Mit dieser Analyse können nun zwei Arten und Begriffe weiblicher Freundschaft unterschieden werden: zum einen eine sekundäre, von männlichen Erfahrungen, Universalisierungen und Begriffen abgeleitete Freundschaft von Frauen, die die bestehenden kulturellen Ordnungen tendenziell reproduziert, wenn sie sich ihnen einordnet und an den vorherrschenden gesellschaftlichen Mustern orientiert, und zum anderen eine primäre Freundinnenschaft, die sich aus der Erfahrung von Frauen miteinander konstituiert. Diese Freundinnenschaft hat eine verändernde und befreiende Kraft, die beginnt, ein neues Denken zu schaffen (vgl. auch Hartlieb).
FREUNDINNEN IN DER BIBEL
In der Bibel kommen Frauen nur wenig vor. Oftmals sind sie in der Rede von Männern mitgemeint, aber darüber entscheiden wiederum oftmals Männer, etwa wenn von Aposteln, Episcopoi (Vorstehern) oder Diakonen die Rede ist. Selten finden sich aber auch explizit Frauengruppen und Schwesternpaare, wie die vier Frauen unter dem Kreuz, von denen zwei Schwestern sind (Joh 19,25f.), oder das Schwesternpaar Maria und Martha (Joh 19,25; Joh 12,1–4 parr), die vielleicht als Analogie zu den erstberufenen Brüderpaaren Andreas und Petrus (Joh 1,35–42; bei Markus zusätzlich Jakobus und Johannes, vgl. Mk 1,16–20 parr) gedacht waren und darauf hinweisen sollen, dass die nachösterliche Nachfolgegemeinschaft auch schwesterlich und nicht nur brüderlich weitergeht.
Biblisch sind zwei anrührende Erzählungen von Freundinnenschaft überliefert. Da ist die Erzählung von den beiden schwangeren Frauen Maria und Elisabeth (Lk 1,39–56), die sich in ihrem unerwarteten Umstand aufsuchen; als sie sich begegnen, erkennen sie sich intuitiv und wissen umeinander. Die andere Geschichte handelt von der Verbundenheit von Noomi und ihrer Schwiegertochter Rut. Nach dem Tod ihres Mannes und ihrer Söhne beschließt Noomi, in ihre Heimat zurückzukehren. Rut bleibt an ihrer Seite und will ihr Leben mit ihr teilen: „Wohin du gehst, dahin gehe auch ich, und wo du bleibst, da bleibe auch ich. Dein Volk ist mein Volk und dein Gott ist mein Gott. Wo du stirbst, da sterbe auch ich, da will ich begraben sein. Der HERR soll mir dies und das antun - nur der Tod wird mich von dir scheiden“ (Rut 1,16f.). Die beiden Frauen sorgen füreinander und schaffen es auf diese Weise, sich ein neues Leben aufzubauen. Als Rut einen Sohn bekommt, feiern die Nachbarinnen mit ihnen, sie geben dem Kind einen Namen, deuten das Geschehen und nehmen damit als Frauen die Definitionsmacht und soziale Bewertung für sich in Anspruch. „Du wirst jemanden haben, der dein Herz erfreut und dich im Alter versorgt; denn deine Schwiegertochter, die dich liebt, hat ihn geboren, sie, die mehr wert ist als sieben Söhne“ (Rut 4,15).
Ansonsten finden sich nur noch Spuren von Freundinnen in der Bibel. Der Begriff Freundin im Sinn von Freundinnenschaft zwischen Frauen kommt insgesamt nur dreimal vor (vgl. Rapp, 12): Die Mitfreude der Freundinnen wird im Gleichnis von Gott als einer Frau erzählt, die eine verlorene Drachme sucht und mit ihren Freundinnen und Nachbarinnen das Wiederfinden feiert (Lk 15,8–10). In Ps 45,15 werden die Freundinnen als Begleiterinnen der Königsbraut erwähnt. In Ri 11,29–40 begleiten die Freundinnen die Tochter des Jiftach, die aufgrund eines Versprechens geopfert werden soll, in die Berge, um mit ihr ihr Schicksal zu beweinen. Daraus entwickelt sich ein solidarisches Frauen-Brauchtum: Jedes Jahr ziehen Mädchen für vier Tage in die Berge zur Klage über die Opferung dieses Mädchens.
FREUNDINNENSCHAFT ALS THEOLOGISCHE KATEGORIE DER BEZIEHUNG ZWISCHEN GOTT UND DEN FRAUEN
In den Geschichten der Bibel und in den männlichen Metaphern von Gott als Vater, Sohn, König oder Ehemann finden Männer ihren Glauben und ihre geschlechtliche Identität repräsentiert. Frauen können sich nur unter Absehung ihres Geschlechts und in der Identifikation mit dem universalisierten Männlichen in den biblischen Texten und Gottesbildern wiederfinden. Sie müssen sich in das universale Männliche konvertieren und Übersetzungsarbeit zwischen den Geschlechtern leisten. Das entfremdet sie von Gott und sich selbst und unterwirft sie und ihren Glauben der männlichen Deutungshoheit. Zudem hat es den männlichen Herrschaftsanspruch über Frauen sakralisiert.
