Anno 1525: Der Stadtschreiber zu Würzburg. Christoph Pitz. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Christoph Pitz
Издательство: Bookwire
Серия: Würzburger historische Novellen
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783429064563
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Lande geschrieben und allenthalben Landtage abgehalten, nur um euch von unserem Würzburg abzuhalten. Der alten und ehrwürdigen Stadt, in der es der Landesherr als ach so hochwohlgeboren Adeliger und Pfaffe in derselben Gestalt schon lange am schändlichsten von allen treibt. Genug ist genug! Wir schauen dem gottlosen und lästerlichen Treiben keinen Tag noch länger zu. Die üblen Anführer, städtischen Räte und Hauptleute halten uns nicht mehr auf. Wir stellen Gottes Willen auf Erden wieder her. Lasst uns die Burg nehmen und dann das ganze fränkische Land!“

      Bermeter wurde von seiner eigenen Rage und Kraft überrascht, ebenso von der Pause in seinen Worten, die er nun ganz unvermittelt einlegte. Atemlos horchte er in die vom hitzigen Klang seiner Stimme gebannte Menge, konzentriert ging der Blick von einem eingefangenen Augenpaar zum anderen. Ein kurzer Moment nur, aber er dauerte in Bermeters Wahrnehmung an wie ein ganzes Leben.

      „Auf zum Sturm! Morgen früh schon. Schlagen wir die Herrschaft und ihr elendes Gesindel endlich tot!“

      „AUF ZUM STURM. WIR SCHLAGEN SIE ALLE TOT! AUF ZUM STURM!“, erscholl es tausendfach zurück.

       SAMSTAG, 13. Mai 1525

       Eine Stunde vor Mitternacht

      Martin Cronthal war in aller Eile zu seinem Schreibpult zurückgekehrt. Der geheime Brief für den Kommandanten der Festung musste neu geschrieben werden. Kanonen auf dem Gleßberg und der mögliche Beschuss von dort bedeuteten eine neue Eskalation, der zu begegnen war. Was würde in der Folge geschehen? Wie ließ sich das verhindern? Martin trachtete in seinem neuen Schreiben danach, Rotenhan angesichts der Lage zu überzeugen, gemeinsam mit ihm und den vernünftigen Kräften der Stadt deeskalierend zu wirken und von Stadt wie Festung auf Kriegshandlungen zu verzichten, die doch sowieso nur Unheil über alle Kinder Würzburgs auf beiden Seiten brächten. Die Tinte trocknete ab.

      Er wickelte das Papier so eng ein, wie es sich drehen ließ, steckte es behutsam in den hohlen Schaft eines neuen Bolzens, der ebenfalls in der Lade seines Pultes verwahrt war, rot bestrichen und ohne Spitze. Diese holte er aus einer weiteren Lade hervor und steckte sie auf; sie bestand aus gehärtetem Eisen und war in der Lage sich von der festen Sehne einer Armbrust aus tief in das Gemäuer ihres Zieles zu bohren.

      Hanne hielt sich derweil im Verborgenen der Schreibstube auf, ruhig und in sich gekehrt. Unsichtbar. Ausserhalb des Scheins der Öllampe harrte sie in der dunklen Ecke der Stube des Vaters aus und bereitete sich auf die bevorstehende Aufgabe vor. Dazu war sie in schwarze Hosen und Wams geschlüpft, das lange Haar zu einem Knoten zusammengedreht und unter einen breitkrempigen Hut gesteckt, wie die Bauern ihn zu tragen wussten.

      „Bist du sicher, dass du es wirklich tun willst?“ Cronthal nestelte an dem Bolzen herum.

      „Wen kannst du denn schicken, wenn ich es nicht mache?“

      Cronthal war mehr als nur unwohl zumute bei dem, was er gerade im Begriff war zu tun.

      „Ich hätte dich verheiraten sollen mit dem Claus Schmidt, als der mich darum ersuchte.“

      „Dann wäre ich doch nur fortgelaufen, Vater. Vor dem Alten und seinem schwabbeligen Fleisch ekelt es mir.“

      „Ach, hätte ich dich doch nur zur Gehorsamkeit geschlagen, wie es deine Mutter verlangte.“

      „Mutter hat von dir Schläge gegen mich verlangt?“

      Martin zögerte mit der Antwort. „Sie hat sogar Schläge gegen sich selbst verlangt. Sie sagte immer, dass sie so vor Gott ihrer angeblichen Sünden und ihrer Aufgabe in unserer elenden Welt gewahr würde. Ich konnte das aber nicht tun. Jetzt ist sie heimgegangen. Nur dein Bruder und du sind mir geblieben.“

      „Ich aber bin nicht wie Mutter. Ich bin mehr wie du. Vertrau mir, es wird mir gelingen.“

      Martin Cronthal umfing seine Tochter wortlos und nickte.

