Menschen im Krieg – Gone to Soldiers. Marge Piercy. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Marge Piercy
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Книги о войне
Год издания: 0
isbn: 9783867548724
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Choo«, »Praise the Lord and Pass the Ammunition«, »Blues in the Night« und »Jingle Jangle Jingle« beibrachte. Teenager – so nannte Sandy das – Teenager zu sein schien eine Menge Arbeit. Man erwartete von ihr, dass sie über die Red Wings Bescheid wusste, die Hockey spielten, und über die Tigers, die Baseball spielten, und dass sie die Namen der Spieler kannte, sogar derjenigen Spieler, die schon eingezogen worden waren, und das, obwohl sie noch nie ein Baseball- oder ein Hockeyspiel gesehen hatte.

      Am Abend saßen sie, nachdem es zum Spielen zu dunkel geworden war, auf den Verandastufen des Eckhauses, und Alvin ließ eine Zigarette rumgehen. Er mopste immer Chesterfields aus der Handtasche seiner Mutter. Naomi konnte schon daran ziehen, ohne zu husten. Ihr wurde schwindlig, aber das ließ sie sich nicht anmerken. Der Sommer war auch deshalb besser als der Winter, weil nach der Schule die Kinder sie eher in ihren Kreis aufnahmen, den Kreis der jüdischen Kinder ihres Alters aus den umliegenden vier Blocks. Es war, als zählte im Sommer alles nicht so stark, und alles wurde leichter genommen. Außerdem lernte sie auch. Wenn sie ihr eine Fluppe reichten oder schweinische Witze erzählten, dann reagierte sie nicht mehr mit Empörung, dann sagte sie nicht mehr, dass Tante Rose ihr so was verboten hatte. Sie machte einfach mit und hielt den Mund.

      »Das wird unser Abschlussjahr«, sagte Sandy im gleichen Ton, in dem sie sonst sagte, Jungs seien traumhaft.

      »Na und?«, sagte Naomi.

      »Dann machen wir eine Abschlussfahrt nach Bob Lo. Es gibt ein Fest, und wir schreiben uns gegenseitig in unsere Autogrammbücher. Es gibt auch Tanz.«

      Brille lachte. »Und die Mädchen müssen sich ihre eigenen Festkleider nähen, ha-ha, mein lieber Mann, wirst du blöd aussehen.«

      »Bäh«, sagte Naomi. »Wenn ihr eure Anzüge nähen müsstet, was würdet ihr erst mal doof aussehen! Wisst ihr was, ich ziehe eine Einkaufstüte an. Die male ich rot an.«

      »Frenchy, in einer Einkaufstüte siehst du bestimmt schnafte aus«, sagte Alvin.

      »Die Laffen hier schmeißen neuerdings mit Sprüchen um sich«, sagte Sandy mit saurer Grimasse. »Die meinen, die sind richtige Casanovas.«

      Aber schon fünf Minuten später jagten sie einander mit geschlossenen Augen um die große Ulme und spielten Blindekuh. Es machte Spaß, im Dunkeln herumzustolpern, aber Brille kniff sie hart in den Po. Als sie aufschrie, tat er, als wüsste er nicht, was war. »Ich hatte die Augen zu«, sagte er grinsend. »Woher soll ich wissen, was ich da gemacht habe?« Ihre Pobacke tat immer noch weh, und sie fand es unanständig, dass er sie da berührt hatte.

      Am nächsten Tag gingen Alvin und Brille mit fünf anderen Jungen auf dem Weg zum Ballspielen vorbei und sagten nicht mal hallo. Sie taten, als sähen sie Sandy und Naomi nicht. Ich weiß nicht genau, ob es wirklich einen G-tt gibt, dachte Naomi, und obwohl es Sünde ist, das zu denken, und obwohl jetzt, wo ich eine Frau bin, alles zählt, denke ich trotzdem, das Leben könnte besser eingerichtet sein, ganz zu schweigen von Kriegen und Nazis. Wenn ich zu bestimmen hätte, dann müssten Kinder nicht dieses ganze Großwerden durchmachen. Bei mir würden alle Menschen groß geboren werden und das alles überspringen, dieses Warten und diese ganzen Umstände und dass man immer das Falsche tut und sagt.

