Mensch und Gott. Houston Stewart Chamberlain. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Houston Stewart Chamberlain
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Философия
Год издания: 0
isbn: 4064066499945
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Kernpunkt getroffen. Er schreibt: »Ewig nur an ein einzelnes kleines Bruchstück des Ganzen gefesselt, bildet sich der Mensch selbst nur als Bruchstück aus; ewig nur das eintönige Geräusch des Rades, das er umtreibt, im Ohre, entwickelt er nie die Harmonie seines Wesens, und anstatt die Menschheit in seiner Natur auszuprägen, wird er bloß zu einem Abdruck seines Geschäftes, seiner Wissenschaft« ( Ästh. Erz., Bf. 6). Schiller's prophetischer Blick bleibt, wie man sieht, nicht am Fabrikarbeiter haften, welcher buchstäblich »ein Rad treibt«, vielmehr umfaßt er unsere gesamte, von mechanischen Methoden und Denkweisen durchdrungene Zivilisation. Und dieser Blick zeigt ihm die unentrinnbare Entwertung des Menschen als Menschen.

      Hierbei ist folgendes zu bedenken.

      Jegliche Vollkommenheit – womit ich sagen will, jegliche Erscheinung, die sich der Vollkommenheit sichtbar annähert – erfordert eine gewisse allseitige Abrundung, ein Verhältnis der Teile zueinander, welches ein unabhängiges Sichselbstgenügen innerhalb gegebener Grenzen ermöglicht; allem, was in irgendeinem Sinne des Wortes die Bezeichnung »Kultur« verdient, kommt diese Eigenschaft der Abrundung zu. Hingegen ist ein organisches »Bruchstück« – als welches Schiller den heutigen Menschen bezeichnet – stets ein Zerbrochenes, weil Zusammenhangloses, auf die Willkür Anderer Angewiesenes. Wie großartig z. B. steht der Bauer und überhaupt der Landmann da, in sich selbst abgerundet und in den wesentlichen Dingen sich selbst genügend! Bei allem, was er tut, weiß er genau das Warum und das Wozu; jedes Handeln ist zugleich ein Denken; er dient der Natur, indem er sie seinen Zwecken dienstbar macht, und wird so selber zu einem Stücke lebendiger Natur. Am anderen Ende der Stufenreihe steht der heutige Fabrikarbeiter, dessen Millionenfluten uns zu ertränken drohen. Seine ganze »Arbeit« wird ihm durch Willkür vorgeschrieben; zwar bedarf er dabei meistens des Geschickes, doch eines rein mechanischen Geschickes, und es besteht kein innerer Zusammenhang zwischen Hirn und Hand; alles, was er tut, ist an und für sich zwecklos und erhält erst später, durch die Tätigkeit anderer Hirne, einen Zweck. Daher die Unmöglichkeit für ihn, in seiner Arbeit Befriedigung zu finden; anstatt, wie beim Landmann, Inhalt des Lebens zu sein, bildet für ihn seine »Arbeit« lediglich ein mechanisches Mittel, den Lebensunterhalt zu gewinnen, den Unterhalt also eines anderen Lebens, das aber zu leben er zu müde und zu unvorbereitet ist. Einzig ein planmäßiges, systematisches Entgegenwirken hätte hier die bösesten Folgen abwehren können: mehr als andere hätte dieser mechanische Arbeiter einer edlen Ausbildung des Verstandes und einer reichen Ausfüllung der Phantasie bedurft, dazu gesunder ländlicher Luft und Landbeschäftigung – letzteres fand bei den Anfängen der Weberei in England statt, ersteres wird in dem oben genannten Buch Elisée Reclus' gefordert. Das Gegenteil von dem allen geschah. Nicht allein wurden die Kräfte des Fabrikarbeiters in den ersten Jahrzehnten bis zur Erschöpfung mißbraucht, sondern noch, ehe die Gesetzgebung diesem Übel zu steuern begonnen hatte, war – wie schon oben bemerkt – die Presse in den festbegründeten Besitz ihrer Allmacht gelangt und hatte sich namentlich den Arbeiterstand völlig unterjocht. Vernichtung der Urteilskraft und Entwurzelung der angeborenen Regungen des Gemütes: das waren die Hauptziele dieses Satans. Bekanntlich steht die gesamte Presse, die ich hier im Sinne habe – die weit über den Fabrikarbeiter hinaus neun Zehntel des Bürgerstandes beherrscht – in jüdischem Besitze und Juden wirken auch als Geschäftsleiter, Schriftleiter, Kritiker usw. dabei ausschlaggebend. Ob es wirklich einen jüdischen Geheimbund gibt, der sich die leibliche, geistige und sittliche Zerstörung des Indoeuropäers und mit ihm seiner Kultur zum bewußt verfolgten Ziele gesetzt hat, weiß ich nicht; ich glaube, der bloße Instinkt dieses durch Jahrtausende gezüchteten »plastischen Dämons des Verfalles der Menschheit«, wie Richard Wagner ihn nennt (Erkenne Dich selbst) genügt; um so mehr, da hier, wie sonst überall, seine unmittelbaren Geschäftsinteressen sich mit jenem Ziele decken. Mit grauenerregender Schnelligkeit schoß hier das Unheil in die Höhe; im großen Kriege erblickten wir schon die nackte Lüge als Beherrscherin der ganzen Welt »in triumphierender Sicherheit«. Gestand doch kurz vor Beginn des Krieges ein führender Journalist der Vereinigten Staaten: »Wenn es je einem von uns einfiele, die Wahrheit zu schreiben, er wäre am nächsten Tage brotlos« (Brooks: Corruption in American Politics and Life, 1910, S. 122). Und der Soziolog Professor Ward sagt: »Zeitungen sind einfach Werkzeuge des Betrugs« (a. a. O.). So steht denn die überwiegende Mehrzahl der heutigen Menschheit – die fast ihr ganzes Wissen und Meinen aus Zeitungen schöpft – bereits außerhalb der Möglichkeit, überhaupt Wahres zu erfahren; nicht allein auf den Gebieten der Politik und der Wirtschaft wird sie nach der Willkür jener Drahtzieher irregeführt, vielmehr umgibt sie das Truggebäude einer erlogenen Wissenschaft, einer erlogenen Kunst, eines erlogenen Denkens und eines giftschwangeren Schriftwesens. Verhältnismäßig Wenige sind in der Lage, durch umfassende Bildung, dieser durch die Presse geschaffenen Hölle zu entrinnen und zu Freiheit des Urteils zu gelangen. Die Weisen unter uns haben von Anfang an gewußt, wohin die Vorherrschaft der Presse führen mußte – ja, mußte: es gab kein Entrinnen. Schon im Januar 1813 schreibt Goethe an Reinhard: »Es ist unglaublich, was die Deutschen sich durch das Journal- und Tageblattsverzeddeln für Schaden tun: denn das Gute was dadurch gefördert wird, muß gleich vom Mittelmäßigen und Schlechten verschlungen werden.« Mit diesen wenigen Worten wird der Kern der Sache bloßgelegt: bei einer Erscheinung wie die Presse ist es nicht anders möglich, als daß alle etwa vorhandenen, noch so redlichen und energischen guten Absichten von den schlechten »verschlungen werden«! Ein einziges hätte allenfalls dem sonst unüberwindlichen Übel steuern können: das rechtzeitige tatkräftige Eingreifen einer weisen Staatsgewalt. Auch hier hatte schon Goethe gewarnt: »Nach Preßfreiheit schreit niemand, als wer sie mißbrauchen will« ( Maximen, Ausg. der G. G., Nr. 972). Doch wer hört auf derartige Worte? Die »Freiheit der Presse« ward zum Feldgeschrei aller Parteien, und wer es wagte, eine andere Einsicht zu vertreten, wurde als versteinerter Dummkopf aus dem politischen Leben hinausverhöhnt. Ich verweise zum Vergleich auf unsere Markt- und Warenpolizei. Man überlege sich, welche große Entwickelung diese vor allem in Deutschland im Laufe eines Jahrhunderts gewonnen hat: nicht allein darf gesundheitsschädliche und überhaupt verfälschte Ware nicht zum Verkauf gelangen, sondern auch unschädliche Ersatzmittel müssen bei schwerer Strafe als solche bekannt gemacht werden. Der Staat tut hier seine Pflicht, indem er nach Kräften die gesunde, redliche Gesamtheit gegen die betrügerischen Machenschaften gewissenloser Schwindler schützt und sich nicht durch die Redensart abhalten läßt, das Volk werde sich selber zu schützen wissen. Und doch hätten es die Menschen weit eher verstanden, sich gegen jegliche leibliche Bedrohung zu schützen als gegen das ihnen tagtäglich gereichte seelische Gift. »Denn die Gefahr ist ja bei dem Kaufe von Kenntnissen viel größer als bei Nahrungsmitteln« – wie Sokrates in Plato's Protagoras es bemerkt. Der Staat, der hier versagte, war wert, daß er zugrunde ging.

