Die Farben der Sonne. Brita Rose-Billert. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Brita Rose-Billert
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Книги для детей: прочее
Год издания: 0
isbn: 9783941485433
Скачать книгу
die Abmachung!”, schnaufte Blue wütend.

      „Bonnie ist in der Schule in Pine Ridge, in die auch du gehen wirst.”

      Blue biss die Zähne zusammen und verzog dementsprechend das Gesicht. Trotzig verschränkte er die Arme und starrte geradeaus. Sein Misstrauen hatte ihn plötzlich wieder überwältigt. Er stieß die aufgestaute Luft aus sich heraus und redete bis zum Ziel kein Wort mehr mit Frank.

      Irgendwann bog der schließlich auf das Schulgelände der Red Cloud Indian School ein. Eine Kirche fiel ihm sofort auf und Blue zog verwundert die Augenbrauen zusammen. Missmutig sah er die vielen Gebäude, alte und neue.

      „Was soll das? Was soll ich hier?”

      „Lernen”, antwortete Frank knapp.

      „In der Kirche da vielleicht?!”, schnaufte Blue.

      „Vielleicht.” Frank zog die Schultern hoch und lächelte.

      Blue dachte an Flucht, aber wohin? Er wusste noch nicht einmal, wo seine Großeltern wohnten. Dann dachte Blue an Bonnie.

      „Ist sie hier?”

      Frank nickte.

      „Die Schule hat einen guten Ruf. Die Kirche und die alten Gemäuer sind Überbleibsel von früher, als die Missionare das alles, im guten Glauben, für die Reservationskinder aufbauten.”

      Ist mir doch egal, dachte Blue. Er schwieg bis Frank seinen Mietwagen vor einem der neueren Gebäude stoppte. Im Moment war der riesige Pausenhof wie leer gefegt. Alle schienen im Unterricht zu sein. Blue war das recht. Widerwillig stieg er aus und folgte Frank McKanzie. Sein umherschweifender Blick streifte ein paar Bäume und spärlich angelegte Grünanlagen.

      Eher abwesend saß Blue auf dem Stuhl neben Frank und starrte auf seine Fußspitzen. Er hatte die Direktorin nur flüchtig mit seinem Blick gestreift. Sie war groß und stark gebaut, doch sie hatte ihn freundlich angelächelt. Ihre Stimme dröhnte Respekt einflößend, obwohl sie nur einen „Guten Tag” wünschte. Blue war nie schüchtern gewesen, nie zurückhaltend, bis zum heutigen Tag. Er wusste nicht warum, aber plötzlich kam er sich so unheimlich klein vor. Doch die Direktorin dieser Schule, die sich Mrs White Bull nannte, sprach mit ihm nicht wie mit einem kleinen Jungen. „Was führt dich zu mir, Walter?”

      Blue zuckte innerlich zusammen und räusperte sich, bevor er fragte: „Ist sie hier? Bonnie Foret le Vent?”

      Wieder lächelte Mrs White Bull und suchte seinen Blick zu erwischen. „Wer möchte das wissen?”

      Nun schaute Blue doch auf, in die schwarzen Augen in ihrem runden Gesicht. Sie trug ihr Haar straff nach hinten, zu einem Knoten gebunden. Die große Brille passte in ihr Gesicht fand Blue, auch wenn sie ein wenig aus der Mode war.

      „Ich bin ihr Bruder.”

      Mrs White Bull nickte. „Bonnie ist im Unterricht. In etwa einer viertel Stunde kannst du sie sehen. Dann ist sowieso Schulschluss für die Junior Klassen. Darf ich fragen wie alt du bist, Walter?”

      „Ja.”

      White Bull wartete geduldig. Frank verpasste seinem Sohn schließlich einen Seitenhieb und zischte ihn leise an: „Antworte!”

      „Ich bin zwölf. Steht jedenfalls in der Geburtsurkunde.”

      Die Direktorin grinste und nickte.

      „Ich würde mich freuen, wenn du auch zu uns in die Schule kommst. Wir lehren alle konventionellen Fächer und außerdem Lakota.”

      „Ich bin kein Lakota!”

      „Gut. Dann verhalte dich nicht wie einer.”

      Blue schluckte. Das hatte ihm noch niemand gesagt!

      „Deine Mutter war eine außergewöhnliche Frau mit starker Willenskraft. Du ähnelst ihr sehr, nicht nur äußerlich.”

