Im Schlafzimmer waren Spurensicherung und Rechtsmediziner an der Arbeit. Einer hantierte gerade mit einem Fieberthermometer. Wir drei saßen traut vereint im Wohn-Essbereich. »Sie wissen, wer das ist?«, fragte Bruce und deutete in Richtung Schlafzimmer.
Ich nickte. »Ich denke, es ist eine Frau namens Jelena Jelinek.«
Bruce nickte. »In welchem Verhältnis stehen Sie zu ihr?«
»In gar keinem. Ich kannte sie nicht.«
Ein ungläubiger Blick traf mich. »Und wie kommt es dann, dass Sie in dieser Wohnung waren und ihre Leiche entdeckt haben?«
Nun begann das Lügen. »Eine Quelle hat mich kürzlich kontaktiert, sprach von einer heißen Story und nannte dabei Frau Jelineks Namen. Und diese Adresse hier.«
Ich hielt inne, weil jemand im Schlafzimmer fluchte. Was die beiden Ermittler vor mir ungerührt zur Kenntnis nahmen. »Und weiter?«, drängte Colin.
»Ich dachte, ich höre mir die Geschichte mal an. Weil ich keine Telefonnummer hatte, bin ich heute früh hergefahren. Es war offen, also bin ich ins Haus und dann die Treppen hoch bis zu dieser Wohnungstür.«
Erneutes Fluchen drang aus dem Schlafzimmer, doch wiederum gab es kein Wimpernzucken der Beamten. Sie ließen mich erzählen, lauerten auf eine Ungereimtheit.
Konzentriert fuhr ich fort, mimte weiterhin die neugierige Journalistin auf der Jagd. »Ich war verwundert, als ich bemerkte, dass sie offen war. Also läutete ich und wartete einige Minuten. Dann hörte ich ein Geräusch und dachte, dass vielleicht jemand Hilfe braucht, bin in bester Absicht in den Flur, fand die Tote im Schlafzimmer und rief umgehend die Polizei!«
»Woher wissen Sie denn, dass es sich bei der Leiche um Frau Jelinek handelt, wenn Sie ihr noch nie zuvor begegnet sind, wie Sie behaupten?«
»Ich behaupte es nicht. Es ist so. Ich kenne sie nicht. Ich sagte doch gerade, ich denke, dass sie es ist, spreche also lediglich eine Vermutung aus. Ist sie es denn?«
Jetzt war es Colin, der antwortete. »Wir klären das gerade. Diese Wohnung läuft jedenfalls auf eine Agnes Bednarik. Sagt Ihnen die etwas?«
Ich hob die Achseln. Sollte er das doch auslegen, wie er wollte.
In diesem Augenblick trat einer der Rechtsmediziner hinzu. Er trug, wie alle Anwesenden, einen Schutzoverall und Handschuhe. Auffordernd sah Colin ihn an. »Der ungefähre Todeszeitpunkt liegt zwischen 23 Uhr und Mitternacht. Eher früher. Mehr wissen wir nach der Leichenöffnung. Wir nehmen sie dann mit!«
Erschöpft hatte ich zugehört. Seit über vier Stunden war ich schon hier und kein Ende in Sicht.
»Wo waren Sie denn zu der Zeit, Frau Speltz?« Bruce. Er musste das fragen, schon klar. Trotzdem schluckte ich. »Auf dem Weg nach Hause. Wir hatten einen Dreh im Dritten, der bis kurz vor elf gedauert hat.«
Ich konnte seine Rädchen im Hirn rattern hören. Vom dritten in den 16. Bezirk. Mit dem Auto hätte ich es schaffen und quasi einen Mord im Schweinsgalopp begehen können. Aber selbst er schien Zweifel an dieser Theorie zu hegen.
»Von wem haben Sie den Hinweis denn erhalten?«, fragte Colin scharf.
»Tut mir leid, das fällt unter Quellenschutz!«, antwortete ich und bemühte mich, nicht allzu triumphierend zu klingen.
Er sah aus, als hätte er eine Kröte verschluckt. Wie auch immer das hier weitergehen würde, für den Augenblick mussten sich die beiden damit zufriedengeben. Journalistischer Quellenschutz war zum Glück in Österreich immer noch eine heilige Kuh, trotzdem so mancher Politiker daran sägte.
