Was deine Angst dir sagen will. Andreas Winter. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Andreas Winter
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Сделай Сам
Год издания: 0
isbn: 9783863743253
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Durch das ständige Zusammentreffen beider Reize – Entladung und Handschütteln – wird die emotionale Bedeutung des einen Reizes auf einen bislang neutralen Reiz ausgeweitet.

      Die gesamte Welt der Symbole hat diese Struktur. Ein Symbol besteht immer aus zwei Elementen: Etwas, das ist, und seiner Bedeutung. Die Ursprungsbedeutung des griechischen Wortes Symbállein (συμβαλλειν = Zusammenwerfen) deutet das bereits an.

      So kommt es, dass Menschen tatsächlich glauben, Zigarettenrauch würde das Ausschütten von Glückshormonen erzeugen, obwohl ihnen jeder Nichtraucher beim Einatmen von Qualm etwas hustet und bestätigt, dass Qualm keineswegs glücklich macht. Der Raucher aber ist darauf konditioniert, dass Rauchen offenbar nur Erwachsenen erlaubt ist und in kleinen Pausen stattfindet: Er fühlt sich, sobald er qualmt, frei von Erwartungsdruck.

      Dabei zeigt sich, dass wir voller Konditionierungen sind. So bekommen fast alle Menschen einen Adrenalinstoß, wenn man sie anschreit – dabei ist eine laute Stimme keinesfalls bedrohlich, wie jeder bestätigen kann, der schon einmal einen Operntenor live singen hörte. Noch nicht mal beim Gesang des Rocktenors Peter Hofmann (* 22.08.1944 – † 29.11.2010) bekamen die Menschen Angst. Laute Stimmen an sich erzeugen nämlich keinen Stress!

      Das eigentlich Bedrohliche an einer lauten Stimme haben Menschen oftmals bereits während der Entwicklung im Mutterleib erfahren, wenn die eigene Mutter von Eltern, Partnern oder jemand anderem angeschrien wurde oder selbst Grund zum wütenden Schreien hatte. Mütterliche Stresshormone werden zeitgleich mit der lauten Stimme (die das Kind im Bauch ab etwa dem fünften Schwangerschaftsmonat hören kann) ausgestoßen – und das auch nur, weil früher bei der Kindeserziehung nicht nur geschrien, sondern auch geschlagen und verletzt wurde. Lernprozesse erhalten sich auf diese Weise durch die Mütter über Jahrhunderte hinweg!

      Sie können bereits allein durch diesen Hinweis nun etwas gefasster bleiben, wenn man Sie anschreit.

      Ein Erlebnis meiner Studentin Maria-Theresia Niegel aus Wettringen zeigt, wie differenziert sich Konditionierungen auswirken können – im folgenden Fall war eine brennende Waschmaschine Auslöser für drei Symptome:

      Fallbeispiel: Brennende Waschmaschine

      Vor ein paar Monaten führte Maria-Theresia ein Telefonat mit der Sachbearbeiterin ihrer Krankenkasse. Die freundliche und interessierte Mitarbeiterin fragte sie im Gespräch, wie denn die Arbeit als Coach genau aussehe. Meine Kollegin erzählte ihr von Ursachenanalyse, Symptomauflösung usw., woraufhin die Frau Hilfe suchend ein Gespräch über ihren 7-jährigen Sohn begann, der seit langer Zeit unter Neurodermitis, Asthma und einer besonderen Form von Autismus leide.

      Sie hatten über die Jahre mehrere Therapeuten unterschiedlicher Art aufgesucht mit mäßigem Erfolg. Maria-Theresia stellte ihr am Telefon eine für uns Coaches klassische Analysefrage: ob während der Schwangerschaft irgendein tief greifendes Ereignis stattgefunden hätte. Das machte die Frau nachdenklich. Nach kurzer Überlegung sprach sie von einem Brand in ihrem Haus, bei dem sie fast umgekommen wären, da sich alle im Schlaf befanden. Ein Kurzschluss der Waschmaschine im Keller hatte den Brand ausgelöst. Maria-Theresia analysierte weiter:

       Ich erkundigte mich daraufhin, ob bei ihrem Sohn die Symptome permanent auftauchen oder ob diese auftreten, wenn er unter starkem Stress oder Druck stehe. Sie bestätigte bereits meine Annahme und betonte noch, dass selbst der Autismus sich nur in solchen Situationen bemerkbar macht. Ich klärte sie darüber auf, dass Babys im Bauch ihrer Mutter über die Nabelschnur nicht nur mit Nährstoffen versorgt werden, sondern auch sämtliche Neurotransmitter, also auch Stresshormone abbekommen. Das Baby im Bauch geriet beim Hausbrand also ebenso wie die Mutter unter Stress. Es braucht nicht viel Fantasie, um sich vorzustellen, was einem Menschen in so einer akut dramatischen Situation widerfährt. Todesangst, Panik, Hektik – oft kann man keinen klaren Gedanken mehr fassen und ist nur noch bemüht, das eigene Leben zu retten. Überforderung, Machtlosigkeit, Hilflosigkeit, das Ohnmachtsgefühl, allem ausgeliefert zu sein. Allein der Gedanke an so eine Tragödie erzeugt in uns oftmals bereits Stress.