      Einen Augenblick lang lag Stille im Raum, abwartende Stille.

      Schließlich fragte Blue fast ein wenig vorwurfsvoll: „Ich denke, es ist nicht höflich über die Toten zu reden?”

      Mrs White Bull nickte.

      „Ja, Walter.” Mehr sagte sie nicht.

      „Falls Bonnie wirklich hier ist, werde ich mit ihr in diese Schule gehen. Schreiben Sie nicht Walter in die Papiere und nennen Sie mich nicht so!” Er wies nachdrücklich mit dem Kopf zum Schreibtisch vor sich.

      „Gut. Aber irgendwie müssen wir dich nennen. Hast du noch einen anderen Namen?”

      „Blue Light Shadow”, antwortete er entschlossen.

      Mrs White Bull lächelte, aber sie lachte ihn nicht aus.

      „Blue Light Shadow McKanzie. Du wirst deine Unterschriften verfluchen.”

      Blue schwieg.

      White Bull sah zu Frank, der sich bisher nicht geäußert hatte.

      „Was meinen Sie?”

      Frank nickte. „Es ist sein Name. So haben sie ihn in Chicago genannt. Ich glaube, niemand kannte ihn dort anders. Nicht mal die Polizei.”

      Frank konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen.

      „Die Leute bei unserer Stammespolizei werden sich geehrt fühlen”, meinte Mrs White Bull.

      „Spielst du gern Basketball?”

      Blue zuckte mit den Schultern. „Weiß nicht. Hab‘s noch nicht probiert.”

      „Ich bin sicher, du wirst deinen Spaß daran haben. Sportlich scheinst du mir ja zu sein.”

      „Schon möglich”, grinste Blue, der nun langsam auftaute.

      Jemand klopfte an die Tür.

      „Ja, bitte!”, rief Mrs White Bull.

      Ein Mädchen, etwa sechs Jahre alt, trat leise ein und blieb schüchtern neben der Tür stehen ohne ein Wort zu sagen. Blue fuhr herum.

      „Bonnie”, flüsterte er beklommen.

      Bonnie schien wie erstarrt und nicht fähig sich zu rühren. Blue war es, der aufstand und zu ihr ging.

      „Geht es dir gut?”

      Bonnie nickte nur. Dann schlang sie ihre Arme um ihn und klammerte sich an ihm fest. Er schloss sie in seine Arme und spürte das lautlose Schluchzen. Doch Blue biss die Zähne zusammen und vergrub sein Gesicht in ihren Haaren. Sie waren schwarz und zu Zöpfen geflochten und sie hatten den vertrauten Geruch. Während Blue eher nach seiner Mutter kam, ähnelte Bonnie ihrem Vater sehr. Sie hatte seine weichen Gesichtszüge, seine Gutmütigkeit in den Augen und seine beruhigende, sanfte Stimme.

      „Bleibst du bei mir?”, flüsterte sie.

      „Ja”, antwortete Blue entschlossen und ohne zu zögern.

      „Grüßen Sie Carol und Wayton Stone Horse, wenn sie die Kinder nach Hause bringen” sagte Mrs White Bull zu Frank

      Frank nickte. „Mach ich.”

      Dann stand er auf und verabschiedete sich. Gemeinsam gingen sie hinaus. Bonnie hatte nach der Hand ihres Bruders gegriffen und ließ ihn nicht mehr los. Blue hielt den Kopf gesenkt und beobachtete durch seine Haarsträhnen, die ihm wie ein schützender Vorhang fast bis zur Nasenspitze reichten, die anderen auf dem Schulgelände. Er spürte auch ihre Blicke, die auf ihn und Bonnie gerichtet waren.

      Auf der Fahrt zu den Großeltern hüllten sich die drei in tiefes Schweigen. Blue sah sich die Gegend an, als müsse er sich den Weg genau einprägen. Irgendwo war schließlich auch dieser Weg zu Ende und der Mietwagen holperte langsam auf einen Trailer zu, von dem die Farbe blätterte. Alte Holzkisten dienten als Veranda. Auf dem Wellblechdach lagen einige Autoreifen. Zwei Pickup Trucks standen davor. Daneben lag ein Haufen Holzbretter, Berge von Müll und weiter hinten gab es einen frischen Erdhügel. Kein Mensch war zu sehen. Frank stoppte vor dem Trailer, neben den Pickups und zog den Schlüssel.

      „Okay.