»Und seine Frau? Die Witwe? Die neue Chefin?«
»Kenne ich kaum. Nur von den Weihnachtsfeiern. Auf einer Baustelle habe ich sie nie gesehen, hätte sich ja ihre manikürten Fingerchen schmutzig gemacht. Die war doch nur damit beschäftigt, das Geld auszugeben, das Frieder herangeschafft hat. Sogar ein neues Haus hat sie sich bauen lassen. Sie hat sich auch jetzt noch nicht blicken lassen, wir wissen nicht, wie es mit der Firma weitergeht. Wie auch immer, wir haben genug Arbeit, und deshalb ist jetzt Schluss mit der Plauderstunde, ich habe zu tun.«
Die Leitern abwärts hielt ich mich dann doch ganz fest. Und das war gut so. Einmal rutschte ich aus, und hätte ich mich nicht festgehalten, hätte es jede Menge blaue Flecken gegeben, vielleicht noch Schlimmeres.
Es war also doch möglich.
*
Elisabeth hatte nicht übertrieben. Sie war in der Tat eine gute Köchin und hatte zumindest einen Weinhändler, der sein Metier verstand.
Zur Einstimmung servierte sie eine Entenleberterrine, die freilich, wie sie zugab, nicht selbstgemacht war und trotzdem hervorragend schmeckte, dazu gab es einen Sauternes von der teureren Sorte und unverfängliches Geplauder über dies und jenes. Erst mal warm werden. Sich gegenseitig abtasten. Wie bei einem ersten Date. War ja auch so etwas Ähnliches.
Bevor sie wieder in der Küche verschwand, öffnete sie einen Sylvaner von Michael Teschke, der, sagte sie, so eigenwillig war, wie man es seinem Erzeuger zuschrieb.
Wusste sie wirklich Bescheid oder hatte sie sich eingelesen? Damals auf der Limpurg schütteten wir billigen Fusel aus Zweiliterflaschen in uns hinein. Mehr Geld hatten wir nicht und auch nicht mehr Verstand. Viel hatte sich geändert seitdem, auch bei mir, wir hatten alle unsere Erfahrungen gemacht. Es war schade, dass ich nur noch vage Erinnerungen an die Lizzy von damals hatte, der Vergleich zwischen früher und jetzt wäre interessant gewesen.
Die Elisabeth von heute war sehr darauf bedacht, einen guten Eindruck zu machen. Bella figura. War ja nichts dran auszusetzen. Bei einer schönen Frau schaute man gern dorthin, wo es etwas zu sehen gab. Auf eine weiße Tunika mit erfreulichen Einblicken, ein Lob den Push-ups. Auf einen weit schwingenden, weich fließenden Midirock, der genug Bein sehen ließ, das wieder mal die bemerkenswerte Wirkung von High Heels auf die Muskulatur unterstrich.
Mit den Stöckelschuhen hatte sie es wohl. Aber es war eine Sache, ob man sie gefahrlos zu Hause trug oder damit bei Matschwetter zu einem Versicherungsvertreter stiefelte, dem man früher mal flüchtig begegnet war. Mir wird zwar immer unbegreiflich bleiben, wie man in diesen Dingern überhaupt gehen kann, ohne sich die Füße kaputt zu machen, aber ich musste sie ja auch nicht anziehen, ich sollte nur gaffen und mich meinen niederen männlichen Instinkten überlassen.
Das alles war sehr edel und erfreulich anzuschauen.
Dennoch konnte ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass ich auch hier, wie bei ihrem ersten Auftritt in meinem Büro, eine sorgfältig geplante Inszenierung erlebte. Mit mir als einzigem Zuschauer und Mitspieler in einer Person.
Eine weiße Bluse, während man kocht?
Vorsicht, Dillinger!, ermahnte ich mich. Schau genau hin, welche Rolle dir zugedacht ist.
Während es aus der Küche verführerisch zu duften begann, sah ich mich in dem großen Raum um, der ein kombiniertes Wohn- und Esszimmer war. Er war dezent modern und geschmackvoll eingerichtet, offensichtlich hatte sich hier kein Innenarchitekt austoben dürfen. Oder er war ziemlich eingebremst worden.
Die Wohnung war repräsentativ und gleichzeitig gemütlich. Ein Kunststück, das man erst einmal fertigbringen musste. Und das war eindeutig die Handschrift einer Frau.
