4. Spiritueller Angelpunkt
Bei Christus verweilen wie bei einem Freund – Gott und seinen Willen suchen und finden
Teresa
Ich hatte diese »Säule des inneren Betens« mit dem Buch »Das dritte geistliche Alphabet« des Franziskaners Francisco de Osuna kennengelernt. Mein Onkel Pedro hatte es mir gegeben, als ich 1538, schwer erkrankt, auf dem Weg zu einer Heilerin war. Dieses Buch lehrte mich, dass Beten etwas ganz Einfaches und sehr Persönliches ist, und mir wurde bewusst, dass ich in meiner Kindheit quasi selbstverständlich so gebetet hatte. Ich hatte mir zum Beispiel vorgestellt, mit Jesus am Ölberg zu verweilen. In meiner Vida beschrieb ich diese Weise zu beten später als trato de amistad, als Freundschaftspflege mit Gott: Inneres Gebet ist »nichts anderes … als Verweilen bei einem Freund, mit dem wir oft allein zusammenkommen, einfach um bei ihm zu sein, weil wir sicher wissen, dass er uns liebt« (V 8,5).
Ignatius
Ich bin berührt, wie du von deiner jahrelangen Krise und deinem Weg zum inneren Beten erzählst. Auch mir war es sehr wichtig, mit Christus im Gespräch zu sein wie mit einem Freund. Und doch gab es, so scheint es mir, einen typischen Unterschied. Du betontest das Verweilen bei Christus, »einfach um bei ihm zu sein, weil wir sicher wissen, dass er uns liebt« (V 8,5). Ich habe in meinem Exerzitienbuch geschrieben: »Das Gespräch wird gehalten, indem man eigentlich spricht, so wie ein Freund zu einem andern spricht oder wie ein Knecht zu seinem Herrn« (EB 54). Dabei ging es mir zentral darum zu erkennen, »was ich für Christus tun soll« (EB 53).
Das war dir auch wichtig, das weiß ich. Doch im Unterschied zu dir entwickelte ich nicht eine eigene Form des inneren Betens und Verweilens, sondern die Methode der »Geistlichen Übungen« mit dem Ziel, Gott und seinen Willen zu suchen und zu finden bzw. Christus »mehr zu erkennen, um ihm mehr zu dienen und nachzufolgen« (EB 130). Wie ich es den Übenden nahelegte, beendete ich dazu selber jeden Tag mit dem »Examen«, dem »Gebet der liebenden Aufmerksamkeit«, wie manche diese Übung gerne nennen. Dabei führte ich mir den vergangenen Tag vor Augen und bedachte ihn dankend, klagend und bittend vor Gott. Dieses Gebet wurde mir zur wichtigsten Viertelstunde des Tages. Ich dankte für Geschenktes und Gelungenes, bat um Vergebung für meine Verfehlungen und um Kraft, Mut und Beistand auf das Kommende hin.
In meinem Exerzitienbuch habe ich alle meine geistlichen Übungen systematisch zusammengestellt und da steht am Schluss jeder Übungseinheit das Gespräch mit Gott. Das war mir sehr wichtig, da ich dazu anleiten wollte, radikal Gott und seinen Willen zu suchen. Auch in der geistlichen Begleitung von Menschen vertraute ich zutiefst darauf, dass Gott in jedem Menschen einmalig wirkt und Gottes Wille ein Liebeswille ist. Ich versuchte deshalb konsequent, auf Beeinflussung zu verzichten. Das war in der damaligen Zeit gar nicht selbstverständlich. Das hast du ja mit manchen Beichtvätern schmerzlich erlebt.
Teresa
Was du sagst, lieber Ignatius, bewegt mich. Es ist deine große Stärke, das Wesentliche knapp und klar auf den Punkt zu bringen. Was mir zusätzlich sehr gefällt, ist, dass du schriebst »Gott umfängt uns«. Du bist ja sonst eher zurückhaltend mit dem Ausdruck von Gefühlen – im Unterschied zu mir! Wobei, du lässt in den Exerzitien sogar um Gefühle bitten, zum Beispiel bei der Betrachtung der Auferstehung: »Gnade erbitten, um fröhlich zu sein und mich innig zu freuen …« (EB 221). Einig sind wir uns allerdings darin, dass Gefühle nicht das Entscheidende sind.
Ich muss sagen, Ignatius, ich finde unser Gespräch spannend und erhellend. Unsere Herkunft, unsere Lebensform und unser Geschlecht spiegeln sich offensichtlich in unserer Spiritualität. Du warst viel – oft allein – unterwegs, ein Pilger, und dein Angelpunkt war die Suche nach dem Willen Gottes im Hier und Jetzt. In langjähriger Arbeit hast du deine Übungen systematisiert und damit für unzählige Übende zugänglich gemacht.
Dies war weniger meine Art. Ich lebte im Kloster in einer Gebetstradition, die das mündliche Beten betonte – mit der Gefahr, dass das gemeinsame Stundengebet ohne eine echte, spirituelle Gottesbeziehung »absolviert« wurde. Das klingt vielleicht etwas despektierlich. Aber ich litt darunter und dies trug wesentlich dazu bei, dass mir das innere Gebet so wichtig wurde. Wir waren also beide aus unterschiedlichen Gründen herausgefordert, eine eigene Spiritualität und Gebetspraxis sozusagen neu zu erfinden. Für dich waren das Betrachten des Weges Jesu und das aufmerksame Wahrnehmen der inneren Regungen zentral, eine Praxis, die du in der langen Genesungszeit auf dem Krankenbett begonnen hattest. Für mich war es ein langjähriger, schwieriger Prozess, in dem ich – auch dank guter Begleitung durch studierte und mit mystischen Erfahrungen vertraute Theologen – lernte, meine inneren Erfahrungen zu verstehen, sie zu beschreiben und ihnen zu vertrauen. Dabei spielte die Lektüre, wie auch für dich, eine zentrale Rolle – wobei mir manche Bücher, vor allem auch die Bibel, in spanischer Sprache verboten waren. Darunter litt ich sehr. Aber noch wichtiger als die Lektüre waren für mich die Gespräche. Ich bin ja ein sehr kommunikativer Mensch und hatte Gott sei Dank die Möglichkeit, mit meinen Mitschwestern, mit Freundinnen außerhalb des Klosters und mit meinen Beichtvätern Gespräche zu führen. Einige von ihnen verstärkten allerdings, wie ich dir schon erzählt habe, meine Angst davor, meinen mystischen Erfahrungen zu vertrauen und meinen eigenen Weg zu gehen. Wie du weißt, wurde damals Frauen mit mystischen Erfahrungen schnell unterstellt, die Erfahrungen seien nicht echt oder gar, der Teufel sei am Werk. Vielleicht hat mich auch das aufgrund meiner jüdischen Vorfahren tief in mir verankerte Bemühen, eine besonders gute Christin zu sein, zusätzlich verunsichert und meine Angst, eine Sünderin zu sein, verstärkt.
Doch zurück zu dir: Du hast gesagt, dass du nach deiner langen Zeit der Genesung neue Prioritäten gesetzt hast. Was hast du denn verändert?
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