Auf niederer animalischer Ebene sorgt das Gesetz vom Fressen und Gefressenwerden für die Entstehung nützlicher Varianten.
Flucht in Frauenkleidern
Sie haben Billy Wilders Film „Manche mögen’s heiß“ noch nicht gesehen? Dann sollten Sie sich diesen Genuss bald gönnen. Denn allein den letzten Dialogsatz „Nobody is perfect“ wird man für immer im Gedächtnis behalten. Die Story ist schnell erzählt: Zwei Musiker werden unfreiwillig Zeugen eines Mafia-Massakers. Sie fliehen aus Chicago in Frauenkleidern und schließen sich einer Damenkapelle an, die in einem Hotel in Florida aufspielt. Tony Curtis und Jack Lemmon sind die männlichen Helden mit Lippenstift, Ohrringen und Strapsen. Und Marilyn Monroe singt im tiefsten Dekolleté, das Sie sich vorstellen können. Nur ein hauchdünner Schleier bedeckt den damals weltberühmten Busen. Ein Reigen der Täuschung beginnt, und wer da wen austrickst, macht das Hauptvergnügen dieses Komödienklassikers aus. Mehr wird nicht verraten…
Auf der Ebene der höheren Hirnleistungen fördert Täuschung die Entwicklung intellektueller Fähigkeiten – sowohl bei den Getäuschten als auch bei den Täuschern. Untersuchungen an Affen und Kleinkindern zeigen übrigens einen engen Zusammenhang zwischen Täuschung und Intelligenz. Je aufgeweckter zum Beispiel ein Baby ist, um so mehr täuscht es auch.
Simulation, simulieren
Der Begriff Simulation kommt aus dem Lateinischen und bedeutet: Heuchelei, Verstellung, Vorwand, Schein, Täuschung. Das dazu gehörige Verb simulieren steht für: ähnlich machen, darstellen, abbilden, nachbilden, nachahmen, vorgeben, heucheln, vorspiegeln, so tun, als ob.
In der medizinischen und psychologischen Fachsprache bedeutet simulieren das Vorgeben einer Beeinträchtigung. Wird eine vorhandene geringfügige Störung übertrieben, spricht man dagegen von aggravieren, aus dem Lateinischen für etwas schwerer machen. In beiden Fällen soll ein Vorteil ergattert und/oder einer Verantwortung aus dem Weg gegangen werden.
In der Alltagssprache spricht man je nach Kontext von: schwindeln, mogeln, flunkern, schummeln oder kohlen, aber auch von Camouflage oder kaschieren. Immer soll damit gesagt werden, dass jemand aus zweckdienlichen Gründen mehr oder weniger von der Wahrheit abweicht.
Beispiele:
Eine Krankheit vortäuschen, um die Schule zu schwänzen, Gerichtsverfahren zu vermeiden, die vorzeitige Verrentung durchzusetzen und vieles mehr.
Fazit und Trost: Täuschen macht auf Dauer schlau, und zwar den Täuscher wie den Getäuschten.
Dissimulation, dissimulieren
Das lateinische Herkunftswort dissimulatio bedeutet Verkleidung, Maskierung, Verstellung, Schein, Verheimlichung. Das Verb dissimulare steht für unähnlich machen, unkenntlich machen.
In der medizinischen und psychologischen Fachsprache bezeichnet Dissimulation das absichtliche Herunterspielen oder Verbergen von Beeinträchtigungen, um für gesund und einsetzbar gehalten zu werden. In der Rechtsprechung kann es auch darum gehen, die Kenntnis von Verbrechen und/oder die Mittäterschaft herunterzuspielen, um nicht zur Verantwortung gezogen zu werden.
In der Alltagssprache bedeutet dissimulieren: sich verstellen, etwas verbergen, etwas verheimlichen, um sich Vorteile zu verschaffen.
Beispiele :
Ein Kind verschweigt seine Halsschmerzen, um an der Klassenfahrt teilnehmen zu dürfen. Ein Berufskraftfahrer verheimlicht einen epileptischen Anfall, um seinen Arbeitsplatz zu behalten. Homosexuelle Politiker, Sportler, Geistliche präsentieren der Öffentlichkeit eine „normale“ sexuelle Identität und verbergen ihre tatsächliche sexuelle Orientierung.
Kapitel 2: Die große Promi-Parade
All die Täuschereien und Tricksereien, die wir bei Tieren (und kleinen Menschlein) belachen oder gar bestaunen, werden beim erwachsenen Homo sapiens schnell zu Steinen des Anstoßes. Denn spätestens seit dem Verhaltenskatalog des Ägyptischen Totenbuchs, der Verkündigung der Zehn Gebote im Alten Testament und dem Regelwerk des Konfuzius gilt im Morgenland wie im Abendland: Du sollst nicht lügen, betrügen, falsch Zeugnis geben, Weib und Besitz des anderen begehren. Und genau diese Regeln brauchen wir, weil das Hirn des Menschentiers im Zuge der Evolution ein reichhaltiges Repertoire des Täuschens und Tricksens entwickelt hat und seine Möglichkeiten zum intelligenten Problemlösen gern auch in den Dienst des Lügens und Betrügens stellt.