»Nun gut. Wie Sie wollen, Frau Speltz. Ihre Fingerabdrücke haben wir, damit können wir abgleichen, was Sie berührt haben. Gibt es sonst noch etwas, was Sie uns sagen möchten?«
Ich schüttelte den Kopf. »Nein, aber ich würde gerne wissen, ob die Tote tatsächlich Jelena Jelinek war und woran sie gestorben ist. Wenn es Mord war, werden wir berichten, einen Selbstmord oder natürlichen Tod lassen wir selbstverständlich außen vor.«
Jetzt griff der gute Cop ein. »Wir können Sie natürlich nicht daran hindern, Frau Speltz. Aber vielleicht einigen wir uns ja auf Folgendes: Die Frau wird jetzt in die Gerichtsmedizin gebracht, heute noch obduziert und hoffentlich auch identifiziert. Rufen Sie mich morgen gegen Mittag an, dann haben Sie ein wenig Vorsprung vor Ihren Kollegen.«
Er deutete in Richtung Wohnungstür. Ich konnte mir leicht ausrechnen, was draußen vor dem Haus mittlerweile los war. Neugierige mit Handykameras, die darauf lauerten, alles abzufilmen und umgehend ins Netz zu stellen. Einige übertrugen die Szenen vielleicht ohnehin schon auf Facebook Live. Kollegen, die über ihre Kanäle von einem möglichen Tatort erfahren und sich in Position gebracht hatten. Und das, obwohl noch nicht einmal die Todesursache geklärt war.
Colins Gesicht war bei den Worten seines Kollegen eingefroren, er hatte sich aber unter Kontrolle. Ihm behagte Bruce’ wohlkalkulierte Großzügigkeit nicht. Nur zu gerne hätte ich gewusst, was die beiden wirklich dachten. Schon wieder die Speltz. Schon wieder eine seltsame Tote. All ihre Antennen waren auf mich gerichtet. Ich würde sehr vorsichtig sein müssen, wollte ich nicht mit Haut und Haaren gefressen werden.
»Ich kann also gehen?«
Colin nickte finster. »Vorerst. Halten Sie sich aber zur Verfügung. Im Augenblick gelten Sie als wichtige Zeugin!«
Das ließ ich mir nicht zweimal sagen. Beim Hinausgehen warf ich einen Blick durch die offene Schlafzimmertür. Jelenas Leichnam war inzwischen mit einem Tuch abgedeckt worden. Er wirkte winzig, ein kleiner Hügel Mensch, der kurz mein Leben gekreuzt hatte und schon wieder daraus verschwand.
Stumm schickte ich ihm eine Botschaft. Es ist noch nicht zu Ende, Jelena. Ich halte mein Versprechen.
Das Haus hatte einen Ausgang in den Hinterhof. Ich benutzte die dort aufgehängte Wäsche als Deckung, bis ich zu einer Durchfahrt gelangte. Schließlich stand ich wieder auf der Straße und ging mit gesenktem Kopf an den Neugierigen vorbei, die die Hälse reckten und sich Spekulationen zuflüsterten. Jetzt kam mir zugute, dass ich vorhin keinen Parkplatz vor der Tür bekommen hatte. So gelangte ich unbehelligt zu meinem E-Mobil und stieg ein.
Es gab nur eine Person, die mir weiterhelfen konnte. Ob sie auch heute arbeitete? An einem Samstag? Einen Versuch war es wert.
Nachdenklich kramte ich nach meinem Telefon, konnte es aber nirgends finden. Ich stülpte meine Tasche um, tastete in jeden Zwischenraum meines Autos, doch es blieb verschwunden. Verflixt noch mal! Hatte ich es in Jelenas Wohnung vergessen? Um nichts in der Welt würde ich dorthin zurückkehren und danach suchen, auch auf die Gefahr hin, dass Bruce und Colin es mitnahmen. Es war als Firmenhandy sehr gut passwortgesichert, also nicht leicht zu knacken, selbst für geschulte Polizeitechniker.
Mich ob meiner Nachlässigkeit verfluchend, öffnete ich mein Handschuhfach, um mein steinaltes Ersatztelefon auszumotten, ein billiges Ding, das seit Jahr und Tag dort vor sich hindümpelte und über genau eine Funktion verfügte: Telefonieren. Zum Glück lud ich es regelmäßig auf. Das Problem: Der Nummernspeicher war leer, der Internetzugang inexistent. Dankbar für Ferdls Umsicht kramte ich den Zettel heraus, auf den er mir Name, Adresse und Telefonnummer der Ordination aufgeschrieben hatte.
Ein paar Sekunden später hatte ich tatsächlich Agnes Bednarik am Ohr. Ohne mich zu melden, legte ich auf. Es war mir unmöglich, ihr am Telefon von Jelenas Tod zu berichten, also musste ich mich beeilen, denn es würde nicht lange dauern, bis die Polizei bei ihr aufkreuzen würde. Außerdem wollte ich verhindern, dass sie Bruce und Colin brühwarm von meiner Show in der Ordination erzählte.
20 Minuten später parkte ich mein Auto im Halteverbot und ging zu Fuß die letzten Meter in Richtung Salzgries. Zur Tarnung trug ich einen Hut samt Sonnenbrille und kam mir damit reichlich bescheuert vor. Außerdem knurrte mir der Magen. Mittlerweile war es fast zwei Uhr. Bisher hatte mir Jelenas Schicksal den Appetit verdorben, doch nun war mir flau. Der Menüvorschlag des Kandidaten gestern war auch zum Abgewöhnen gewesen. Nierchen