Hokuspokus Kompetenz?. Daniel Hunziker. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Daniel Hunziker
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783035508628
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wie Schülerinnen und Schüler weiter im gemeinsamen Lehr- und Lernprozess als das Konzept von Belohnung und Bestrafung. Es entwickeln sich nicht Gehorsam und übersteigerte Außenorientierung, sondern viel eher Selbstdisziplin und darauf aufbauend zahlreiche Schlüsselkompetenzen, idealerweise wie von selbst. Eine Gesetzmäßigkeit in Gesprächen mit Kindern ist die: Kommen Lehrpersonen (auch Eltern zu Hause) mit Vorstellungen, moralischen Ansprüchen und Erwartungshaltung, die keinerlei Spielraum für andere Sichtweisen zulassen, auf das Kind zu, wird es das sagen, was die Erwachsenen hören wollen, um so möglichst schnell der Moralpredigt zu entkommen. Das lässt sich nur vermeiden, wenn die Lehrperson den Schülerinnen und Schülern den nötigen angstfreien Raum gewährt, in dem sie sich frei äußern können, ohne dafür verurteilt zu werden.

      Im Zusammenhang mit Haltungsfragen, Coaching und angemessener Kommunikation erläutert Jesper Juul in seinen Büchern, was unter gleichwürdiger Beziehungsgestaltung gemeint ist. Der lösungsorientierte Ansatz nach Steve de Shazer liefert einen riesigen Fundus an Ideen, Know-how und Weiterbildungsangeboten für Lehrpersonen und auch Eltern. Der Psychotherapeut entwickelte eine Kurztherapieform, die sich nicht an der Entstehung statuierter Probleme, sondern an deren Lösung orientiert. Im Zentrum steht das Gespräch. Die Methode wird an Schulen und besonders auch innerhalb der Schulsozialarbeit erfolgreich angewandt. Ausgegangen wird von einer Grundannahme und sieben darauf basierenden lösungsorientierten Annahmen:

       Grundannahme:

      Kein Mensch handelt aus Bosheit destruktiv. Jeder macht von sich aus gesehen das Bestmögliche, er handelt so, weil er im Moment nicht anders handeln kann, weil ihm nichts Besseres einfällt. Jedes Verhalten ist immer ein Lösungsversuch, manchmal mit negativen Auswirkungen.

       Die sieben lösungsorientierten Annahmen:

      1Probleme sind Herausforderungen, die jeder Mensch auf seine persönliche Art zu bewältigen sucht.

      2Wir gehen davon aus, dass alle Menschen ihrem Leben einen positiven Sinn geben wollen und dass die nötigen Ressourcen dazu vorhanden sind. In eigener Sache sind wir alle kundig und kompetent.

      3Es ist hilfreich und nützlich, dem Gegenüber sorgfältig zuzuhören und ernst zu nehmen, was er/sie sagt.

      4Wenn du dich am Gelingen und an den nächsten kleinen Schritten orientierst, findest du eher einen Weg.

      5Nichts ist immer gleich, Ausnahmen deuten auf Lösungen hin.

      6Menschen beeinflussen sich gegenseitig. Sie kooperieren und entwickeln sich eher und leichter in einem Umfeld, das ihre Stärken und Fähigkeiten unterstützt.

      7Jede Reaktion ist eine Form von Kooperation, Widerstand auch.[4]

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      «Kompetenz» ist im Bildungsbereich zu einem inflationären Begriff geworden. Alle brauchen ihn, aber selten ist klar, wovon dabei eigentlich genau die Rede ist. Dies hat zum einen damit zu tun, dass der Begriff im alltäglichen Sprachgebrauch nicht gleich verwendet wird wie im Zusammenhang mit Schulentwicklung. Zum anderen existieren auch innerhalb dieses Bereichs unterschiedliche Auffassungen von Kompetenz.

      Das diesem Buch zugrunde liegende Kompetenzverständnis folgt den Erkenntnissen von John Erpenbeck und Volker Heyse, die in der Kompetenzforschung richtunggebend sind, sowie der Definition des Entwicklungspsychologen Franz Weinert von 2011:

       «Kompetenzen sind bei Individuen verfügbare oder durch sie erlernbare kognitive Fähigkeiten und Fertigkeiten, um bestimmte Probleme zu lösen, sowie die damit verbundenen motivationalen, volitionalen [die willentliche Steuerung von Handlungen und Handlungsabsichten] und sozialen Bereitschaften und Fähigkeiten, um die Problemlösungen in variablen Situationen erfolgreich und verantwortungsvoll nutzen zu können.» [5]

