Wenig später betraten wir das Schlafzimmer. Eigentlich hatte ich erwartet, die Leiche José Montalbans vorzufinden. Aber von dem gab es keine Spur.
Drei Tote lagen auf dem Boden. Alle wiesen Schusswunden auf.
Clive Caravaggio deutete auf den riesigen 200-Kilo-Mann, der in einer Blutlache lag. "Das ist Fat Paco Perez! Wer hätte das gedacht..."
"Dann scheint Raquinos Aussage zu stimmen", meinte ich. "José wollte zusammen mit der Konkurrenz seinen Vater aufs Altenteil setzen." Ich steckte meine SIG weg.
"Ich möchte, dass ihr euch Latex-Handschuhe überzieht und hier alles auf den Kopf stellt", ordnete Clive an. "Die Kollegen der SRD sind unterwegs. Vielleicht finden wir ja einen Hinweis darauf, wo José Montalban stecken könnte..."
Wir sahen uns um und durchsuchten alles nach Anhaltspunkten, die uns im Hinblick auf José Montalbans gegenwärtigen Aufenthaltsort weiterbringen konnten.
Unser Kollege Craig E. Smith nahm sich den Computer vor, den wir in der Wohnung fanden. Die Untersuchung der Rechner, die sich im Firmenbüro von Montalban House Ltd. befanden würde auch noch folgen.
Craig, unser Computer-Ass, hatte keine Schwierigkeiten, den Rechner zu starten. Das Passwort war innerhalb einer Viertelstunde geknackt.
"Es ist immer dasselbe", kommentierte Craig seinen Erfolg. "Name von Eltern, Kindern oder anderen nahen Angehörigen, deren Geburtsdaten sowie Namen von Haustieren. Wenn man das weiß, hat man schon neunzig Prozent aller in Frage kommenden Passwörter."
"Und - was war es diesmal?", erkundigte sich Clive Caravaggio.
"Der eigene Name. Allerdings ohne Akzent auf dem e in José!"
"Komisch, ich hätte Montalban junior für kreativer gehalten."
Orry nahm sich das interne Menü eines Handys vor, das auf dem Nachttisch im Schlafzimmer lag. Erstens stellte sich heraus, dass von diesem Apparat aus mit Gordon Laws telefoniert worden war.
Zweitens stand José seiner Schwester Dolores offenbar doch sehr viel näher, als er uns gegenüber behauptet hatte.
Er hatte ziemlich oft mit ihr telefoniert.
Auch noch zu einem Zeitpunkt, an dem sie schon als vermisst gemeldet worden war.
"Ich frage mich, wie das zusammenhängt", meinte Orry.
"Vielleicht ergibt das alles Sinn, wenn man sich vorstellt, dass das angebliche Opfer mit der Entführung einverstanden war", war Milos Auffassung.
"Ein vorgetäuschtes Verbrechen?", echote ich. "Und wenn José die Entführung uns gegenüber nur deshalb ins Spiel gebracht hat, um seinen Vater in Schwierigkeiten zu bringen?"
"Vielleicht setzte er darauf, dass wir ihn in dieser Sache so in die Mangel nehmen, dass er seine Killer erst mal zurückpfeift", vermutete ich. "Wenn José mit den angeblichen Entführern unter einer Decke steckt, ergibt das Sinn!"
"Das klingt ein bisschen an den Haaren herbeigeholt", kommentierte Clive.
"Jedenfalls hängt José mit drin, was Dolores' Verschwinden angeht", stelle ich klar. "Sie war bei diesen Satanisten, dafür spricht die Bemalung der Leiche. Und José wusste davon, hat es aber nicht seinem Vater gesagt! Für mich sieht das Ganze nach einem riesigen Komplott aus, mit dem Dirty Rick unter Druck gesetzt werden sollte."
"Und wieso musste Dolores dann sterben?", hakte Clive nach.
Ich zuckte die Achseln. "Vielleicht war das wirklich nicht beabsichtigt." Ich blickte mich um, dachte einen Moment lang nach.
Ich sah mir inzwischen ein Telefonverzeichnis an. Die meisten Namen waren nur abgekürzt. Ansonsten dominierten Vornamen. Eine Eintragung fiel mir auf.
