Historisches
V. 3-8*: Die Parabel dürfte – mit den oben genannten Einschränkungen – sicher auf Jesus zurückgehen; damit ist – wegen der fehlenden Sachhälfte – allerdings noch nichts über ihren Sinn ausgesagt.
»Ist sie ein Trost für jeden Menschen, wenn nicht alle seine Arbeit Frucht trägt? Ist sie in diesem Sinn gleichsam ein halb resignierter, halb dankbarer Monolog Jesu? Ist sie eine Mahnung an die Hörer des göttlichen Worts? Der Predigt Jesu? … Oder ist in der ursprünglichen Parabel überhaupt nicht auf das Wort reflektiert«? (Bultmann, 216). Oder sind die in die Welt gesäten Menschen gemeint?
Jedenfalls greift das Gleichnis in seinen Bildern auf Erfahrungen eines Bauern in Galiläa zurück. Hier und im übrigen Palästina wurde vor dem Pflügen gesät. Daher schildert das Gleichnis einen Normalfall, in dem Mißerfolge von vornherein »eingeplant« sind. »Der Säemann des Gleichnisses schreitet also über das ungepflügte Stoppelfeld! Nun wird begreiflich, warum er auf den Weg sät. … Absichtlich sät er auf die Dornen, die verdorrt auf dem Brachfeld stehen, weil auch sie mit umgepflügt werden sollen. Und daß Saatkörner auf das Felsige fallen, kann jetzt nicht mehr überraschen … Was dem Abendländer als Ungeschick erscheint, erweist sich für palästinische Verhältnisse als Regel« (J. Jeremias, 7f).
Aber wie lautet der Sinn des Gleichnisses? Mag seine Bildhälfte auch recht einprägsam sein, seine Interpretation ist höchst umstritten. Dies hängt einmal damit zusammen, daß sich die Unkenntnis der ursprünglichen Erzählsituation in diesem Fall besonders nachteilig auswirkt, zum anderen damit, daß man das Gleichnis entweder von seiner Deutung her verstand oder von dieser radikal abtrennte, so daß nur unsichere Anhaltspunkte für die Interpretation zurückblieben. Die Unsicherheit drückt sich schon in der Benennung des Gleichnisses aus. Je nachdem, ob man den Sämann, den Samen oder den Ackerboden in den Vordergrund rückt, nannte man es das Gleichnis vom unverzagten Sämann, vom ausgestreuten Samen oder vom viererlei Acker. Man vgl. Jülicher II, 514-538.
Die von mir aufgrund des Kohärenzkriteriums bevorzugte Möglichkeit des Verständnisses ordnet das Gleichnis der Zukunftserwartung Jesu zu. Dabei reihe ich es in die Reich-Gottes-Gleichnisse ein und gehe von der Kontraststruktur aus. Diese liegt darin, daß das Gleichnis zu Anfang einen anderen Zeitpunkt beschreibt als am Schluß. Während zunächst die Aussaat geschildert wird, stellt der Schlußvers die ausgereiften Ähren vor Augen. Damit wird der Einbruch des Reiches Gottes verglichen. Ihm stehen mannigfaltiger Mißerfolg und Widerstand in der Gegenwart gegenüber. So ruft das Gleichnis zur Zuversicht auf: »Allem Mißerfolg und Widerstand zum Trotz läßt Gott aus den hoffnungslosen Anfängen das herrliche Ende hervorgehen« (J. Jeremias, 150). Als Gleichnis Jesu drückt es dann Jesu Zuversicht aus – eine Zuversicht, die wegen des faktischen Nicht-Eintretens des Reiches Gottes eine Niederlage erlitt.
V. 9 ist als Wort Jesu unecht.
V. 11-12 sind ungeschichtlich.
V. 10*.13a.14-20 sind ungeschichtlich.
Mk 4,21-25: Sprüche von der Lampe und vom Maß
(21) Und er sagte ihnen: »Kommt etwa die Lampe, damit man sie unter den Scheffel stellt oder unter das Bett? Nicht vielmehr, damit sie auf den Leuchter gestellt werde? (22) Nichts nämlich ist verborgen, außer damit es offenbar werde, und nichts ist geheim, außer damit es an den Tag komme.
(23) Wer Ohren hat zu hören, der höre!«
(24) Und er sagte ihnen: »Seht, was ihr hört! In welchem Maß ihr meßt, werdet ihr gemessen, und es wird euch hinzugefügt werden. (25) Wer nämlich hat, dem wird gegeben werden; und wer nicht hat, dem wird auch das, was er hat, weggenommen werden.«
Redaktion
V. 21-22 sind im mk Kontext wohl auf die Übereignung des Geheimnisses des Gottesreiches an die Jünger (V. 11) zu beziehen.
