENZ DES HUMANSYSTEMS] Manchmal scheint es sogar so, als wäre einem Unternehmen die geistige Kraft regelrecht abhanden gekommen. Wenn man in diese Firmen kommt, wirken alle bezüglich des Unternehmens hoffnungslos. Man macht zwar sein Tagwerk, aber ein »wofür« ist nicht mehr klar. Es ist keine geistige Kraft mehr für das Unternehmen da. Alle versuchen noch irgendwie durchzuhalten, aber das Leben und die Ausstrahlung ist verloren gegangen. Die geistige Kraft eines Unternehmens kann mehr oder weniger stark sein. Sie kann sogar zum Erlöschen gebracht werden. Dies ist manchmal sehr schnell spürbar, wenn Menschen über ihr Unternehmen sprechen.
Jeder Mensch, der an einem Organisationssystem in irgendeiner Weise beteiligt ist, gestaltet mit an der gemeinsamen Ausstrahlung dieses Systems. Er bringt sich selber als Person mit seiner Persönlichkeitsstruktur ein. Dabei hat natürlich nicht jeder den gleichen Einfluss. Macht ist ein sehr wirksames Systemphänomen in Organisationen (siehe dazu auch Kap. 2.3). Sie kann genutzt oder missbraucht werden. Der Geist eines Systems kann eine Zeitlang von einer führenden Person bestimmt werden. Diese bestimmt dann alles, aber nur, wenn die anderen sie gewähren lassen.
1.3 Organisationssysteme im Unterschied zu anderen Systemen
Ein Organisationssystem unterscheidet sich von anderen Systemen, etwa der Familie. [VERTRÄGE ALS CHARAKTERISTIKUM EINES ORGANISATIONSSYSTEMS] Die Zugehörigkeit im Organisationssystem beruht auf Verträgen, nicht auf Verwandtschaft oder Elternschaft. Dennoch ist schon dieser Aspekt oft kaum zu spüren, da genau das Familienbild für die meisten Menschen die erste Erfahrung eines Systems ist und deshalb zur Übertragung reizt. Das »unternehmerische« am Organisationssystem legt den Fokus auf das größere Ziel, eine Dienstleistung zu kreieren, ein Produkt herzustellen oder eine andere Aufgabenstellung gemeinsam anzugehen. [DAS UNTERNEHMERISCHE EINES ORGANISATIONSSYSTEMS] Die sogenannten Nonprofit-Unternehmen werden heute ihrem Pendant, den Profitunternehmen, die offen Gewinnerzielung propagieren, zunehmend ähnlicher. Nonprofit-Unternehmen versuchen sich klarer an bestimmten Zielen zu orientieren und versuchen auch ihre Geld- und Ressourcenströme mehr an betriebswirtschaftlichen Prinzipien zu orientieren.
Abb. 1
Erwartungen an Organisationen
Von Organisationen handelt auch die Geschichte des indischen Weisheitslehrers Jiddu Krishnamurti. [ORGANISATIONEN UND DAS SEELENHEIL] Die theosophische Gesellschaft war Anfang des 20. Jahrhunderts eine große spirituelle Gemeinschaft, die das Gemeinsame der großen Religionen verbinden und dadurch den einzelnen Menschen zum Heil führen wollte. Krishnamurti wurde als junger Mann in Indien aufgrund seiner Ausstrahlung, die er schon als Kind und Jugendlicher besaß, von der theosophischen Gesellschaft entdeckt und dann an den besten Schulen Englands ausgebildet. Man versprach sich von ihm, dass er ein zweiter Messias werden könnte. Als er dann später in den 1920er Jahren zum Präsidenten der theosophischen Gesellschaft gewählt worden war, richtete man einen großen Kongress aus. Auf diesem Kongress stand Krishnamurti auf und sagte: Erstens bin ich kein Messias. Davon müsst ihr euch verabschieden. Zweitens löse ich kraft meines Amtes als Präsident der theosophischen Gesellschaft diese auf, denn eine Organisation kann nicht das Seelenheil des einzelnen erreichen. Dies kann er nur selbst tun.