Malefic stand dort, dahinter eine Nummer.
Ich zeigte das Milo und Clive. "Ich wette, dass das vollständig Maleficius heißen soll", meinte ich.
Clive hob die Augenbrauen. "Ich verstehe nicht, was daran so besonderes sein soll?"
"Bruder Maleficius ist der Name des Satanistengurus, dem Dolores Montalban so verfallen war. Ich habe José Montalban ausdrücklich darauf angesprochen. Angeblich wusste er nicht, wer dieser Maleficius ist!"
"Sagt da einer Maleficius?", meldete sich Agent Craig E. Smith zu Wort, der noch immer mit dem Computer des Verdächtigen beschäftigt war.
Ich wandte den Blick in Richtung des Computerschirms.
Ein Foto war darauf zu sehen. Es zeigte eine Gestalt in dunkler Mönchskutte. Vom Gesicht war nichts zu sehen. Darunter stand in verschnörkelten Buchstaben das Wort Maleficius.
"Das muss seine Homepage sein", stieß ich hervor.
"Ich habe einfach im Verlaufsordner nachgeschaut, welche Internetseiten José Montalban zuletzt angewählt hat", erläuterte Craig.
"Wir sollten ihn so schnell wie möglich finden", meinte ich. "Bevor er ein Opfer von El Columbianos Killern wird!"
29
In dem hallenartigen, hohen Raum war es nicht sehr hell. Ein ausgeklügeltes System von abgedimmten Scheinwerfern sorgte für Dämmerlicht. Es gab keinerlei Fenster.
Bruder Maleficius fasste die Giftschlange kurz hinter dem Kopf. Sein Griff war eisern. Das Tier hatte keine Chance, sich daraus zu lösen. Mit Daumen und Zeigefinger drückte er die Kiefer auseinander. Die Linke hielt ein Glasröhrchen, das er über die Giftzähne stülpte. Die Schlange versuchte zuzubeißen. Tropfenweise sammelte sich das Gift im Röhrchen.
Ein Geräusch ließ den Kuttenträger herumfahren.
Die Schlange entglitt ihm, kroch über den Boden des hallenartigen Raumes davon. Das Röhrchen mit dem Gift zerplatzte beim Aufprall auf den Boden.
"Verdammt!", brummte Maleficius.
Bei Schlangen das Gift abzumelken war eine hochgefährliche Tätigkeit, die volle Konzentration erforderte.
Die kleinste Ablenkung konnte tödlich sein.
Schüsse krachten. Bewaffnete mit Sturmhauben drangen aus zwei Richtungen in den hallenartigen Raum ein. Auch aus den angrenzenden Korridoren waren Schüsse zu hören.
Außer Maleficius selbst waren noch ein halbes Dutzend weiterer Kuttenträger im Raum. Die meisten waren an den großen Terrarien beschäftigt, die sich auf ehemaligen Labortischen befanden.
Schlangen und Giftspinnen waren in diesen Glaskästen zu finden. Mit den Giftsubstanzen, die diese Tiere absonderten, hatte Maleficius seit Jahren experimentiert.
Die Eindringlinge schossen wild um sich.
"Keine Bewegung!", rief jemand.
Einer der Kuttenträger hielt sich nicht daran. Er vollführte eine ruckartige Bewegung. Der Lauf einer Pistole ragte unter dem Ärmel seiner Kutte hervor. Doch er kam nicht zum Schuss. Eine Kugel fetzte ihm in den Oberkörper. Er sank zu Boden und blieb regungslos liegen.
Ein weiterer Schuss traf die Schlange.
Sie drehte einen Salto und blieb regungslos liegen.
Maleficius erstarrte und hob die Hände. Eine andere Wahl blieb ihm und seinen Leuten nicht. Die Übermacht war einfach zu groß.
Die Maskierten packten die Kuttenträger, warfen sie zu Boden. Mancher bekam einen Schlag mit dem Pistolengriff oder dem Schaft eines Sturmgewehrs.
Einer der Kerle trat Maleficius schmerzhaft in die Seite.
Augenblicke des Schweigens vergingen.
Sie erschienen Maleficius quälend lang.
Schließlich waren die klappernden Schritte von Lackschuhen zu hören.
"Wer