Des Girolamo Cardano von Mailand eigene Lebensbeschreibung. Hieronymus Cardanus. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hieronymus Cardanus
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Зарубежная психология
Год издания: 0
isbn: 9783899976045
Скачать книгу
Praxis aus, rief einer der Anwesenden: »Ei, ei! Ich weiß, dass das Gegenteil wahr ist! Ich habe die angesehensten Herren kennengelernt, die ihn konsultierten, und habe selbst, obschon ich nicht zu den angesehensten Herren gehöre, mich von ihm kurieren lassen.« Und dann ergriff der Legat das Wort und sagte: »Auch ich kann bezeugen, dass er meine Mutter, die schon von allen andern Ärzten aufgegeben war, geheilt hat.« Worauf ein anderer hinzufügte: »In der Tat, dann wird wohl alles andere in diesem Bericht genau so wahr sein wie dies!« Dem stimmte der Legat bei, und der Abgesandte wurde still und schamrot. Daraufhin fasste dann der Senat folgenden Beschluss: »Cardano soll zunächst das Lehramt nur für ein Jahr, vom Tage des Beschlusses ab gerechnet, erhalten. Erweist er sich so, wie er im Bericht geschildert ist, oder auch sonst wenig nützlich und brauchbar für die Akademie und die Stadt, so mag er sich anderswo eine Stellung suchen; verhält sich dagegen die Sache anders, so können wir dann immer noch den Kontrakt verlängern und auch über die strittige Frage des Gehaltes festen Beschluss fassen.« Dem stimmte der Legat bei, und so wurde auch beschlossen.

      Damit waren nun aber meine Gegner nicht zufrieden; sie setzten es durch, dass der Senat bald darauf einen weiteren Boten an mich absandte, der zu den Bedingungen, auf die wir uns schon geeinigt hatten, andere beizufügen hatte. Ich lehnte jedoch die Annahme seiner Angebote ab; mein Gehalt war darin niedriger als zuvor angesetzt, kein bestimmter Ort für meine Vorlesungen war in Aussicht genommen, kein Heller Beitrag für meine Umzugskosten bewilligt. Da ich also glatt ablehnte, musste der Bote wieder nach Bologna zurückkehren und dann ein zweites Mal wiederkommen, diesmal mit den schon verabredeten Bedingungen. – Obwohl derlei Treibereien offensichtlich allen Beteiligten überaus schaden, so kommen sie doch immer wieder vor, infolge eines ganz verkehrten menschlichen Vorurteils. Alles nämlich, was wir Menschen tun, richtet sich nur nach schnell vergänglichen Zwecken, geschweige denn, dass es sich einmal um ewige Gedanken handelte. Darum ist es dem Weisen genug, auf diese Zwecke sein Augenmerk zu richten und sich nur um sie zu kümmern. Um die Wahl seiner Mittel macht er sich keine, auch nicht die allerleisesten Sorgen; jedermann steht es ja frei, die Augen offenzuhalten und auf alles zu achten. Er glaubt vielmehr, die Mittel durchaus als nebensächlich betrachten zu dürfen, weil sie ja, verglichen mit dem Zweck, um kein Haar wichtiger sind als die Nüsse, womit Kinder spielen. Wäre also der nicht ein vollendeter Narr, der sich über die Mittel und ihre Folgen und ihren Charakter Gedanken machte, wenn es sich darum handelt, mit einiger Geschicklichkeit sich den Lorbeer oder ein Amt oder eine Herrschaft zu erwerben, die ihm der Zufall in den Weg treibt? – Als ich dann meine Vorlesungen begann, suchten sie mir auf folgende hinterlistige Weise den Hörsaal zu entziehen: Sie setzten meine Vorlesungen ganz nahe der Essenszeit an und gaben überdies den Saal für die nämliche Stunde oder doch kurz zuvor einem andern Dozenten. Ich machte nun diesem drei Vorschläge: entweder solle er seine Vorlesungen früher beginnen, jedenfalls aber zeitiger schließen, oder aber sich einen andern Hörsaal aussuchen, sodass ich in dem mir angewiesenen unbehindert lesen könne, oder endlich, er möge in dem besagten Hörsaal lesen, worauf ich mir dann einen andern aussuchen würde. Als ich sah, dass er alle drei Vorschläge ablehnte, verlangte ich und setzte es auch tatsächlich durch, dass eine neue Anordnung getroffen und ihm irgend ein anderer Hörsaal angewiesen wurde. Darob nun großes Geschrei und Jammern. Aber inzwischen trat jener vierte Fall ein, wovon ich gleich reden werde, und hat es schließlich dahin gebracht, dass einerseits ich mit heiler Haut aus so vielen Anfeindungen und Komplotten entrann und andererseits meine Feinde davon verschont blieben, mich mein Lehramt ausüben sehen zu müssen.

      Schließlich, als die Vertragsfrist zu Ende ging, verbreiteten sie das Gerücht, vor allem in den Ohren des Kardinals Morone, ich dozierte vor einem verschwindend kleinen Hörerkreis. Dies war nun durch und durch unwahr; ich hatte vielmehr von Anfang des Schuljahres bis in die Fastenzeit hinein eine sehr große Anzahl Hörer, trotz allen Verleumdungen und Intrigen meiner zahllosen Feinde. Aber schließlich wich dennoch die Tüchtigkeit, wie man zu sagen pflegt, der brutalen Gewalt. Sie hatten dem Kardinal eingeredet, scheinbar ganz im Interesse meiner Ehre, es sei notwendig, dass ich freiwillig auf mein Amt verzichte, und erreichten es wirklich, dass er entsprechende Schritte tat. So entschied sich die Sache, meinen Gegnern, die diesen Ausgang so sehnlichst herbeigewünscht hatten, mehr zu Gefallen als zu gutem Nutzen.

