Die Limpurg und eine heiße Sommernacht!
Ich wusste nicht so recht, wie peinlich mir das in der Rückschau sein sollte.
»A b’soffene G’schicht halt«, sagen die Österreicher dazu, und das gilt immer als Entschuldigung, gleich, ob es ums Schnackseln hinterm Busch geht oder um den Verkauf halb Österreichs an eine angebliche russische Oligarchin.
»Lizzy?«, rief ich. Es war mehr eine Frage, so ganz sicher war ich mir nicht.
»Damals habe ich mich so nennen lassen, ja. Heute bevorzuge ich Elisabeth. Klingt seriöser, findest du nicht?«
»Mein Gott, wie lange ist das her!«
»25 Jahre«, sagte sie. »Und sag jetzt bitte nicht, dass ich mich gar nicht verändert habe. Das stimmt nicht, und das Kompliment, wenn es denn überhaupt eines ist, könnte ich nämlich nicht zurückgeben. Um ehrlich zu sein, du siehst ziemlich mitgenommen aus, Dillinger.«
Ich winkte ab.
»Ich habe schwierige Zeiten hinter mir«, sagte ich, und weil ich nicht darüber reden wollte, fuhr ich schnell fort: »Aber du bist bestimmt nicht gekommen, um mit mir zum Jubiläum Erinnerungen auszutauschen?«
Sie lachte, und ich muss sagen, ich fand dieses Lachen schön.
»Nein, ganz bestimmt nicht. Obwohl die Erinnerung an jene Nacht, muss ich zugeben, eine gewisse Rolle gespielt hat. Den kennst du doch, habe ich mir gesagt. Ich habe gehört, du beschäftigst dich mit Verbrechen.«
Ich winkte erneut ab. »Das war einmal. Keine Leichen mehr. Keine Mörderjagd. Damit bin ich fertig. Es gab da … gewisse Vorkommnisse in letzter Zeit.«
*
Der Fall seinerzeit begann damit, dass mir im Käshof des Freilandmuseums Wackershofen eine Leiche auf den Kopf fiel und dass ich bewusstlos geschlagen wurde, und er endete ebenda mit dem Schuss aus einer Pistole, dazwischen gab es meine Spezialität: viele Konfusionen. Das hatte auch, wie anders, mit einer attraktiven Frau zu tun, bei der sich dann herausstellte, dass sie … ach, das war ja jetzt egal.
Lange Zeit wusste ich nicht, was geschehen war, wo ich war, wer ich war. Wolke sieben hatte ich mir immer anders vorgestellt.
Die wahrscheinlichsten Indizien liefen auf ein Krankenzimmer hinaus.
Offenbar hatte ich überlebt. Allerdings lag ich, wie man so sagt, auf den Tod darnieder. Doch ich habe ihn nicht gesehen, sonst hätte ich was zu erzählen.
Die Ärzte sagten, mit einem Lungensteckschuss sei nicht zu spaßen. Witzbolde! Das hatte ich selber schon bemerkt, mir ging es richtig dreckig. Aber wenn das ein Cowboy wie Ronald Reagan überlebt hatte, würde ich es auch schaffen.
Wenn man den Sensenmann gerade noch so von der Bettkante gestoßen hat, dann hat man Anlass und Zeit genug zum Nachdenken. Über die Welt im Allgemeinen und im Besonderen. Meinetwegen auch über das Sein und das Seiende. Und irgendwann auch über sich selbst.
Das war am schmerzlichsten.
Wie weit der Erkenntnisgewinn trug, musste sich noch herausstellen.
So verging die Zeit. Der nasse Frühling ging vorüber, der Sommer kam und brachte uns gehörig ins Schwitzen, auch er verschwand irgendwann und machte einem giftigen Herbst Platz, als sie mich in eine Reha in den Schwarzwald steckten und fanden, das werde mir gut tun.
Fand ich auch. Wo auch immer sie mich parken würden, die Gourmetmetropole Baiersbronn war in erreichbarer Nähe und das Elsass ebenso. Beste Voraussetzungen. Viel schlafen, erholsame Spaziergänge im harzig duftenden Tann, wohlige Massagen, gute Weine, schönes Essen: Das waren Aussichten, die meinen geschundenen Körper und mein Herz erfreuten.
