Das Ende der Marienthaler Pfirsiche
Fremder, kommst du nach Z. . . .
Monika Hähnel
Vorwort
Aus der eigenen Inaugenscheinnahme, aber auch aus einer Stadtführung, einem beiläufig eingesteckten Flyer, aus Tagebuchnotizen, Erinnerungsbüchern bekannter Söhne und Töchter der Stadt, Gesprächen … aus vielem speist sich das Bild von einer Stadt. Das gilt auch für Zwickau und für die in der Stadt Lebenden oder sie Besuchenden. Manchmal rundet sich solches Bild und verbindet einen noch mehr mit dem Ort, manchmal fügen sich dem Mosaik verstörende Steine ein, immer aber ergänzt man es auch selbst durch Vertiefung oder Korrektur nach erneuter Begegnung.
Erzählt einem jemand von seiner Sicht auf die Stadt, macht einen auf besondere Orte aufmerksam und vermittelt, wie er zu Wissen über Details gekommen ist, so kann das die eigene Sicht bereichern. Besonders eindrucksvoll aber sind solche Fremdsichten, wenn zugleich deutlich wird, welche Empfindungen das bei den Erzählern ausgelöst hat, welche persönlichen Geschichten damit verbunden sind. So wollten auch die Mitglieder des Förderstudios Literatur e.V. Zwickau, die 2015 ihr 20jähriges Bestehen feiern, etwas von ihren besonderen Zwickau-Plätzen berichten und ihre Eindrücke, zum Teil auch Erinnerungen, weitergeben.
Entstanden ist eine kleine Sammlung neuer Texte.
1995 wurden schon einmal kürzere „Zwickauer Impressionen“ zusammengestellt. Einige Texte wurden damals Grundlage für filmische Sequenzen aus dem Videostudio, das wie das Förderstudio Literatur e.V. ebenfalls seinen Sitz in der Galerie am Domhof hat. In der jetzt entstandenen Sammlung – inzwischen gibt es auch neue Autoren in unseren Reihen – treten Fotografien hinzu, die auf ihre eigene Weise Stimmungen in der Stadt eingefangen haben.
Nun laden wir die Leser und Betrachter ein, sich anregen zu lassen, von den Entdeckungen, Erinnerungen und Impressionen der Autoren des Förderstudios Literatur, anregen zu erneuter Erkundung Zwickaus!
Sieglinde Riedel
Ein Tor zu meiner Stadt
Abseits der Stadt ist der Ort, wo sich Wiedersehen und Abschied tangieren, wo sich Freude und Traurigkeit ihr Stelldichein geben. Der Bahnhof ist das Eingangstor zu meiner Stadt und sollte die Ankommenden freundlich empfangen.
Ich schaute zurück auf den Vorplatz, der sich halbkreisförmig vor mir breitete. Da ich noch Zeit hatte, wartete ich vor dem überdachten Eingang des attraktiven Bahnhofsgebäudes, einem Kuppelbau im klaren Bauhausstil aus Klinker Glasziegeln. Dabei beobachtete ich, wie eine ältere Frau mit ihrem Rollenkoffer nach Verlassen der Straßenbahn Slalom um aufgeplatzten Asphalt und Pfützen lief. Der Winter nahm gerade seinen Abschied und Reste von Altschnee und Streusand bedeckten den Boden. Ihr Koffer holperte über die mit Kopfstein gepflasterten Fahrbahnen der Busse. Die letzte Hürde war der verblasste, wellige Zebrastreifen, den sie passieren musste, um den Eingang zu erreichen.
Dieser Vorplatz ist wahrlich kein freundlicher Empfang für Fremde, dachte ich. Das hat die Schumannstadt nicht nötig! Wie lange sollte dieses triste Bild noch bleiben? Ich erinnerte mich, dass vor längerer Zeit in der Zeitung eine Skizze des Bahnhofsvorplatzes mit direkt vor den Eingang verlegten Straßenbahnschienen und anschließenden Grünflächen vorgestellt wurde. Ich versuchte, bei den Stadtvätern Näheres über Baubeginn und Abschluss zu erfahren. Leider musste ich mich mit der unbefriedigenden Antwort zufrieden geben, dass am Projekt gearbeitet würde.
Es war Vormittag, ein Gruppe rauchender Taxifahrer wartete gelangweilt auf Fahrgäste. Eilig kam ein junger Mann mit Aktenkoffer aus der Bahnhofshalle. Er ging auf einen der Taxifahrer zu. Dieser wies ihn an den ersten in der Reihe der wartenden Autos.
Ich ging in die Bahnhofshalle und traf dort auf die Frau mit dem Rollenkoffer. Ihr Blick richtete sich auf die gegenüber dem Eingang hoch angebrachte elektronische Anzeigetafel, die für den Zug nach Dresden Verspätung meldete. Ich kannte das Problem. Besonders im Winter, wenn aus fünf Minuten zwanzig und mehr wurden. Die Sachsen-Franken-Magistrale ist ein gutes Angebot der Deutschen Bahn. Sie verbindet Dresden und Nürnberg täglich einige Male. Ich erinnerte mich, dass in den neunziger Jahren die Strecke von Görlitz bis Oberstdorf führte. Das war ein bequemes Reisen ohne Umsteigen in den Süden Deutschlands.
Die Frau sprach mich an: „Wollen Sie auch nach Dresden?“ – „Nein, heute nicht. Ich fahre aber oft diese Strecke.“ – „Ich muss zum Flughafen, hoffentlich erreiche ich den Anschluss in Dresden Hauptbahnhof.“ – „Die S-Bahnen zum Flughafen fahren öfter“, beruhigte ich sie. Unter der Tafel ist ein Informationstresen, dahinter der einst attraktive Blickfang der Halle, eine breite Freitreppe. In dem jetzt dort eingebauten Fahrstuhl, der die Treppe unbarmherzig teilt, verschwand die Frau. Geblieben sind zwei große auf Säulen platzierte Figuren, ein Bergarbeiter rechts und ein Metallarbeiter links, welche zu mahnen scheinen: „Verstümmelt diese Bahnhofshalle nicht noch mehr!“ Mit den hohen bis an die Decke reichenden Fenstern ähnelt sie einem sakralen Raum. Von den dunklen Deckenbalken hängen symmetrisch angeordnete weiße Laternenlampen herunter, welche die Höhe optisch reduzieren.
„Erhaltet die braun geflammten quer gefliesten Wände und die noch vorhandenen Fahrkartenschalter!“ Ja, sie haben recht, die beiden Gesellen, aber ohne Fahrstuhl müsste die Frau ihren schweren Koffer in die untere Ebene und wieder nach oben zu den Bahnsteigen schleppen. Zweckmäßigkeit und Architektur lassen sich offenbar nicht immer in Einklang bringen.
Ich stellte meine Tasche auf eine der ovalen Marmorplatten, welche die gefliesten Säulen vor den ehemaligen Schaltern abschließen. Die Fenster sind mit Lamellenvorhängen zugezogen. Sie erinnerten mich an die vor Jahren hier tätigen Bahnangestellten