In Krishnamurtis Organisation wurde seine Botschaft nur von der Hälfte der Mitglieder begeistert aufgenommen. Die andere Hälfte nahm ihm das sehr übel und setzte ihre Organisationsaktivitäten fort. Die Anhänger Krishnamurtis fanden eher zu besonderen Anlässen und in loser Form zueinander. Heute würde man von einem Netzwerk sprechen, auch eine Form von Organisation.
Wesentlich daran ist die Aussage, dass die Organisation dem Individuum nicht seine Verantwortung abnehmen kann. Dennoch können Organisationen sehr viel dafür tun, dass das Leben von Menschen reichhaltiger wird. Organisationen haben eine hohe Verantwortung für die Menschen. Sie auf das reine Jonglieren von Zahlen zu begrenzen, wie es bestimmte Wirtschaftstheorien – gut gemeint zur Komplexitätsreduktion – suggerieren, blendet wesentliche Auswirkungen von Organisationen aus. [DAS LEBEN REICHHALTIGER MACHEN] Schließlich verbringen Menschen in Organisationen eine Menge Lebenszeit. Dort werden Beziehungen gepflegt, wird Selbstbewusstsein bezogen und Lebensunterhalt erwirtschaftet. In diesen Bereichen können Organisationen für die Menschen sehr viel bewirken. Dies betrifft Mitarbeiter wie auch Kunden der Organisation, bei großen Organisationen ganze Staaten.
1.4 Das Modell der Organisationssysteme
Um die Komplexität im Unternehmen, um die Dynamik des Systems fassen und beeinflussen zu können, ist eine Klassifizierung hilfreich. Vier Kategorien von Betrachtungsperspektiven helfen bei Organisationssystemen:
Abb. 2
– die Systemstruktur
– die Systemprozesse
– die Systembalancen
– die Systempulsation
Die Systemstruktur: Aufmerksamkeit, Rollen und Systembeziehungen (A, R und S)
[AUFMERKSAMKEIT] Die Systemstruktur enthält die Systemaspekte, die als strukturelle Bedingungen wirken. Wir beginnen mit der grundlegenden Dimension der Aufmerksamkeit: Wohin wird in einer Organisation die Aufmerksamkeit gerichtet? Jede Organisation hat zu einem bestimmten Zeitpunkt ihre wesentlichen Themen. Dort geht die Aufmerksamkeitsenergie hin. Insgesamt entsteht eine herrschende Wirklichkeitskonstruktion in diesem Unternehmen. Die kann richtig oder falsch, einheitlich oder chaotisch, klar oder nebulös sein. Auch die Elemente des normativen, strategischen und operativen Managements bekommen je nach Unternehmen ihre spezifische Aufmerksamkeit. Offizielle Struktur und Identitätsvorgaben stehen mehr oder weniger mit der tatsächlich gelebten Kultur im Spannungsverhältnis. Die herrschende Aufmerksamkeit ist der härteste Investitionslenker in Organisationen.
Die Struktur eines Unternehmen findet außerdem ihren äußeren Ausdruck in den vorhanden Rollen. [ROLLEN] Sie zeigen eine für jeden sichtbare Oberflächenstruktur einer Organisation. Die Rollen werden durch Personen ausgefüllt und werden dadurch in ihrer Qualität durch die Personen und ihre spezifischen Persönlichkeitsstrukturen mit Leben gefüllt. Andererseits wird auch eine Persönlichkeit in einer Organisation nur so wirksam, wie sie mit einer bestimmten Rolle verbunden wird.
Neben den Rollen charakterisieren die spezifischen Beziehungsstrukturen ein System. [SYSTEMBEZIEHUNGEN] Beziehungen bestehen zunächst auf der Rollenebene, sind aber ebenfalls auf der Ebene der Persönlichkeiten relevant. Wie stark die Rollenebene die Beziehungen und die Persönlichkeitsebene prägt, charakterisiert wiederum die einzelne Organisation. Hier gibt es sehr unterschiedliche Kulturen.
Die Systemprozesse: Kommunikation, Problemlösung und Erfolg (K, PL und E)
Es existieren drei grundlegende Prozesse, die in jedem unternehmerischen System beherrscht werden müssen. Alle Veränderungen und alle Beziehungen werden durch Kommunikation praktisch in Szene gesetzt und gestaltet. [KOMMUNIKATION]