      Ich will nicht weiter von dem reden, was ich sonst noch unter Verleumdungen und Ehrabschneidungen zu leiden hatte. Sie waren alle so übertrieben stark, so unermüdlich wiederkehrend, so töricht und so durchaus absurd, dass sie ihr Ziel, mich auf die Angeklagtenbank zu bringen, nicht erreichten, sondern nur die erwünschten Stänkereien zur Folge hatten. Offensichtlich haben meine Feinde damit auch mehr ihr eigenes Gewissen geplagt, als mir geschadet. Denn während sie mit vieler List mich von den allzu großen Mühen des Lehrberufs befreiten, wuchs mir die Arbeitslust und mehrte sich mein Wissen von vielen verborgenen Dingen; ich gewann durch ihr Treiben nur noch mehr freie Zeit zur Abfassung meiner Bücher, sorgte damit noch wirksamer für die Verbreitung meines Namens und verlängerte mein Leben. Deshalb pflege ich zu sagen und jedermann zu versichern, dass ich meine Feinde nicht hasse, wie auch keiner Strafe für würdig erachte, weil sie mir geschadet hätten; sie wollten mir ja nur schaden. Von jenen weit böseren Angriffen, die sie damals auf mich richteten, als ich in Bologna angestellt wurde, soll weiter unten, im dreißigsten Kapitel, die Rede sein.

      ACHTZEHNTES KAPITEL

      Liebhabereien

      Ich habe Freude an feinen stilettartigen Schreibgriffeln, für die ich schon mehr als 20 Golddukaten ausgegeben habe. Große Geldsummen verwendete ich auch auf den Kauf verschiedener Arten von Federn; ich glaube sagen zu dürfen, dass mich mein ganzes Schreibzeug mehr als 200 Dukaten gekostet hat. Auch für Edelsteine habe ich eine große Leidenschaft, ferner für kleine Vasen, für Körbchen aus Bronze oder Silber, auch für kleine bemalte Glaskugeln99 und seltene Bücher. Das Schwimmen hat mir nur wenig, das Fischen sehr viel Freude gemacht, und ich habe, als ich zu Pavia wohnte, dieser Beschäftigung mich mit Eifer hingegeben und wollte, ich wäre nie davon abgekommen. Sehr gern lese ich Geschichtswerke, von den Philosophen am liebsten Aristoteles und Plotin100, abenteuerliche mystische Abhandlungen, auch medizinische Bücher. Die liebsten italienischen Dichter sind mir Petrarca101 und Luigi Pulci102. Einsamkeit ist mir lieber als der Umgang mit Freunden, denn ich habe deren nur ganz wenige ehrliche, gar keine gelehrten. Ich sage dies nicht etwa deshalb, weil ich von jedem Gelehrsamkeit verlangte – die ist ja doch immer und überall eine kleine –, aber wer will uns zwingen, unsere kostbare Zeit zu vergeuden? Das ist es, was ich verabscheue.

      NEUNZEHNTES KAPITEL

      Spiel und Würfelspiel

      Vielleicht verdiene ich in keiner Beziehung Lob, am allerwenigsten aber darob, dass ich dem Schach- und Würfelspiel frönte; ich tat dies so über die Maßen leidenschaftlich, dass ich mir vielmehr bewusst bin, Tadel zu verdienen. Beide Spiele habe ich während vieler Jahre getrieben, das Schachspiel mehr als 40, das Würfelspiel etwa 25 Jahre lang, und zwar während dieser Zeit – zu meiner Schande sei es gesagt – Tag für Tag. Ich habe auf diese Weise gleichermaßen an Achtung wie an Vermögen und Zeit Einbuße erlitten. Und ich habe nicht das leiseste Recht, mich zu entschuldigen, es sei denn, dass einer mich damit verteidigen wollte, dass er sagte, ich hätte nicht das Spiel geliebt, sondern die bitteren Umstände gehasst, die mich zum Spiel getrieben haben: erlittenes Unrecht, Verleumdungen, Armut, die Unverschämtheit gewisser Leute, die beständige Unklarheit meiner beruflichen Stellung, das Missachtetsein, meine dauernde Kränklichkeit und die Folge aller dieser üblen Umstände, die unwürdige und unfreiwillige Beschäftigungslosigkeit. Dass diese Erklärung berechtigt ist, das beweist der Umstand, dass ich tatsächlich das Spielen aufgegeben habe, sobald ich eine standesgemäße berufliche Stellung gefunden hatte. Ich habe also nicht aus Spielwut oder Vergnügungssucht gespielt, sondern aus Missmut und um meine üble Lage zu vergessen. – In meinem Buch über das Schachspiel103 habe ich viele wichtige Erfindungen und Beobachtungen aus diesem Gebiete niedergeschrieben. Manches davon ging freilich unter der Beschäftigung mit anderen Dingen wieder verloren. Acht oder zehn Punkte waren es vor allem, die ich nie wieder finden noch auch rekonstruieren konnte und die von ganz unglaublicher Stärke der Erfindung waren und allen menschlichen Scharfsinn zu übersteigen schienen.