Frauen können sich nur unter Absehung ihres Geschlechts und in der Identifikation mit dem universalisierten Männlichen in den biblischen Texten und Gottesbildern wiederfinden.
Wir können der androzentrischen Sprache und Tradition nicht entkommen. Wir können aber dazu beitragen, sie zu verändern und das Anliegen der biblischen Tradition, den Heilswillen Gottes für alle Menschen erlebbar zu machen und zu verkünden, besser zum Ausdruck zu bringen. Die Freundinnenschaft kann eine theologische Kategorie sein, um die Beziehung zwischen Gott und den Frauen in einer neuen Weise auszudrücken (vgl. auch Wustmans). Sie gründet in der Erfahrung einer heilvollen Beziehung von Frauen zueinander, ohne sich dabei auf eine männliche Deutungshoheit zu beziehen. Sie ist keineswegs exklusiv im Sinn eines Absolutheitsanspruchs zu verstehen, sondern sie schließt ein und bringt zum Ausdruck, dass es viele unterschiedliche Erfahrungsweisen und Redeweisen von Gott gibt, die gleichermaßen Bruchstücke sind und nur gemeinsam die Beziehung Gottes zu den unterschiedlichen Menschen zum Ausdruck bringen können. Sie ist aber auch nicht inklusiv in dem Sinn gedacht, dass hier Männer mitgemeint seien. Vielmehr ist sie als eine Weise zu verstehen, divers zu denken, das heißt als ein Weg, die Beziehung zwischen Gott und den Menschen in der Vielfalt ihrer verschiedenen Existenzweisen zu artikulieren, ohne sie auf ein hegemoniales Denken und Sprechen zurückzuführen. Die Einheit und Richtigkeit der Rede von Gott besteht nicht in der Universalisierung einer androzentrischen Redeweise von Gott, sondern in Gott selbst und in Gottes universalem Heilswillen für alle unterschiedlichen Menschen. Die Theologie kann mit dem Begriff der Freundinnenschaft die Beziehung Gottes zu den Frauen und deren Beziehung zu Gott artikulieren. Die Kategorie der Freundinnenschaft birgt das Grundanliegen der biblischen Überlieferung, die Beziehung Gottes zu den Menschen vertrauensvoll anzunehmen und aus ihr in Beziehung zu Gott zu leben, und verbindet den Gottesnamen „Ich bin da“ oder „Ich bin die ich bin“ mit den Erfahrungen von Frauen. Sie stellt damit einen Beitrag auf dem Weg zu einer komplexeren und angemesseneren Rede von Gott und zur Reflexion über Gottes Beziehung zu den Menschen dar.
Die Theologie kann mit dem Begriff der Freundinnenschaft die Beziehung Gottes zu den Frauen und deren Beziehung zu Gott artikulieren.
LITERATUR
Walser, Angelika (Hg.), „Freundschaft“ im interdisziplinären Dialog. Perspektiven aus Philosophie, Theologie, Sozialwissenschaften und Gender Studies, Innsbruck/Wien 2017.
Hofheinz, Marco u. a. (Hg.), Freundschaft. Zur Aktualität eines traditionsreichen Begriffs, Zürich 2013.
Diotima, Der Mensch ist zwei. Das Denken der Geschlechterdifferenz, Wien 1989.
Libreria delle donne di Milano, Wie weibliche Freiheit entsteht.
Eine neue politische Praxis, Berlin 1988.
Cavarero, Adriana, Ansätze zu einer Theorie der Geschlechterdifferenz, in: Diotima, Der Mensch ist zwei. Das Denken der Geschlechterdifferenz, Wien 1989, 65–102.
Hartlieb, Elisabeth, Leidenschaftliche Freundschaft. Elisabeth Stuarts Entwurf einer theologischen Beziehungsethik, in: Walser, Angelika (Hg.), „Freundschaft“ im interdisziplinären Dialog. Perspektiven aus Philosophie, Theologie, Sozialwissenschaften und Gender Studies, Innsbruck/Wien 2017, 225–255.
Rapp, Ursula, Frauen-Freundschaften, -Gemeinschaften und -Räume. Quellen von Frauenbeziehungen in der Bibel, in: Lamberty-Zilinski, Hedwig, Frauenfreundschaft, Stuttgart/Düsseldorf 2005, 12–17.
Wustmans, Hildegard, Wenn Gott zur Freundin wird… : Freundinnenschaft - der Weg zum neuen Himmel und zur neuen Erde, Frankfurt a. M. 1993.
Männer-Freundschaft
„Wunderbarer war deine Liebe für mich als die Liebe der Frauen.“ So endet die Klage Davids über den Tod seines Freundes Jonathan (2 Sam 1,26). Dabei war es nicht so, dass der Womanizer den Frauen abgeneigt gewesen wäre. Nicht zuletzt hatte er ja Jonathans Schwester