WOHER WIR KOMMEN. WOHIN WIR GEHEN.
Johannes Huber:
Woher wir kommen. Wohin wir gehen.
Alle Rechte vorbehalten
© 2018 edition a, Wien
Cover und Gestaltung: JaeHee Lee
Satz: Lucas Reisigl
E-Book-Herstellung und Auslieferung:
Brockhaus Commission, Kornwestheim
1 2 3 4 5 — 21 20 19 18
E-Book ISBN 978-3-99001-307-6
JOHANNES HUBER
WOHER WIR
KOMMEN.
WOHIN WIR
GEHEN.
Die Erforschung der Ewigkeit
Aufgezeichnet von
Andrea Fehringer & Thomas Köpf
mit Thomas Schrems
edition a
Inhalt
Woher wir kommen
Wer wir sind
Wohin wir gehen
Vorwort
Jeder hat eine Biografie, seine Jugend, seine Determinanten, seine Prägemomente, aus der jene Brille entsteht, mit der er durchs Leben geht, und seinen roten Faden, der ihn dann über die Dekaden des Diesseits führt.
In solchen Prägemomenten durfte ich den früheren Erzbischof von Wien, Kardinal König, nach Washington begleiten. Er war von der Kennedy-Familie eingeladen, um im Institute for Bioethics und an der von Jesuiten geführten Georgetown University, wo auch Henry Kissinger lehrte, über das innere Zentrum des Christentums, über den Nucleus des Glaubens zu reden. Damals war ein Kardinal der katholischen Kirche noch etwas Besonderes, und Reflexionen über das Innerste einer Religion waren eine Attraktion. Unter den Zuhörern waren Sargent Shriver, der Schwiegersohn J. F. Kennedys und amerikanischer Botschafter in Paris, seine Frau Maria, Dr. Levi von der New York Times sowie Edward Kennedy, um nur einige zu nennen.
Kardinal König redete damals nicht wie ein Dogmatiker, sondern wie Paulus am Areopag – er versetzte sich ganz in die Zuhörer hinein und sprach von der inneren Ergriffenheit, die wohl jeden berührt, wenn er vor den Fragen steht: Woher komme ich? Wer bin ich? Und vor allem: Wohin gehe ich?
Diese drei Fragen haben auch mich damals geprägt.
Jahrzehnte später, bei seinem 50-jährigen Bischofsjubiläum, veranstaltete die Stadt Wien im Rathaus einen Festakt, der Bürgermeister hielt die Festrede. Kardinal König war damals körperlich schon ermüdet, eine lokale Chemotherapie wegen eines Blasenpapilloms zehrte an seinen Kräften. Am Ende des Festaktes musste er sich niedersetzen und bat mich, neben ihm Platz zu nehmen. Das Gespräch war kurz, aber emotional ins Herz gehend. Sollte ich später einmal Gelegenheit haben, so seine Bitte, dann möge ich doch, wenn möglich, darauf hinweisen und auch den Naturforschern zu erklären versuchen, dass zwischen Glaube und Wissenschaft kein Widerspruch bestehen müsste.
Das soll auch mit diesem Buch erfolgen, wobei ich mir bewusst bin, dass ich mich damit auf den Vorposten eines Umfeldes begebe, in dem das nicht unbedingt willkommen ist. Trotzdem ist es mir ein Anliegen, ein Versprechen einzulösen.
Große Fragen, kleine
Geister: ein Anfang
Das Universum ist eine Scheibe.
Flach wie ein Schachbrett, zweidimensional, eben. Das sagen die Weltraumforscher und liefern aktuelle Daten, die das belegen. Mit Megateleskopen spähen sie tief hinein in den Kosmos und bedienen sich einer recht simplen Mathematik, mit der auch Landvermesser auf der Erde arbeiten. Sie wählen einen weit entfernten Punkt, peilen ihn von zwei Seiten an, bestimmen ein Dreieck und messen die Summe seiner Innenwinkel. Ergeben sie 180 Grad, muss das Universum zweidimensional sein. Ergeben sie mehr als 180 Grad, wäre das All dreidimensional, eine Kugel. Abertausende Versuche haben die Wissenschaftler angestellt, und alle führten zum selben Ergebnis. 180 Grad. Unser Universum ist ein Brett. Schachmatt der Vernunft.
