Doch wir bleiben selbst bei besten Lebensbedingungen nicht von Schmerz verschont. Der Milliardär Howard Hughes starb als verzweifelter, einsamer Mann. Und unsere Lebensumstände ändern sich unweigerlich. Beim einen zerbricht die Ehe, ein anderer bekommt vielleicht ein behindertes Kind und ein dritter verliert seine gesamte Habe durch eine Flutwelle. Das Ausmaß oder die Art des Leids, das Menschen ertragen müssen, mag verschieden sein, aber niemand kommt ganz ungeschoren davon. Schmerz und Leid sind wie ein roter Faden, der alle Menschen miteinander verbindet.
Schmerz erzeugt eine Diskrepanz zwischen dem, was ist und unserer Vorstellung, wie die Dinge sein sollten, und das macht uns unzufrieden mit unserem Leben. Je mehr wir uns wünschen, unser Leben möge anders sein, desto schlechter fühlen wir uns. Wird ein Mensch beispielsweise durch einen Unfall für den Rest seines Lebens an den Rollstuhl gefesselt, ist das erste Jahr gewöhnlich das schwerste. Wenn wir uns dann nach und nach an die Situation anpassen, erreichen wir normalerweise wieder unser früheres „Glücksniveau“. Wie glücklich oder unglücklich wir sind, zeigt sich in der Kluft zwischen dem, was wir uns wünschen und dem, was ist.
Viele Menschen glauben, ihr Glück hinge von ihren äußeren Lebensumständen ab. Deshalb verbringen wir unser Leben in einem Hamsterrad, ständig auf der Jagd nach Vergnügen und auf der Flucht vor dem Schmerz. Erleben wir etwas Angenehmes, verlangen wir nach mehr. Machen wir schmerzliche Erfahrungen, flüchten wir. Das sind instinktive Reaktionen, aber keine Erfolg versprechenden Strategien für unser emotionales Wohlergehen.
Beim Streben nach Vergnügen gibt es ein Problem: Das Vergnügen hat irgendwann ein Ende und wir sind enttäuscht. Unsere Verliebtheit endet, unsere Bäuche werden voll, unsere Freunde gehen nach Hause. Bei der Vermeidung von Schmerz gibt es ebenfalls ein Problem: Es ist schlicht unmöglich, Schmerz zu vermeiden, und er wird oft umso größer, je mehr wir das versuchen. Essen wir beispielsweise, um Stress zu bekämpfen, kann Fettsucht die Folge sein, und exzessives Arbeiten zur Bekämpfung eines geringen Selbstwertgefühls kann uns ins Grab bringen.
Man kann im Hinblick auf das Streben nach Vergnügen und das Vermeiden von Schmerz vollkommen vom Instinkt gesteuert sein. Ich kenne einen Mann, Stewart, dem es in jungen Jahren besonderes Vergnügen bereitete, Alkohol zu trinken. Er begann mit 14 Jahren zu trinken, und als er 20 war, trank er regelmäßig einen Kasten Bier (24 Dosen) pro Abend. Eines Abends hatte er in betrunkenem Zustand eine Panikattacke, die ihm dermaßen zusetzte, dass er nie wieder Alkohol trank. Bier, die Quelle seines Vergnügens war über Nacht zu etwas Bedrohlichem geworden, denn er brachte seine Panikattacke damit in Verbindung. Von nun an mied Stewart alle Orte oder Situationen, die eventuell eine Panikattacke auslösen könnten, einschließlich solcher Dinge, die ihm früher viel Spaß gemacht hatten, wie mit seinem Kleintransporter durch die Stadt zu fahren oder sich ein Baseballspiel im Stadion anzuschauen. Zuerst hatte der Alkohol sein Leben beherrscht, nun war es die Angst vor einer Panikattacke. Stewart war zur Geisel dieser flüchtigen emotionalen Zustände geworden: Vergnügen und Schmerz.
Den Schmerz in der Ehe annehmen
Der Psychologe John Gottman führte an der University of Washington eine Langzeitstudie über 14 Jahre mit 650 Paaren durch, um herauszufinden, was eine glückliche Ehe ausmacht. Er behauptet, mit 91 %iger Sicherheit vorhersagen zu können, welche Ehen vor dem Scheidungsrichter enden werden. Es sind jene Paare, deren Kommunikation hauptsächlich aus Kritik, Abwehr, Verurteilung und „Mauern“ besteht, den „vier apokalyptischen Reitern“. Gottman hat außerdem beobachtet, dass 69 % aller ehelichen Konflikte nie gelöst werden, insbesondere solche, bei denen es um Persönlichkeitsmerkmale und unterschiedliche Werte geht. Da die meisten Paare nicht in der Lage sind, ihre persönlichen Differenzen aufzulösen, lernen erfolgreiche Paare, sie irgendwie zu akzeptieren. Glückliche Paare „sind einander sehr vertraut, sie kennen die Vorlieben und Abneigungen des anderen, seine ‚Macken‘, Hoffnungen und Träume.“
Die Psychologen Andrew Christensen und Neil Jacobson haben eine auf Akzeptanz basierende Paartherapie entwickelt: die sogenannte integrative Paartherapie. Bei diesem Therapieansatz werden Differenzen, die gelöst werden können, mit Verhaltenstherapie angegangen, während man unveränderbaren Dingen mit „Akzeptanz“ begegnet. Akzeptanz bedeutet hier das Annehmen der Probleme als Chance zu mehr Nähe sowie das Loslassen des Wunsches, den Partner zu ändern. Im Rahmen einer randomisierten kontrollierten Studie wurden Paare sechs Monate lang bei ihrer wöchentlichen Therapie begleitet. Es zeigte sich, dass zwei Drittel der Paare, die vor der Therapie unter chronischen Beziehungsproblemen gelitten hatten, auch noch zwei Jahre danach deutlich glücklicher miteinander waren.
