Jede Neuformulierung der Theorie des Zivilisationsprozesses in diese Richtung erfordert notwendig eine Neubesinnung der Soziologie selbst. Art und Stil der Soziologie haben sich der modernen Gesellschaft analysierend angepaßt. Seit ihrer Entstehung unterhält die Soziologie eine mimetische Beziehung mit ihrem Gegenstand – oder, zutreffender vielleicht, mit der Vorstellung von diesem Gegenstand, als Bezugspunkt für den eigenen Diskurs konstruiert und akzeptiert. Derart bekennt sich die Soziologie zu eben den Prinzipien rationalen Handelns, die sie für ihren Gegenstand’ als konstitutiv ansieht. Die Unzulässigkeit ethischer Problemstellungen ist verbindlich für den eigenen Diskurs, da diese begrenzt gültigen Ideologien zugeschrieben werden und soziologischer, d. h. rationalwissenschaftlicher Beschäftigung nicht angemessen scheinen. Begriffe wie die »Unverletzlichkeit des menschlichen Lebens« oder »moralische Pflicht« klingen daher in einem Soziologieseminar ähnlich fremdartig wie in den desinfizierten sterilen Büros des Verwaltungsapparates.
Wenn die Soziologie diese Prinzipien in der fachlichen Praxis beachtete, so hielt sie sich damit durchaus an die Gepflogenheiten der Wissenschaftskultur allgemein. Auch diese hat als Teil des Rationalisierungsprozesses eine genaue Analyse bitter nötig. Die Verdrängung moralischer Fragestellungen in der Wissenschaft kann böse Folgen haben: Man erinnere sich, daß der Massenmord und die Beseitigung der Leichen in Auschwitz als »medizinisches Problem« angegangen wurden. Franklin M. Littells Warnung vor einer Glaubwürdigkeitskrise der modernen Universität ist nicht ohne weiteres von der Hand zu weisen: »Welche medizinische Fakultät brachte Mengele und seine Komplizen hervor? Welche anthropologische Abteilung lieferte die Mitarbeiter für das ›Institut für Erbforschung‹ an der Straßburger Universität?«37 Um Mißverständnissen darüber vorzubeugen, wer sich durch solche Fragen angesprochen fühlen sollte – sie sind keineswegs von nur zeitgeschichtlicher Bedeutung, wie Colin Grays Untersuchung über die Motive des Wettrüstens zeigt: »Wissenschaftler und Technologen auf beiden Seiten treten in erster Linie an, um eigenes Wissen zu vermehren (der Gegner ist weniger die sowjetische Technologie, vielmehr das Unbekannte, das die wissenschaftliche Neugier anzieht) … Wen wundert es da, daß motivierte, fachlich hochqualifizierte und finanziell gut ausgestattete Forscherteams am laufenden Band neue, raffinierte Waffenkonzepte produzierten?«38
Eine erste Fassung dieses Kapitels erschien im Dezember 1988 im British Journal of Sociology.
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