      Zentral für dieses Verständnis von Kompetenz ist deren Entwicklung, damit beschäftigen sich Erpenbeck und Heyse in erster Linie. Sie gehen davon aus, dass

      «Kompetenzen von Wissen fundiert, durch Werte konstituiert, als Fähigkeiten disponiert, durch Erfahrungen konsolidiert, aufgrund von Willen realisiert werden.»[6]

      Beide Definitionen bringen im Zusammenhang mit Bildung weitere Begriffe ins Spiel, die für das Verständnis von Kompetenz zentral, aber auf keinen Fall damit gleichzusetzen sind: FERTIGKEITEN, fachspezifische und nicht fachspezifische FÄHIGKEITEN, PERFORMANZ.

      Eine einzelne fachbezogene FÄHIGKEIT bezieht sich auf fachliche Kenntnisse und damit auf spezifisches Wissen, das mit standardisierten Verfahren überprüft werden kann, was zur Qualifikation dieses Wissens führt. Wissen über die Struktur eines formalen Briefes gilt beispielsweise als solches Fachwissen. Von einer fachspezifischen FÄHIGKEIT kann hier gesprochen werden, wenn ein solcher Brief exakt seiner vorgegebenen Struktur gemäß zu Papier gebracht werden kann, wozu gewisse schreibmotorische FERTIGKEITEN notwendig sind. Eine nicht fachspezifische FÄHIGKEIT ist zugleich eine KOMPETENZ, wenn damit angewandtes Handeln in einer beliebigen herausfordernden Situation gemeint ist. Eine solche KOMPETENZ hat entwickelt und sich angeeignet, wer im Rahmen einer solchen Situation wie beispielsweise der Stellensuche einen Bewerbungsbrief schreiben kann. PERFORMANZ ist die Handlung in einer derartigen Situation an und für sich, also eine aus einer Entscheidungsfindung folgende Handlung, in der KOMPETENZ sichtbar wird.

      Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Kompetenz

      –nie eine isolierte fachspezifische Fähigkeit oder Fertigkeit, sondern immer eine koordinierte Verbindung verschiedener personaler, sozialer, fachlicher, methodischer und handlungsbezogener Aspekte zu einer ganzen Handlung ist,

      –nicht mit reinem Wissen gleichgesetzt werden kann, aber durch Wissen fundiert wird,

      –immer nur hypothetisch vorhanden ist, sich erst in der Performanz, das heißt in sichtbarer Handlung zeigt und gemessen respektive beurteilt werden kann.

       Kompetenzmodelle

      Unsere Schulen sind darauf spezialisiert, Wissen zu vermitteln. Damit ist Wissen im engeren Sinn gemeint, das heißt fachbezogene Fähigkeiten, wie z.B. die Kommaregeln kennen, zu wissen, wie Wiederkäuermägen funktionieren oder wie man Zahlen schriftlich addiert. Sie kanonisieren, strukturieren und formalisieren Wissen fürs Volk, wie es eben der Auftrag der Volksschule von jeher ist. Sie entwickelte sich auf der Grundlage der religiösen Unterweisung, wobei es in erster Linie darum ging, jedem Kind den Katechismus einzutrichtern, um ihn abfragen zu können. So werden traditionellerweise bis heute Wissensinhalte didaktisch aufbereitet und nach erprobten Methoden vermittelt. Diese traditionelle und in der Gesellschaft verankerte Idee von Schule läuft der pädagogischen (und mittels Lehr- oder Bildungsplänen amtlich verordneten) eigentlich zuwider. Dennoch wäre es falsch zu glauben, Wissensvermittlung schließe kompetenzorientiertes Lehren (und Lernen) aus. Mit der richtigen Haltung und Methodik ist es möglich, Wissen mit überfachlichen und persönlichen Kompetenzen zu verbinden. Nach dem hier postulierten Kompetenzverständnis bildet Wissen die Grundlage für die Kompetenzentwicklung.

      Unser Schulkonzept sieht vor, dass Wissenserwerb gemessen und bewertet wird. Schülerinnen und Schüler werden in standardisierten Verfahren qualifiziert, also benotet und, seltener, in Worten beurteilt. Im Bereich der Berufsbildung sind Qualifikationen oft gleichbedeutend mit Diplomen oder Zertifikaten. Nun ist aber gut qualifiziert nicht zwingend gleichbedeutend mit kompetent. Wissen, Qualifikation und Kompetenz stehen in einem bestimmten Verhältnis zueinander. In welchem, verdeutlicht folgende Grafik von Erpenbeck und Heyse:

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      Abb. 5: