Für die Bezeichnung »Postfordismus« gilt, was Arif Dirlik von den inflationären »Post«-Formulierungen der Gegenwart sagt: »Sie bezeugen ein Widerstreben, die Zukunft zu benennen, und leiten ihre Bedeutung stattdessen vom Bezug auf eine Vergangenheit ab, die nicht in die Geschichte eingehen will und fortfährt, die Gegenwart heimzusuchen und sei es nur als eine Last auf ihr.« (2008, 180) Dirlik wendet sich dagegen, der Globalisierung eine »totalisierende Macht« zuzuschreiben, auch wenn das Kapital transnational und auch global operiere. Mit gutem Grund besteht er darauf, dass Kapitalismus mehr ist als ein Kapitalprozess und dass es keine Globalisierung des Kapitalismus »als Gesellschaftsformation mit homogenisierten gesellschaftlichen und politischen Verhältnissen« gibt (173). Stattdessen spricht er von »Globalisierung des Kapitals«, um der Globalisierung von »Kapitalismus als ökonomischer Praxis und Kapitalismus als Kapitalakkumulation« Rechnung zu tragen (ebd.). – Doch »Globalisierung des Kapitals« ist kein sinnvoller Begriff, denn globalisiert werden allenfalls Lohnarbeits- und Kapitalverhältnisse sowie Verwertungsprozesse, und Dirlik spricht denn auch, wo es darauf ankommt, von der »Globalisierung des Kapitalismus« im Unterschied zu dessen verschiedenartiger gesellschaftlicher, politischer und kultureller Gestaltung vor Ort.44 Wie die Regulationsschule bezeichnet er den konkret-individuellen Mix einer bestimmten Gesellschaft zu bestimmter Zeit als »Gesellschaftsformation«. Aus dem marxschen Begriff fürs Abstrakt-Allgemeine, der all diese »Spielarten des Kapitalismus« als besondere Gestalten der kapitalistischen Gesellschaftsformation fasst, wird dabei der fürs Besondere.
44 »In other words, the globalization of capitalism is accompanied by its disintegration into a variety of social, political, and cultural formations.« (Dirlik 2008, 180)
2. Naturgrundlage und Epochenspezifik
Unter denen, die dieses Feld kritisch bearbeiten und dabei dem kapitalismusgeschichtlich Neuen den Epochennamen abzugewinnen versuchen, zeichnen sich zwei entgegengesetzte Denkrichtungen ab: eine historisch vergleichende, die regelmäßig wiederkehrende Ablaufmuster herausarbeitet, und eine, die in solchen Ablaufmustern das epochal Neue zu fassen sucht. Auch wenn der kritische Hauptstrom nicht auf ihrer Seite ist, hat die historisch vergleichende Richtung die besseren Karten. Zu der Frage aber, die uns bewegt, schweigen beide.
Das wirklich Neue spielt auf einer Ebene, wo die Entwicklung ebenso unwiderruflich wie wiederholungslos fortschreitet. Es ist die Ebene des produktiv-konsumtiven Stoffwechsels der gesellschaftlichen Menschheit mit der Natur, der sie umgebenden und der eigenen. Auf ihr kann der Mensch, wie Marx sieht, »nur verfahren wie die Natur selbst« (23/57). Um wie die Natur verfahren zu können, muss er die Natur erforschen und die Verfahren und ihr jeweiliges Instrumentarium entwickeln, in denen das Naturwissen sich produktiv für letztlich konsumtive Zwecke anwenden lässt. Nach beiden Seiten verändert er dadurch Natur, die ihn umgebende und die eigene, Gegenständlichkeit und Subjektivität. Für die naturverändernde Subjektseite hat Marx den Satz aufgestellt: »Nicht was gemacht wird, sondern wie, mit welchen Arbeitsmitteln gemacht wird, unterscheidet die ökonomischen Epochen.« (23/194f) Dieses Wie hat wiederum zwei komplementäre Seiten, deren widersprüchliche Einheit die Produktionsweise bestimmt: »Die Arbeitsmittel sind nicht nur Gradmesser der Entwicklung der menschlichen Arbeitskraft, sondern auch Anzeiger der gesellschaftlichen Verhältnisse, worin gearbeitet wird.« (195) Mit der Natur aber verhält es sich wie in der Geschichte vom Wettlauf des Hasen mit dem Igel. Sie ist immer »schon da«. Die uns umgebende und unser Dasein tragende Natur nennen wir »Erde« in einem Sinn, der das, was auf, unter und über ihr ist, Wasser, Luft und alles Lebendige umfasst. Sie ist unser »natürliches Laboratorium«, wie Marx in den Grundrissen sagt (42/383), »das große Laboratorium, das Arsenal, das sowohl das Arbeitsmittel wie das Arbeitsmaterial liefert wie den Sitz, die Basis des Gemeinwesens« (384). Jede Entnahme und jede Entsorgung der Abfälle sorgt für ihre Veränderung. Vieles am Erdverbrauch einer bestimmten gesellschaftlichen Lebensweise, abbildbar als das, was man den »ökologischen Fußabdruck« genannt hat (vgl. Wackernagel/Beyers 2010), ist unwiderruflich. Das gilt zumal für die Folgen der systemischen Akkumulation um der Akkumulation willen, die den Kapitalismus von allen bisherigen Gesellschaftsformationen unterscheidet.
