Als sich die beiden davon überzeugt hatten, dass von dem Angreifer keine Gefahr mehr ausging, sprach der Beamte, der geschossen hatte, in ein Mikrofon, das an der Brustseite seines Einsatzanzugs befestigt war. Der andere trat mittlerweile nach vorne und schob wortlos Mallepieris Jackett zur Seite. Er ergriff die Beretta und steckte sie sich in seinen Gürtel. Dann erst verstaute er seine eigene Waffe wieder im Holster.
»Sie warten hier«, befahl er kurz und knapp.
Mallepieri war so geschockt, dass er nur wortlos nicken konnte. Ihm war klar, dass er ohne das Eingreifen der Polizisten nicht mehr am Leben gewesen wäre. Erst nachdem sein Verstand langsam wieder zu funktionieren begann, fing er an, sich die Frage zu stellen, wieso die Polizeibeamten so plötzlich aus heiterem Himmel aufgetaucht waren.
Es verging eine knappe Minute, dann betrat ein Zivilist die Garage.
»Grüß Gott, Herr Mallepieri«, grüßte der Mann. Dabei streifte er den erschossenen Angreifer nur mit einem kurzen Blick, »mein Name ist Eberhard Brunner, Kriminalhauptkommissar Brunner. Können wir ins Haus gehen? Ich muss mit Ihnen sprechen.«
Mallepieri nickte unkonzentriert. Was hatte das alles zu bedeuten? Bis jetzt war immer Emolino im Fokus der Polizei gestanden. Wem hatte er diesen verdammten Killer zu verdanken?
Drinnen angekommen, orientierte sich der Kriminalbeamte kurz, dann ging er wie selbstverständlich in die Küche und holte Mallepieri ein Glas Wasser. Er stellte es vor ihm auf den Wohnzimmertisch ab, dann setzte er sich in einen Sessel. Langsam ließ sich der Hausherr ihm gegenüber auf der Couch nieder. Mit leicht zitternden Händen trank er einen Schluck.
»Geht es wieder?«, fragte Brunner.
»Ja«, gab Mallepieri mit unsicherer Stimme zurück.
»Es ist mir klar, dass Sie von den Ereignissen völlig überfahren sein müssen. Eines haben Sie aber sicher mittlerweile registriert, dass Sie nur knapp dem Tod entronnen sind. Der freundliche Zeitgenosse in der Garage, der demnächst in einem Kunststoffsarg auf dem Weg in die Rechtsmedizin sein wird, hatte ganz klare Anweisungen.«
Der Kriminalbeamte ließ sein Gegenüber keine Sekunde aus den Augen.
»Anweisungen von wem?«, brachte Mallepieri heiser hervor.
»Können Sie sich das nicht denken? Don Emolino hat genaue Informationen über Ihre Pläne, die Sie kürzlich mit Don Pietro gegen ihn geschmiedet haben. Sie können sich denken, dass er sich darüber nicht gerade amüsiert hat.«
Mallepieri wurde blass. »Woher weiß er …?«
»Sie wissen doch selbst am besten, dass Emolino seine Fäden überall gespannt hat. Er ist ein schlauer Fuchs, der sich schon lange keine Illusionen mehr über die Menschen in seiner Umgebung macht. In eurer ehrenwerten Gesellschaft kann man doch keinem über den Weg trauen. Dafür sind Sie ja das beste Beispiel. Muss ich das weiter erklären?«
Mallepieris Kaumuskeln traten deutlich hervor. »… und woher weiß die Polizei …?«
Brunner zuckte mit den Schultern. »Als Emolinos Consigliere ist Ihnen doch bekannt, dass wir seit geraumer Zeit gegen die Familie ermitteln. Emolino hat es bisher noch immer verhindern können, dass wir aussagebereite Zeugen gefunden haben, um ihn für den Rest seines Lebens hinter Gitter zu bringen. Bei den Vernehmungen können sie sich an nichts mehr erinnern, oder es rafft sie vorher ein plötzlicher Tod dahin.«
Mallepieri schwieg. Natürlich kannte er die Methoden, die Emolino anwandte, um unliebsame Zeugen zum Schweigen zu bringen. In vielen Fällen hatte er selbst dafür gesorgt, dass die Mauer des Schweigens hielt.
Brunner erhob sich und stellte sich vor die großflächige Glasfront; von hier aus konnte man hinunter auf das Maintal und bis zum Wald am Gegenhang blicken. Betont beiläufig meinte er: »Ein guter Scharfschütze hätte sicher kein allzu großes Problem, vom gegenüberliegenden Hang auf einen Mann, der hier am Fenster steht, zu schießen.«
»Was wollen Sie von mir?«, fragte Mallepieri, obwohl er natürlich eine ziemlich genaue Vorstellung von dem hatte, was jetzt kommen würde.
