Goetheherz. Bernd Köstering. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Bernd Köstering
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Триллеры
Год издания: 0
isbn: 9783839269121
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Der Fall ist noch mysteriöser. Dr. Bergen hat keinen Grund für ihren Tod gefunden. Keinen! Versteht ihr? Das ist eigentlich unmöglich. An irgendetwas muss sie ja gestorben sein, egal ob auf natürliche oder unnatürliche Weise.«

      »Kein Herz-Kreislauf-Versagen?«

      »Jedenfalls nicht nachweisbar. Sie litt zwar an einer Herzinsuffizienz, die jedoch weit weniger ausgeprägt war, als in der Presse beschrieben. Ihr Herz war leicht vergrößert und die Herzwand etwas dünner als üblich, dennoch weit von einer tödlichen Dimension entfernt. Sie könnte theoretisch an normaler Altersschwäche gestorben sein, gegen diese Theorie spricht allerdings ihr recht guter Allgemeinzustand, ebenso die Aussage der Tochter zu Frau Müllers Befinden in den vergangenen Wochen. Das Einzige, was Dr. Bergen auffiel, ist eine Einstichstelle am Oberschenkel. Er meint, da habe sich ein leichtes Hämatom gebildet, so als habe der Arzt ein wenig unvorsichtig gehandelt. Aber das klären wir noch.«

      »Hm«, machte Hendrik.

      »Ja, seht ihr, genauso mysteriös ist auch unser Todesfall in Jena«, sagte Siggi.

      Das Schiff wurde langsamer, sie hatten die Staustufe Griesheim erreicht. Hier wurde gewendet.

      Hendrik sah Richards düstere Gesichtszüge und beschloss, das Gespräch von den toten Frauen wegzulenken. »Okay, dann machen wir uns einen schönen Männerabend, wie von Ella vorgeschlagen. Wie wäre es hiermit: zuerst ein leckeres Essen im ›Luginsland Skyline Restaurant‹, sozusagen ganz oben, mit Blick über die Stadt, danach ins Orange Peel, Blues und Soul im Keller unter der Stadt?«

      »Klingt gut«, antwortete Richard. »Aber von den Toten will ich heute Abend nichts mehr hören, klar?«

      »In Ordnung!«, sagte Siggi.

      *

      Sonntag

      Hendrik kämpfte gegen eine leichte Übelkeit von den zahlreichen alkoholischen Getränken am Vorabend, insofern kam ihm ein gemütlicher Tag mit Hanna ganz recht. Die beiden beschlossen, einfach nur zu »wohnen«.

      Siegfried Dorst fuhr nach Weimar zurück, während seine Freundin Ella einen Spaziergang durch den Ilmpark unternahm, um ihre Kopfschmerzen loszuwerden.

      Dr. Bergen wollte sich gern mit Almuth Feller verabreden, doch sie musste sich um ihre Eltern kümmern. Stattdessen verbrachte er ein sportliches Wochenende, hörte die Radioübertragung der Fußball-Bundesliga, las den Zeitungsbericht zu einem Basketballspiel der Gießen 46ers und besuchte ein Handballspiel in der Rittal Arena Wetzlar.

      Richard Volk saß vor dem Fernseher in seiner Wohnung im Frankfurter Nordend und versuchte, die beiden toten Frauen aus seinen Gedanken zu verbannen. Doch es gelang ihm nicht. Am Montag würde er seine Kollegen zusammentrommeln und Aufgaben verteilen. Einmal dachte er sogar an Wilhelmine Becker, die im Isserstedter Holz zu Tode gekommen war.

      2. Woche

      Lotte Schneider

      Frankfurt a. M., Montag, den 13. Oktober, morgens

      Hendrik Wilmut erwachte um halb sieben. Zu seinem Erstaunen saß Hanna bereits in der Küche. Er stand an der Tür und lächelte.

      »Kannst du mir bitte einen Espresso machen?«, fragte sie.

      Hendrik stutzte. Bisher hatte sie Espresso nie sonderlich gemocht und schon gar nicht danach gefragt. Cappuccino, ja, oder Latte macchiato, aber nichts ohne Milch. Gerade wollte er eine flapsige Bemerkung loslassen, denn früher hatten sie darüber oft gescherzt – die Schöne und das Espresso-Biest oder Ähnliches. Doch dann merkte er, dass Hannas Wunsch ernst gemeint war und ihrem momentanen Seelenzustand entsprach, über den er besser keine Späße machte.

      »Natürlich, gerne!« Er schaltete seine italienische Espressomaschine ein.

      Sie hatte sich ihren Bademantel übergezogen, trotzdem schien sie zu frieren.