Vom komplementär-gegensätzlichen Verhältnis der Produktion zur Konsumtion sowie zur Distribution als »Gliedern einer Totalität, Unterschieden innerhalb einer Einheit«, sagt Marx: »Die Produktion greift über, sowohl über sich in der gegensätzlichen Bestimmung […] als über die andren Momente.« (42/34) Die gleiche Dialektik waltet im Mensch-Natur-Verhältnis. Natur ist nicht nur zu uns gegensätzliche Natur in Gestalt der ausgebeuteten Erde. Natur greift über, sowohl über sich in der gegensätzlichen Bestimmung als über die anderen Momente. Wir Menschen sind in ihr und sie in uns. Wir vermögen diesen Sachverhalt zu begreifen, doch werden wir dadurch nicht zum »übergreifenden Moment« (vgl. Grundrisse, 42/29). Marx leitete aus diesem Sachverhalt den kategorischen Imperativ ab, nur den Besitz, nicht jedoch das Eigentum an unserer Naturwelt,45 dem allgemeinen Arbeitsgegenstand und Sitz des Gemeinwesens, der »Erde« zuzulassen, auch nicht das »aller gleichzeitigen Gesellschaften zusammengenommen«. Für sie soll gelten: »Sie sind nur ihre Besitzer, ihre Nutznießer, und haben sie […] den nachfolgenden Generationen verbessert zu hinterlassen.« (25/784)
45 »Die Unterscheidung von Besitz und Eigentum, dem gesunden Menschenverstand nicht ohne weiteres zugänglich, ist in historischer und perspektivischer Hinsicht zentral. Sie erlaubt, vorrechtliche Gemeineigentumsformen, rechtlich kodifizierte Formen unterschiedlicher Verfügung und Aneignung von Besitz und Eigentum, sowie revolutionär zu rekonstruierende Formen von Gemeineigentum und Besitz zu thematisieren.« (Krader 1995, 172)
Wir Heutigen, mit unserem katastrophisch geschärften Bewusstsein, müssen uns eingestehen, dass dieses Postulat in seiner positiven Fassung, wenn es sich nicht auf bestimmte Hinsichten beschränkt, streng genommen als utopisch zu bezeichnen ist. Denn auch wenn Ressourcen »von der Natur gratis geschenkt« zu sein scheinen (23/630), so ist doch in der Natur nichts umsonst. Jedenfalls können wir uns nicht vorstellen, vielleicht noch nicht, wie sich ein entsprechendes gesellschaftliches Naturverhältnis mit Nachhaltigkeitsüberschuss (›verbessert‹) im Ganzen herstellen lassen könnte. Wohl aber können wir zwischen nachhaltigeren und zerstörerisch zurückschlagenden Praxen unterscheiden, und an dieser ökologischen Unterscheidung hat sich unser Handeln auszurichten.
Vom traditionellen Sprachgebrauch abweichend, mag man die Geschehensebene der gesellschaftlichen Naturverhältnisse in diesem Sinn, den Natur ›übergreift‹, als die der menschlichen Naturgeschichte bezeichnen. Ebenso unwiderruflich wie wiederholungslos schreitet auf dieser Ebene die Entwicklung fort. Die Natur an sich ändert sich nur, indem sie sich gleich bleibt, bzw. bleibt sich darin gleich, dass sie sich fortwährend ändert. Die Natur für uns, die wir die »Erde« nennen, ist mit uns auf einer Reise ohne Wiederkehr. Der ungeheure Produktionsapparat, den die gesellschaftliche Menschheit für ihren »Stoffwechsel mit der Natur« errichtet hat und betreibt, wirkt mit seinen Abfällen und Ausscheidungen in der uns umgebenden Natur, verfahrend wie sie selbst. Wenn die Erdgeschichte Jahrmillionen dazu gebraucht hat, die sauerstoffbestimmte Atmosphäre herzustellen und die Reste der Organismen, die den Kohlenstoff gebunden und den Sauerstoff ausgeschieden haben, im Untergrund zusammenzupressen, so führt die industrielle Verbrennung solcher Reste den darin mineralisierten Kohlenstoff in einem Bruchteil jener Zeit als »Treibhausgas« wieder in die Erdatmosphäre zurück. Insofern macht die von den Ausscheidungen der Industriegesellschaft bewirkte Klimaveränderung