Die erste Anwendung war morgens um 4 Uhr, ein Apfel zwischendurch war verboten, es sei denn, der Arzt erlaubte es ausdrücklich, was er nicht tat, Wein gab es überhaupt nicht, und das Essen –
»Es ist eine Frechheit, so etwas überhaupt als Essen zu bezeichnen«, moserte ich. »Das ist Körperverletzung! Das würde sogar ein Schwäbisch-Hällisches Landschwein liegen lassen.«
»Sind Sie immer so anspruchsvoll?«, war die schnippische Reaktion.
»Bin ich, ja.«
»Damit werden Sie sich hier keine Freunde machen.«
Das sah ich genauso. Am nächsten Morgen entließ ich mich selbst. Nicht geheilt, aber um eine Erfahrung reicher.
Warum denn Schwarzwald? Zu Hause in Hohenlohe waren wir mit den besten Produkten und einer herrlichen Landschaft gesegnet. Auch mit vielen Windrädern, zugegeben, die die herrliche Landschaft nicht mehr ganz so herrlich machten. Das war freilich mittlerweile anderswo genauso.
Ich nahm mir Zeit, beobachtete gelassen, wie der giftige Herbst nahtlos in einen schmuddeligen Winter überging, dachte weiter nach, nur nicht über meine Geschäftspartnerin unten im Büro, die zunehmend erbarmungswürdiger stöhnte über die viele Arbeit, die sie nun allein zu bewältigen hatte, und so ganz allmählich fand ich wieder zu mir.
Die beste Erholung war doch, wenn der heimische Herd zischte und brutzelte und ein schöner Wein im Glas funkelte.
Und der Papierkram auf meinem Versicherungsvertreterschreibtisch. Ja, doch, darauf hatte ich sogar richtig Lust bekommen. Es hatte etwas Heimeliges, wenn man sich in der gut gewärmten Stube über Akten beugen konnte, während draußen der Dezemberregen pladderte.
*
Aber von alldem erzählte ich Elisabeth, früher Lizzy, nichts, auch wenn sie mich noch so erwartungsvoll ansah.
»Wie gesagt, das war mein früheres Leben, das ist vorbei«, erklärte ich. »Ich bin nur noch ein berufsbedingt schlecht beleumundeter Versicherungsvertreter, ich schreibe Verträge aus, ich nehme Schadensmeldungen auf, und es braucht schon sehr überzeugende Argumente, damit ich meinen Hintern aus diesem Stuhl hier bewege.«
Sie taxierte mich, als sei ich ein Preisbulle, dann richtete sie den Blick nirgendwohin und sagte: »Mein Mann ist vor drei Wochen gestorben.«
»Mein Beileid«, murmelte ich.
Sie reagierte nicht darauf und fuhr fort: »Ums Leben gekommen, um genau zu sein. Er war Bauunternehmer und ist von einem Gerüst gestürzt. Vielleicht hast du davon gelesen. Frieder Schindel.«
Hatte ich in der Tat. Er war in der Branche eine kleine Größe gewesen, und entsprechend war der Nachruf ausgefallen. Wenn ich mich richtig erinnerte, hatte ihn mein alter Kumpel Helmar Haag geschrieben. Mit der Meldung des Absturzes vom Gerüst, die ich ebenfalls gelesen hatte, hatte ich ihn allerdings nicht in Verbindung gebracht.
»Ein tragischer Arbeitsunfall, hat es geheißen«, sagte ich.
Sie nickte. »So hat es geheißen, ja.«
»Und nun lass mich raten: Du glaubst das nicht.«
In gespieltem Erstaunen riss sie Augen auf. »Wie kommst du bloß darauf? Ah, ich verstehe, messerscharfe Deduktion, weil ich bei dir aufgekreuzt bin. Es stimmt also, was man so sagt. Du sollst gut sein als Privatdetektiv.«
Oh nein, so nicht! Es war zu offensichtlich, dass sie mir Honig ums Maul schmieren wollte.
Ich schüttelte den Kopf.
Der Zwerg hatte bis dahin friedlich auf ihrem Schoß geschlummert und hin und wieder undefinierbare Laute von sich gegeben, was mich darüber grübeln ließ, wovon er wohl träumte. Nun begann er sich zu regen, riss den Mund und dann die Augen auf, sah mich an und krähte los.
Nun ja, ich konnte es ihm nicht verdenken.
Elisabeth steckte ihm einen Finger in den Mund. Der Zwerg nuckelte und gluckste zufrieden.
»Früher