Analysen der TU Wien legen nahe, dass es sich nicht bloß um einen Rechentrick handelt, sondern um eine grundlegende Eigenschaft des Raums. Professor Daniel Grumiller vom Institut für Theoretische Physik sieht sogar Hinweise dafür, dass sich das Universum als Hologramm darstellt. Man kennt das von Hologrammen auf Geldscheinen oder Kreditkarten. Eigentlich sind sie zweidimensional, schauen aber dreidimensional aus. Seit Jahren forscht der Experte mit Kollegen von der Universität Edinburgh, von Harvard, dem Massachusetts Institute of Technology (MIT) und der Universität Kyoto an dem holografischen Prinzip. Das Universum, ein Science-Fiction-Film in 3D ohne Brille? Schachmatt der Gewissheit.
So schnell können sich Annahmen, Muster, Denkschulen oder physikalische Lehren ändern. Alles kann komplett anders sein, als man es bisher für möglich gehalten hat. Ganz anders richtig, hmm, und plötzlich wahr. Ein neuer Glaubenssatz. Kehrtwende. Eine neue Geisteshaltung. Gut so. Wissen ist Veränderung.
Früher dachte der Mensch: Die Erde ist eine Scheibe.
In der Antike hat man begonnen, an der Flachheit dieser Aussage zu zweifeln. Pythagoras hob im 6. Jahrhundert v. Chr. die Hand und sagte: Nein, Freunde, es ist in Wahrheit ganz anders. Die Erde ist eine Kugel. Auch Platon glaubte an das Globus-Modell. Sein Schüler Aristoteles schrieb Über den Himmel und erkannte drei Dinge, die kein Zufall sein konnten: dass im Süden südliche Sternbilder höher über dem Horizont erscheinen; dass schwere Körper zum Mittelpunkt des Alls streben; und dass der Erdschatten bei einer Mondfinsternis immer rund ist. Daraus folgt: Die Erde ist eine runde Sache. Ein anderer Querkopf namens Eratosthenes hat den Erdumfang im 3. Jahrhundert vor Christus gemessen. Für Christoph Kolumbus war dann im 16. Jahrhundert nach Christus schon lange klar, dass die Welt eine Kugel ist. Trotzdem gab es noch immer Kopfschüttler und Kleingeister, die den Zweifel über die Wahrheit stellten. Erst die Weltumsegelungen von Ferdinand Magellan und Francis Drake ließen die Skeptiker verstummen. Man schrieb das Jahr 1580.
Es mussten 22 Jahrhunderte vergehen, bis der Mensch vom ersten Signal bis zum letzten Beweis überzeugt war, dass wir nicht auf einem großen Feld leben. Sondern auf einem großen Wasserball. Aus zweidimensional wird dreidimensional.
Vice versa verhält es sich mit dem Universum. Früher dachte man, der Kosmos sei ein Raum. Auf einmal ist diese kugelrunde Unendlichkeit flach und der Mensch platt. Aus dreidimensional wird zweidimensional. Die Vermessungen der Welt ändern sich eben.
Die Ergriffenheit des Gemüts
Im Hintergrund regt sich etwas. Die großen Fragen der Menschheit. Fragen, die sich schon in der valentinianischen Taufformel von Clemens von Alexandrien im dritten Jahrhundert wiederfinden: Wer waren wir? Was sind wir geworden? Wohinein sind wir geworfen? Wohin eilen wir? Wovon sind wir befreit? Was ist Geburt? Was ist Wiedergeburt?
Der Harvard-Philosoph William James, Begründer der Psychologie in den USA und oberster Vertreter des philosophischen Pragmatismus, hielt vor 110 Jahren einen Vortrag vor den Philosophischen Clubs der Universitäten von Yale und Brown und fasste ihn später in einem schönen Satz zusammen: »Der Glaube bleibt eines der unentäußerlichen Geburtsrechte unseres Geistes.«
Es geht um das Grundrecht des Menschen, sich mit Zusammenhängen zu befassen, die über die fünf Sinne hinausgehen. Die Beschäftigung mit diesen Zusammenhängen muss allerdings vernünftig sein – und das ist kein Widerspruch.
Seit Menschengedenken verspürt unser Gemüt, aber auch unser Geist eine Ergriffenheit, wenn beide beginnen, sich mit einer übersinnlichen Welt auseinanderzusetzen.
Es ist der Herzschlag des Glaubens.
Der einzigartige Rhythmus und die leise Melodie,