      Hendrik sah auf ihre nackten Füße. »Soll ich dir die Hausschuhe holen?«

      Sie nickte, er ging in den Flur, kehrte mit den dicken Puschen zurück, kniete vor ihr nieder und nahm ihren Fuß in die Hand. Er konnte nicht anders, als vorsichtig über ihre Haut zu streichen. Die Füße waren kalt, trotzdem genoss er es. Sie legte ihre Hand auf seine Schulter. Vorsichtig streifte er ihr die Hausschuhe über.

      Als die Maschine aufgewärmt war, nahm er den Doppel-Siebträger, hielt ihn unter die Kaffeemühle und ließ die voreingestellte Menge Kaffeepulver hineinrieseln. Tamper andrücken, kurz flushen, Siebträger eindrehen, los ging’s.

      Zu seinem Erstaunen schien Hanna den Espresso wie ein besonderes Erlebnis zu genießen. War das die »neue« Hanna? Sie kannten sich seit langer Zeit, seit ihrer Jugend. Er überlegte kurz: Damals musste er 14 oder 15 Jahre alt gewesen sein. Er hatte die Sommerferien bei seinen Großeltern in Weimar verbracht. Hanna Büchler hatte nebenan gewohnt. Etwa 45 Jahre war das her. Füreinander bestimmt waren sie schon immer, so jedenfalls Hendriks Ansicht, aber ein wirkliches Liebespaar wurden sie erst vor 12 Jahren, kurz vor den stürmischen Ereignissen, die sie zwangen, Weimar zu verlassen.

      Hendrik stand mit seiner Espressotasse neben dem Kühlschrank, er wollte sich nicht setzen. Er warf einen Blick auf die Zeitung, die ungelesen und zusammengefaltet auf dem Küchentisch lag. Immerhin hatte Hanna sie aus dem Briefkasten geholt. Er schielte auf die Titelseite und dachte an die junge Frau aus Wetzlar, die sich das Leben genommen hatte. Er durfte nicht abschweifen, Hanna war der Fokus seines Daseins.

      »Möchtest du etwas essen?«, fragte er.

      »Nein, danke!«

      »Ella hat dir Pralinen geschickt.«

      Sie nickte.

      Er öffnete die Pralinenschachtel und stellte sie neben Hanna. Sie rührte keinen Finger.

      »Du kannst ruhig ins Büro gehen«, sagte sie.

      Meine Güte, dachte Hendrik, welche Aufmerksamkeit. Sein unruhiges Herumstehen hatte sie als Aktivitätsdrang interpretiert. Er war froh, dass sie ihre Empathie nicht verloren hatte.

      »Danke, Schatz, ich will kurz etwas nachsehen. Dann muss ich los in die Uni.«

      Sie lächelte.

      Hendrik schlürfte seinen Kaffee, stellte die Tasse ab, verließ die Küche und fuhr den PC hoch. Es handelte sich nur um eine vage Idee, eine Ahnung, eine Befürchtung, die sicher schnell geklärt war. Er öffnete den Internetbrowser und gab in das Suchfeld »Wetzlar, Unfall, Tod« ein. Mit zitternder Hand drückte er die Entertaste.

      Junge Frau von Zug getötet

      Die 28-jährige Lotte S. wurde am 2. Oktober früh um 5.35 Uhr vom Regionalexpress in Richtung Gießen überrollt. Der Zug hatte wenige Minuten zuvor den Bahnhof Wetzlar verlassen und befand sich in den Lahnauen bei Garbenheim. Warum sich die Frau dort aufhielt, ist unklar. Der Zugführer konnte Lotte S. wegen der Dunkelheit und ihrer schwarzen Kleidung erst im letzten Moment erkennen und den Zug trotz eingeleiteter Notbremsung nicht rechtzeitig zum Stehen bringen. Die Polizei geht von einer Selbsttötungsabsicht aus.

      Lotte S. – er spürte einen Schwindel aufkommen. Lotte aus Wetzlar. Der Zweifel an einem Suizid sprang ihn förmlich an. Schnell suchte er nach Todesanzeigen und fand sie sofort: »Unsere geliebte Tochter …« Ihr Name war Lotte Amelie Schneider. Sie stammte aus dem Wetzlarer Stadtteil Blasbach.

      Es fiel Hendrik schwer, sich vom Computerbildschirm zu lösen. Er erhob sich, um nach Hanna zu schauen. Sie stand im Bademantel auf dem Balkon und bewegte sich nicht. Auch Hendrik wagte kaum, sich zu bewegen, jedoch eher gedanklich als körperlich.

      *

      Benzodiazepine

      Weimar, Montag, den 13. Oktober, morgens

      Siegfried Dorst betrat die Kriminalpolizeistation Weimar. Schon eilte ihm Kriminalkommissar Julian Täntzer mit schnellen, kurzen Schritten entgegen. Er wirkte so jung und unbedarft, als sei er gerade vom Schulhof herübergekommen, um ein Praktikum bei der Polizei zu absolvieren. Täntzer wedelte aufgeregt mit einem Blatt Papier. »Guten Morgen,