Wir kennen es aus dem Alltag nur zu gut: Jede Form von Täuschung provoziert passende Abwehrstrategien, die dann wiederum konterkariert werden müssen. Denken Sie nur an all die kleinen Betrügereien, die im Zeitalter von Faxgeräten, Kreditkarten und Internet möglich sind und dann zu immer ausgeklügelteren Techniken der Überwachung führen müssen.
So verfügt denn auch der Gesetzgeber, dass Universitätsexamen und andere Abschlüsse nicht erschwindelt werden dürfen, dass man nicht mit falschen Titeln protzen darf, dass man nicht befugt ist, sich ein Amt anzumaßen, dass Versicherungsbetrug, aber auch Steuervergehen unter Strafe stehen, desgleichen das Fälschen von Pässen sowie der eigenen Identität.
Selbstverständlich gibt es auch da Ausnahmen. Wer, wie der jüngst verstorbene französische Widerstandskämpfer Stéphane Hessel, in die Fänge eines mörderischen Systems geriet und aus dem KZ Buchenwald nur entkommen konnte, weil er die Identität eines verstorbenen Mithäftlings angenommen hatte, wird wohl kaum belangt werden. Hier gilt im Gegenteil: Wer die Monster mit Tricks besiegen kann, ist ein Held.
Wie allerdings in unserer zivilisierten Welt das Spiel der Täuschung funktioniert, lässt sich besonders gut am Beispiel einiger Prominenter zeigen.
Hombre muerto caminando: Simulierte Gebrechlichkeit
Santiago de Chile, 3. März 2000. Tumult auf dem Vorfeld des Flughafens. Hohe Militärs, Journalisten und handverlesene Getreue erwarten einen Gast, der die Volksmeinung spaltet: Für die einen ist er der Retter des Vaterlandes, für die anderen ein Verbrecher und Massenmörder, ein hombre muerto caminando, ein Mann also, der Ansehen und Einfluss verloren hat, ein Scheintoter. Erwartet wird General Augusto Pinochet, 84 Jahre alt, unter Salvador Allende Oberbefehlshaber des chilenischen Heeres, der nach einem Militärputsch im Jahr 1973 die Herrschaft an sich riss und Chile bis 1990 als Diktator regierte. Seit 1998 stand er in London unter Hausarrest; dorthin hatte er sich zu einer medizinischen Behandlung begeben. Jetzt wird der mit Spannung Erwartete im Rollstuhl aus dem Flugzeug herausgerollt. Ein Helfer schiebt den General unter den Klängen deutscher Marschmusik auf chilenischen Boden. Beifall der geladenen Getreuen brandet auf. Der 84-Jährige wirkt gerührt und erleichtert. Er lächelt verschmitzt und erhebt sich zur Verblüffung aller Anwesenden aus seinem Rollstuhl. Muerto ist er keineswegs. Seine ersten Worte: „Hier weht ein anderer Wind.“
Was war geschehen? Großbritannien hatte Augusto Pinochet aus humanitären Gründen nach Chile heimkehren lassen. Willfährige Gutachter hatten ihm Prozessunfähigkeit bescheinigt, ohne dass ein Psychiater hinzugezogen wurde. Das hätte die gängige Praxis allerdings verlangt. So hat Pinochet mit seinem simulierten Gebrechen die gesamte westliche Welt an der Nase herumgeführt. Und obwohl unter seiner Herrschaft Tausende seiner chilenischen Landsleute verschleppt, gefoltert, getötet wurden, blieben ihm dank seiner Pokerface-Gerissenheit und seiner (vermutlich hoch bestochenen) Gutachter Gerichtsverhandlung, Verurteilung und Strafe bis zu seinem Tode erspart. Demjenigen, der chilenische Flüchtlinge oder gar chilenische Folteropfer kennengelernt hat, muss es den Atem verschlagen.
Ein „vergessenes“ Todesurteil
Hans Karl Filbinger, zwischen 1966 und 1978 Ministerpräsident von Baden-Württemberg, „vergisst“ ein Todesurteil, das er als Marinerichter in der NS-Zeit gefällt hat. Sarkastisch fragte der SPD-Politiker Egon Bahr seinerzeit: „Wie viele Menschen muss einer hingerichtet haben, um einen von ihnen vergessen zu können?“
Hier interessiert die Frage: Handelt es sich wirklich um Vergessen oder um eine wohl kalkulierte, gezielt eingesetzte Gedächtnisstörung? Dies ist bis heute nicht überprüfbar. Selbst