Brunner drehte sich um und ließ sich wieder auf seinem Platz nieder. »Dieses Mal konnten wir Sie retten, weil wir Emolino im ganzen Haus abhören. Aber in einer halben Stunde sind wir wieder weg, und Sie bleiben ganz allein zurück. Wollen wir eine Wette darauf abschließen, wie lange Sie dann noch am Leben sind? Für ihn sind Sie ein Verräter, der bestraft werden muss. Wenn Emolino erfährt, dass die Polizei seinen Killer erschossen hat, wird ihm mit letzter Sicherheit klar sein, dass Sie mit uns zusammenarbeiten.«
Nervös trank Mallepieri sein Glas leer. Er wusste natürlich, wie Emolino tickte. Der Polizist hatte recht.
»Sie müssen mich schützen«, stieß er hervor.
Brunner zog ein bedenkliches Gesicht. »Sie wissen doch bestimmt aus den Medien von der Personalknappheit im öffentlichen Dienst. Auch die Polizei ist davon betroffen. Daher müssen wir Prioritäten setzen. Wir können nicht jedem, der mit Emolino Ärger hat, Personenschutz gewähren.«
Er machte eine kurze Pause, dann fuhr er fort: »Wie gesagt, wir müssen unsere Kräfte rationell einsetzen. Aber stellen wir uns einmal vor, es gäbe jemanden aus dem innersten Kreis von Emolino, der sich ebenfalls schwerer Straftaten schuldig gemacht hat, als Mitwisser oder vielleicht sogar durch eigene Verbrechen. Wenn sich diese Person beispielsweise der Staatsanwaltschaft als Kronzeuge zur Verfügung stellen würde, dann könnte man einen aufwändigen Personaleinsatz zu seinem Schutz sicher verantworten.« Er verstummte und ließ seine Worte erst einmal einwirken.
Mallepieri rutschte nervös auf seinem Sitz herum. Für ihn war völlig klar, dass sein Leben seit heute keinen Pfifferling mehr wert war. Selbst wenn er jetzt sofort alle Zelte abbrechen und sich auf die Flucht machen würde, könnte er dem weit verzweigten Netz Emolinos kaum entgehen. Er hatte das schon oft genug erlebt.
»Was müsste ein Kronzeuge tun?«
Brunner sah ihn nachdenklich an, dann erwiderte er: »Er müsste uns die gesamten Strukturen von Emolinos Verbrecherorganisation aufdecken, Namen nennen, Straftaten aufdecken und uns Beweise liefern, damit wir in die Lage versetzt werden, Emolino und seine Handlanger für immer hinter Gitter verschwinden zu lassen.«
»Wie sähe so ein Deal aus?«
»Das Gericht könnte ihm Strafmilderung oder sogar Straffreiheit gewähren. Für solche Fälle gibt es dann ein Zeugenschutzprogramm. Er bekäme eine neue Identität, womöglich eine Gesichtsoperation und einen Job an einem neuen Wohnsitz, irgendwo, wo ihn keiner kennt.«
Mallepieri stand der Schweiß auf der Stirn. »Das kann ich nicht machen. Emolino wird mich überall finden!«
Brunner erhob sich. Sein Mitleid mit dem Mafioso hielt sich in engen Grenzen.
»Ihr Leben ist schon heute keinen Pfifferling mehr wert, aber das müssen Sie selbst wissen«, erklärte er emotionslos und bewegte sich zur Tür.
»Verdammt, Sie können mich doch jetzt nicht so einfach hier sitzen lassen!«, rief Mallepieri fast panisch.
Der Kriminalbeamte zuckte mit den Schultern. »Ich habe es Ihnen ja erklärt.«
Als er bereits den Türgriff in der Hand hatte, rief Mallepieri ihn zurück. »Warten Sie! Lassen Sie uns noch einmal miteinander sprechen!«
»Verschwenden Sie nicht meine Zeit!«, gab Brunner kalt zurück. »Wollen Sie uns nun helfen oder nicht?«
In Mallepieri tobte ein schwerer Kampf. Schließlich brach er innerlich zusammen. »Was muss ich tun?«, fragte er leise.
Brunner hatte natürlich mit dieser Entscheidung gerechnet. Er trat wieder in den Raum zurück. »Suchen Sie sich ein paar Kleidungsstücke zusammen und nehmen Sie Ihre Papiere mit. Soweit Sie Bargeld im Haus haben, können Sie es auch mitnehmen. Lassen Sie sonst alles stehen und liegen, auch Ihr Handy. Nehmen Sie aber die SIM-Karte heraus. Dann müssen wir zusehen,