      ***

      Hanne, in dunklen Hosen und Wams ganz unweibisch gegen die dunkle Nacht geschützt, schlich sich im Süden von Stift St. Burkard durch die Schatten der Nacht Stück für Stück den steilen Berg zur Burg hinauf, stets im Schatten und der Deckung des Weines im Hang, damit sie nicht entdeckt wurde. Schritt für Schritt an der Mauer entlang der Festung entgegen.

      Als sie ihr Ziel südlich unterhalb des riesigen Sonnenturms erreicht hatte, kauerte sie sich an das Fundament dort und bereitete sich auf ihre Aufgabe vor. Sie nahm die umgehängte Armbrust von ihrem Rücken, spannte das Bogenseil der Waffe, legte den mitgeführten Bolzen aus ihrer Umhängetasche in den Schaft und zielte steil nach oben, damit der Pfeil die Verteidigungswehre und auch die Schlossgebäude überwinden würde, um schließlich irgendwo im Hof der Burg einzuschlagen.

      Sie drückte konzentriert ab, das Geschoß flog sirrend in die Schwärze der mond- und sternenlosen Nacht hinein. Dann robbte sie durch die Weinberge auf allen Vieren wieder hinunter zu Fluss und Stadt. Was Hanne dabei noch nicht wusste, war, dass sie zu den letzten Personen gehören würde, die in diesem Krieg unbehelligt die große Steinbrücke über den Main noch einmal überquerte.

      Bruder Michel ging durch die stark befestigte Torburg hindurch, grüßte den Posten, der sich schlaftrunken an seiner Hellebarde festhielt mit einem Gott zum Gruße, und suchte Schritt für Schritt, einen Fuß vor den anderen setzend seinen Weg in das Innere der mächtigen Bischofsburg hinein. Es war so dunkel, dass man die eigene Hand vor den Augen nicht sah. Kein Feuer brannte, kein Lichtschein schimmerte durch Fensteröffnungen, kein Laut zur Orientierung war zu hören. Das war die Anweisung des Kommandanten ihrer von rebellischen Mordhaufen und Räubergesindel eingeschlossenen Burg. Michel dachte an die furchtbaren Tage, die hinter ihm lagen. Ein Schauder durchlief dabei seinen Körper, er musste kurz innehalten.

      Als sie der Bauern gewahr wurden, die aus der Stille heraus mit plötzlichem und unmenschlichem Gebrüll in sein braves Kloster eindrangen, war es schon längst zu spät gewesen. Die meisten seiner Mitbrüder konnten sich nicht retten und verloren das Leben auf grausame Weise. Bevor es ihm gelungen war aus einem Fenster zu springen, sah er noch Bilder und Szenen des Grauens, die er nie wieder würde bannen können. Er musste damit leben und damit eines Tages sterben. Wie war es nur möglich, dass Gott solche Greueltaten unter seinen Menschenkindern zuließ? Michel stolperte und fing einen Sturz gerade noch geschickt ab, indem er das rechte Bein ausstellte. Er musste diese Grübeleien und Zweifel an seinem Glauben unbedingt besiegen. Es ist eine Prüfung durch Gott, dachte er, ich muss beweisen, dass ich rechten Sinnes und fest im Glauben bin.

      Michel setzte seinen Weg fort. Nachdem er aus seinem geplünderten und wahrscheinlich auch zerstörten Kloster Bronnbach – er wusste es nicht genau – geflohen war, hatte er Würzburg kurz vor den bäuerlichen Haufen erreicht, zu Fuß, ausgezehrt und allein. Für die Aufnahme in der überfüllten Burg war er dankbar, aber dem Krieg, dem Unheil und wahrscheinlich auch dem Tod war er damit noch nicht entronnen. Den Frieden des gottgefälligen und arbeitsreichen Klosterlebens hatte er jäh verloren, aber er war froh um die zahlreichen Arbeiten, welche die Verteidiger dieser Festung all den in ihr Eingeschlossenen so straff zugewiesen hatten. Sie gaben Beschäftigung, die vom Jammertal ablenkte, und dazu auch etwas Hoffnung. Seine Aufgabe war es in dieser Nacht, hoch oben auf dem Bergfried die Alarmglöckchen zu überwachen, die über lange Schnüre von den Wach- und Horchposten dort zusammenliefen. Es war seit seiner Ankunft der erste Dienst, den er zu verrichten hatte, er freute sich darauf, ihrer Schicksalsgemeinschaft auf diesem Berg endlich von Nutzen sein zu können. Im diffusen Dunkel des Burghofes tauchte nun das mächtig in die Höhe ragende Gemäuer des Bergfrieds vor Michels Augen auf, dahinter schattenartig die Burgkirche der Heiligen Mutter Gottes. Er suchte in der tiefen Dunkelheit nach dem hölzernen Treppenaufgang, der außen an der Mauer zum Turmeinstieg über dem Kerkerloch führte. Gerade als er in der Schwärze nach dem Treppengeländer