       Nun weiß ein kleines Baby aber nicht, dass es sich im Bauch seiner Mutter befindet und es deren Gefühle sind, von denen es da gerade überwältigt wird. Es wird wie von einem Blitzschlag aus heiterem Himmel davon getroffen. Was würde man selbst wohl machen, wenn man in einer solchen bedrohlichen Lage wäre? Nur raus hier und weg!

       Daraufhin sagte die Frau am Telefon: „Oh mein Gott, jetzt weiß ich auch, warum ich plötzlich heftige Wehen bekam und in Panik geriet!“ Das Drama hatte also offenbar noch kein Ende. „Jetzt wird mir auch klar, warum mein Sohn, als er anfing zu laufen, immer zur Waschmaschine gegangen ist, auch wenn wir bei Freunden oder Verwandten waren!“ Das Kind hatte offenbar gelernt, dass das Geräusch einer funktionierenden Waschmaschine beruhigend ist.

       „Irgendwann hat er dann damit aufgehört“, sagt sie. Ich vermutete, dass der Junge vielleicht einen Ersatz für die Waschmaschine gefunden hat. Vielleicht etwas, das so ähnlich klingt? „Das ist mir jetzt unheimlich!“ sagte die junge Mutter besorgt und fragte weiter: „Was kann man denn da machen?“

       Ich entgegnete: „Das ist nicht unheimlich, das ist unterbewusster Stress. Um ihn zu überwinden, muss Ihr Sohn nur verstehen, dass es Ihr Stress war, nicht seiner, und er heute nicht mehr ‚gefangen‘ ist, sondern ihm andere Möglichkeiten zur Stressbewältigung offenstehen.“ „Das ist alles?“ „Ja, das ist alles und es ist nicht mal schwierig“, entgegnete ich.

      Soweit ein Analysebeispiel meiner Kollegin Maria-Theresia Niegel. Die therapeutische Konsequenz wäre in diesem Falle, dem Kind in einer Traumreise diese Zusammenhänge imaginär zu zeigen, um ihm dann eine alternative emotionale Schlussfolgerung zu ermöglichen, damit seine stressbedingten Symptome abklingen können.

      Wir sehen also, Konditionierungen können sehr differenziert sein. Man kann sogar ein und denselben Reiz mit verschiedenen Bedeutungen belegen.

      Wenn Primarstufenschüler im langweiligen Unterricht sitzen, mit dem Schlaf kämpfen (weil ihnen vor lauter Disziplindruck der wertvolle Botenstoff Serotonin ausgegangen ist, jenes Hormon, das uns zur Aufmerksamkeit befähigt) und es läutet zur Pause, dann atmen sie erleichtert auf, sind wieder hellwach und rennen lärmend auf den Schulhof. Nachdem sie dort 15 Minuten lang Fangen, Gummitwist und Fußball gespielt haben, läutet es erneut. Rennen die Kinder nun wieder gröhlend in die Klasse? Nein! Sie verdrehen die Augen, stöhnen und schleppen sich wieder an ihren Platz.

      Der gleiche Reiz kann eine völlig andere Bedeutung bekommen und damit eine völlig andere Reaktion auslösen. Das ist auch der Grund dafür, warum der eine Mensch dick wird, wenn er Schokolade isst, und der andere abnimmt. Letzterer macht etwa die sogenannte Schokoladen-Diät, hat somit nach drei Tagen die Nase gestrichen voll von Schokolade und fühlt sich nach dem Verzehr anders als ersterer.

      Das bedeutet zugleich: Je mehr Angst und Stress ein Mensch dabei empfindet, seine geliebte Schokolade zu essen, desto dicker wird er, weil er sie mit einem komplizierten Stoffwechselbefehl zu Fett umbaut. Übergewichtige sind Menschen mit einer speziellen Angst vor Mangel. Wie man diese auflöst, habe ich in meinem Buch „Abnehmen ist leichter als Zunehmen“ beschrieben.

      Geiz und Übergewicht sind Ausdruck ähnlicher Ängste. Geiz ist ein verzweifeltes Festhalten an etwas, das rar und selten erscheint und dessen Wert hoch eingestuft wird. Geiz ist somit ebenfalls eine erlernte Angst vor Mangel. Nicht selten sind „Messies“, also Menschen mit einer Wegwerf-Hemmung, auch übergewichtig.

      Da Kinder ganz besonders lernfähig und noch sehr unkritisch sind, sollten wir im Umgang mit ihnen behutsam sein. Kinder sind leicht zu konditionieren und folgern nach kurzer Zeit automatisch, dass zwei völlig voneinander unabhängige Dinge „A“ und „B“ zusammengehören. Kinder glauben den abstrusesten Unsinn, wie etwa dass man sich anstrengen muss, um erfolgreich zu sein, dass man gut in der Schule sein muss, um später Geld zu verdienen, dass Fremde einem Böses wollen oder dass man, wenn man krank ist, zum Arzt gehen muss. Derart konditioniert gehen viele durchs Leben, ohne jemals kritisch zu prüfen, ob das überhaupt stimmt, was die halbe Welt denkt, und das, obwohl solche Gedanken großes Leid erzeugen und es Millionen Ausnahmen davon