Doch wir können mit Schmerz und Vergnügen auf eine neue, ungewohnte Weise umgehen, indem wir unser Verhältnis dazu ändern. Wir können einen Schritt zurücktreten und lernen, mitten im Schmerz ruhig zu bleiben, und wir können Vergnügen oder Genuss einfach kommen und gehen lassen. Das ist Gelassenheit. Wir können sogar lernen, den Schmerz, das Vergnügen und alle Zustände dazwischen bereitwillig anzunehmen und so jeden Augenblick unseres Lebens auszukosten. Das ist Freude. Auf der Suche nach persönlichem Glück müssen wir lernen, auch mit dem Schmerz zu sein. Es mag paradox klingen, aber um glücklich zu sein, müssen wir auch „ja“ zum Unglücklichsein sagen.
Was wir ablehnen, verfolgt uns
Unseren instinktiven Umgang mit Schmerz kann man auf die einfache Formel bringen:
Schmerz x Widerstand = Leiden
Der Begriff „Schmerz“ bezieht sich hier auf unkontrollierbare schmerzliche Erfahrungen und Ereignisse, die uns im Leben widerfahren können – ein Unfall, eine Krankheit, der Tod eines geliebten Menschen. Mit „Widerstand“ sind alle Versuche gemeint, den Schmerz abzuwehren, wie beispielsweise das Anspannen des Körpers oder die ständige Suche nach Möglichkeiten, den Schmerz loszuwerden. „Leiden ist das Resultat unseres Widerstandes gegen den Schmerz. Leiden ist die emotionale Spannung, die wir unserem Schmerz Schicht um Schicht hinzufügen.“
Bei dieser Formel bestimmt unser Umgang mit dem Schmerz das Ausmaß unseres Leidens. Tendiert unser Widerstand gegen den Schmerz gegen null, so gilt das auch für unser Leiden. Schmerz mal null ist gleich null. Kaum zu glauben? Die Schmerzen des Lebens sind da, aber wir bleiben nicht unnötig darin gefangen. Wir nehmen sie nicht überallhin mit.
Wir leiden zum Beispiel, wenn unsere Gedanken Stunden und Tage lang darum kreisen, dass wir unsere Aktien vor dem Zusammenbruch des Marktes hätten verkaufen sollen, oder wenn wir uns ununterbrochen Sorgen darüber machen, dass wir vor einem bevorstehenden wichtigen Ereignis krank werden könnten. Natürlich müssen wir uns immer wieder auch Gedanken machen, um Probleme im Vorfeld zu erkennen oder möglicherweise zu verhindern, aber oft bleiben wir im Bedauern über Vergangenes oder in den Sorgen über die Zukunft stecken.
Schmerz ist unvermeidlich, Leiden nicht. Je tiefer unser emotionaler Schmerz, desto mehr scheinen wir unser Leiden durch zwanghaftes Verhalten, Selbstanklagen und Versagensgefühle zu vergrößern. Das Gute daran ist, dass wir etwas dagegen tun können, weil unser Schmerz in Wirklichkeit meistens Leiden ist – das Resultat unseres erbitterten Kampfes gegen die Erfahrung des Schmerzes.
Vom Nutzen der Sorgen
Warum können wir anscheinend nie aufhören, uns Sorgen zu machen? Tom Borkovec von der Pennsylvania State University bat 45 Studenten, die Angst hatten, vor Publikum zu sprechen, sich zehn beängstigende Situationen vorzustellen. „Stellen Sie sich vor, Sie müssten gleich eine wichtige Rede vor einem großen Publikum halten … Sie stehen am Rednerpult und spüren, wie ihr Herz rast …“ Borkovec hatte die Studenten zuvor in drei Gruppen eingeteilt, die jeweils an entspannende, neutrale oder besorgniserregende Dinge denken sollten. Dann ließ er ihre Herzfrequenz messen, während sie an die beängstigenden Szenen dachten. Überraschenderweise wurde bei jenen Studienteilnehmern, die vorab an etwas Besorgniserregendes denken sollten, im Vergleich zu den anderen Teilnehmern