      So steht denn der ohnehin zu einem Bruchstück zerschlagene, der harmonisch abgerundeten Freiheit verlustige Mensch entseelt da, seiner Wahrträume beraubt, voller Neid, doch ohne Hoffnungen, voller Haß und bar jeglicher Liebe. Wir alle kennen die Mitleid und Grauen erregenden Antlitze, deren Stirnen das Brandmal der Ehrfurchtslosigkeit aufgedrückt ward, deren Schläfen wie von einem Dämon der Unfruchtbarkeit berührt sich zeigen, aus deren Augen die Widerspiegelung des Himmels gewichen ist und deren Mundwinkel eine Bitterkeit aussprechen, für die es keinen Trost mehr auf Erden gibt.

      Da nun, wie wir festgestellt haben, der Begriff Mensch eine Gedankengestalt (Idee) ist und – wie alle Gedankengestalten – verschiebbar und wechselnd je nach den Hirnen, welche sie gestalten, je nach deren Reichtum oder Armut, je nach deren Edelsinn oder Gemeinheit, so läßt sich leicht denken, wie Verschiedenes selbst innerhalb der selben Völkerfamilie unter einem und dem selben Wort Mensch gedacht und vorgestellt wird. Man versuche, sich die Gedanken des Königs Mohampatuah, am unteren Kongo, abends, nachdem er seinen Vetter eben verspeist hat, über diesen Gegenstand zu vergegenwärtigen und sie dann mit denen des Sokrates, kurz ehe er den Schirlingsbecher leerte, zu vergleichen! Der Unterschied wird kaum größer sein als der zwischen Idee und Ideal des Menschen in den Köpfen – sagen wir – einerseits Liebknecht's, andrerseits Bismarck's. Hieraus folgt, daß wir nicht berechtigt sind, den Begriff Mensch als eine bekannte Größe, noch weniger als Bezeichnung für eine sichere, unbestrittene Tatsache zu verwenden: der Eine erstürmt mit dieser Gedankengestalt den Himmel, von der glühenden Sehnsucht nach Vervollkommnung getrieben, der Andere erniedrigt – gerade Dank seiner Bildung und