Ein Mann hätte ein heilloses Chaos hinterlassen oder alles penibel und effektiv hingerichtet. Er hätte nicht hier einen Blumenstrauß hingestellt und dort einen schönen Krug, er hätte nicht den Esstisch stilvoll eingedeckt mit Kerzen, Stoffservietten und Platztellern, mit einer Besteckreihe links und rechts, anhand derer der Eingeweihte ablesen konnte, wie viele Gänge er zu erwarten hatte.
Nein, das war das Werk einer Frau, und diese begann allmählich, interessant zu werden.
Von außen hatte es ganz anders ausgesehen.
Das Haus auf der Mittelhöhe, einem der jüngeren Schwäbisch Haller Neubaugebiete, wirkte wie der bewohnbare Werbeprospekt für das grundsolide Bauunternehmen Schindel. Vertraue dich uns an, wollte es sagen, du bekommst von uns etwas, das gerade genug abseits der Norm liegt, dass es heraussticht aus den Einheitshäusle rings umher, aber keineswegs so extravagant ist, dass man sich langatmig rechtfertigen müsste für etwas, das in den Augen vieler nur schlechter Geschmack war. Ein Musterhaus.
Prunkstück in diesem Raum war der überdimensionierte offene Kamin an der fensterlosen Seite, in dem ein behagliches Feuer loderte. Auf dem Sims eine Bildergalerie in unterschiedlichen Rahmen verschiedener Größe.
Ich wollte mir die Fotos gerade näher anschauen, als Elisabeth mit zwei dampfenden Tellern aus der Küche kam.
Es duftete gut, und es schmeckte genauso. Bei Kabeljau-Loins im Fenchel-Safran-Sud kam die Dame des Hauses dann ohne Umschweife zur Sache.
»Und? Hast du dir’s überlegt? Hilfst du mir?«
Ich schluckte den Appell an meine ritterlichen Gene mit einem Bissen Kabeljau hinunter, perfekt gegart, in der Mitte fast noch glasig, und zuckte mit den Schultern.
»Ich schwanke noch«, sagte ich.
»Weswegen?«
»Wegen meines festen Vorsatzes, mich nicht mehr in kriminalistische Ermittlungen, gleich welcher Art, verwickeln zu lassen. Ist mir in der Vergangenheit nicht immer gut bekommen.«
»Vorsätze sind gut, wenn man sich nicht sklavisch an sie hält«, entgegnete sie, nachdem sie den knackig geschmorten Fenchel geschluckt hatte. »Außerdem ist ja gar nicht gesagt, dass es sich um kriminalistische Ermittlungen handelt. Das eben möchte ich erst herausfinden. Vielmehr von dir herausfinden lassen.«
»Warum überlässt du das nicht der Polizei?«
»Die Akte ist geschlossen. Keine Anzeichen von Fremdeinwirkung, hat es geheißen.«
»Aber ermittelt wurde?«
»Ist wohl immer so bei derartigen Unfällen, schon der Versicherung wegen. Aber ich hatte den Eindruck, es war nur Routine, die man schnell hinter sich bringen wollte.«
»Vielleicht war es auch tatsächlich nur ein Unfall.«
»Finde es heraus!«
»Erzähl mir, was passiert ist. Und warum du Zweifel hast.«
»Deswegen bist du ja da. Aber erst muss der nächste Gang auf den Herd.«
Ich ging ihr hinterher in eine Küche, die ich als halbprofessionell klassifizieren würde. Es war alles drin, was der ambitionierte Hobbykoch teuer bezahlen musste. Mittelpunkt war ein Herd, auf den ich schon lange ein Auge geworfen hatte, vergeblich leider, weil die Statik meines Hauses nicht mitmachte, von meinem Bankkonto mal abgesehen. Ein riesiges Ding mit sechs Kochplatten, gasbeheizt, und zwei Röhren. Ich war schwer beeindruckt, und das sollte ich wohl auch sein.
»Kann ich mich nützlich machen?«, fragte ich.
»Du kannst den Wein aufmachen.«
Sie reichte mir eine Flasche Spätburgunder aus der Ortenau, Großes Gewächs. Ich entkorkte sie, goss etwas in ein Glas, schnüffelte, schlürfte, kaute und nickte zufrieden. Kein schlechtes Tröpfchen. Und bestimmt nicht billig.
Derweil bepinselte Elisabeth zwei ausgelöste und sorgsam gesäuberte Rehrücken mit Öl, würzte mit Salz, Pfeffer und zerdrückten Wacholderbeeren und gab