V. 23: Diese Weckformel setzt Mk hier ein und wiederholt damit V. 9, um den ganzen Abschnitt als Einheit verstehen zu lassen.
V. 24-25: Vielleicht erläutern auch diese beiden Sprüche redaktionell das Geheimnis des Gottesreiches.
Tradition
Das Stichwort »Scheffel« V. 21 verbindet den Abschnitt mit dem Sämanns-Gleichnis und hat zur Anfügung des Wortes vom Maß (V. 24a) geführt. Der Satz »es wird euch hinzugefügt werden« (V. 24b) hat das Wort vom Haben und Bekommen (V. 25) nach sich gezogen.
V. 21 ist ein etwas ausgesponnenes einfaches Bildwort, ein Sprichwort profaner Lebensweisheit mit Parallelen in jüdischer Literatur. Vgl. Q (Mt 5,15/Lk 11,33).
V. 22 hat eine Parallele in Q (Mt 10,26b/Lk 12,2).
V. 24 ist eine weisheitliche Maxime (ähnlich Gal 6,7); vgl. Q (Mt 7,2/Lk 6,38c).
V. 25 entspricht Mt 25,29/Lk 19,26 (= Q); vgl. Th 41; 4Esra 7,25: »Eitles diesem Eitlen, dagegen Fülle den Vollkommenen.«
Historisches
V. 21 und V. 22: Diese Worte dürften auf Jesus zurückgehen. Er ist offensichtlich der Meinung, daß das Licht überallhin leuchten muß. Dies steht in glattem Gegensatz zur mk Interpretation 4,11-12. Die von Jesus angesagte Nähe des Gottesreiches soll vielmehr allseits verkündigt werden, ihr Licht an jedem Ort leuchten – dies der Sinn, den Jesus wohl mit dem Spruch verband.
V. 24: Die jüdische Maxime, daß die Menschen das ernten, was sie säen, kann nicht mit Sicherheit auf Jesus zurückgeführt werden.
V. 25: Für dieses weisheitliche Wort gilt das gleiche Urteil wie für V. 24.
Mk 4,26-29: Das Gleichnis von der von selbst wachsenden Saat
(26) Und er sagte: »So ist es mit dem Reich Gottes, wie wenn ein Mensch den Samen auf das Land wirft (27) und schläft und steht auf Tag und Nacht, und der Same sprießt und geht in die Höhe, er weiß nicht wie. (28) Von selbst trägt die Erde Frucht, zuerst Halm, dann Ähre, dann ausgewachsenen Weizen in der Ähre. (29) Wenn aber die Frucht es gestattet, so läßt er alsbald die Sichel ausgehen, denn die Ernte ist da.«
Redaktion und Tradition
Redaktionelle Eingriffe sind nicht festzustellen. Allerdings wird Mk die Parallelität dieses Gleichnisses mit dem vom Sämann (V. 3-8) bewußt gewesen sein. Auffällig ist, daß es weder bei Mt noch bei Lk erhalten ist. Das darf aber nicht zu dem Schluß verleiten, es sei erst nachmarkinisch hinzugewachsen. (Möglicherweise hat der erste Evangelist das Gleichnis Mt 13,24-30 als Ersatz für das von ihm ausgelassene Gleichnis von der von selbst wachsenden Saat angesehen.)
Absolutes »Und er sagte« (V. 26) ist wahrscheinlich Bestandteil einer vormk Gleichnissammlung (vgl. V. 30).
Zuweilen wird zwischen V. 26-28 und V. 29 eine Spannung konstatiert. »Der Schluß 4,29 schießt über. Durch den Bauer guckt der Weltrichter hervor, der hier nichts zu tun hat« (Wellhausen, 354). Warum nicht? Das Gericht steht doch vor der Tür (s. sofort).
Das Gleichnis ist am Kontrast zwischen Anfang und Ende orientiert. Seine Pointe steckt in V. 28: Der Same gelangt unter allen Umständen zur Reife – und dies ganz von selbst. Das Reich Gottes, ein Terminus technicus der Verkündigung Jesu, setzt sich durch, und zwar bald, wie das Bild von der Ernte am Schluß anzeigt (vgl. Joel 4,13a: »Greift zur Sichel, denn die Ernte ist reif!«).
Historisches
Das Gleichnis geht auf Jesus zurück, denn er selbst ist nicht Gegenstand des Gleichnisses (Differenzkriterium). Außerdem ist die gleichnishafte Rede vom Reich Gottes typisch für die Verkündigung Jesu (Kohärenzkriterium). Im Gleichnis wird Jesu felsenfestes Vertrauen darauf sichtbar, daß Gott sein Reich, das im Auftreten Jesu bereits gegenwärtig ist, in der unmittelbaren Zukunft endgültig herbeiführen wird.