      Sie überlegte, ob es auch so schwer wäre, wenn sie zu Hause bei ihrer Familie wäre. Hier war sie in der Fremde und ohne ihre Zwillingsschwester. Sie würde nicht so schmollen und bocken und nach Sachen treten, wenn sie Rivka immer bei sich hätte, die wusste, was sie wusste, und sah, was sie sah, und sie ergänzte. Sie wäre nicht so unglücklich, wenn sie mit Rivka zusammen wäre, wie es eigentlich sein sollte.

      Die Nacht war heiß und stickig. Detroit war wie ein weiter, niedriger, schlecht belüfteter Schrank voller Maschinen. Sie hatte eine Prüsche auf dem Po. Wie konnte er so was Gemeines machen, und warum? Jungs waren rätselhaft und doof, aber Mädchen gaben sich nun mal mit ihnen ab, also musste sie es auch.

      Immer, wenn sie Ruthie was über Jungs fragte, redete die von Liebe, Liebe, Liebe. Sie liebte Ruthie, sie liebte Rivka und Maman und Papa. Sie liebte sogar Jacqueline. Aber die Vorstellung, Brille oder Alvin zu lieben, war ein unkomischer Witz, wie sich in einen Lastwagen zu verknallen. Mädchen redeten davon, in Tyrone Power verliebt zu sein oder in Alan Ladd. Sandy konnte sich nicht zwischen Harry James und Frank Sinatra entscheiden. So geschwärmt hatte Jacqueline wenigstens nicht. Vielleicht hatte sie ihre ältere Schwester nicht genug zu schätzen gewusst. Auf die unmittelbar vor ihr liegenden Jahre, wenn sie, wie Sandy immer sagte, in die Highschool kamen und richtig mit Jungs gingen, blickte sie angesichts solcher Aussichten mit argwöhnischem Abscheu.

      Schließlich schlief sie ein, in ihrem von der Hitze und vom Schweiß verkrunkelten Bett. Obwohl die Wachen das Gebäude Vélodrome d’Hiver nannten, war es nicht Winter, sondern Sommer und heiß. Sie verbrannte vor Durst. Ihre Kehle war ausgetrocknet, ihre Zunge voller Blasen. Sie wunderte sich, wie die schreienden Babys das aushielten. Heute Morgen war eins gestorben, das kleine Mädchen mit den großen grauen Augen. Die junge Mutter hielt das Baby immer noch, wie eine schmutzige, schlaffe Lumpenpuppe, der Kopf baumelte.

      Rivka spürte immer wieder Brechreiz, weil alle so stanken. Sogar die Erwachsenen rochen wie Babys, die sich vollgemacht hatten. Zu tausenden und abertausenden waren sie zusammengepfercht, in der Arena, auf den Tribünen oder auf der Rennbahn unter der blauen Glasdecke wie eine Verhöhnung des Himmels, die die Hitze und den Gestank hinunterdrückte. Die Wachen, Franzosen wie sie, aber plötzlich tückisch, brüllten sie andauernd an. Es war wie in einer Schule, wo grausame Schulmeister sie bestraften, aber die Erwachsenen wurden genauso bestraft wie die Kinder.

      Sie hatten Hunger und Durst und lagen in ihrem eigenen Schmutz, so zusammengezwängt, dass alle aneinanderlehnten. Es war so laut und so überfüllt, dass sie es wie einen einzigen, in allen gemeinsam bohrenden Kopfschmerz empfand. Ein kleiner Junge, dessen Mutter vor zwei Nächten gestorben war, schloss sich an sie und Maman an. Er weinte jetzt nicht mehr viel. Er fühlte sich unter ihren Fingerspitzen feuerheiß an. Seine Wimpern hatten seine Augen zugeklebt, und er lag auf ihren Füßen mit dem Kopf in Mamans Schoß. Sein Name war Jules. Seinen Zunamen wusste er nicht. Er wusste auch nicht, wie alt er war, aber Maman hatte, als sie noch sprechen konnte, gesagt, er war wohl zwischen drei und vier. Sie selbst war Naomi-Rivka, beide zugleich, auch ihre Kehle brannte zu sehr vor Durst, um zu sprechen, zu weinen oder Maman zu fragen, wann es aufhören würde. Die Luft selbst war nur noch Schmutz, und sie spürte ihren Körper zerfallen wie verschimmelnden Käse …

      Sie erwachte in ihrem dunklen, heißen Zimmer und hörte Ruthie im Bett unter ihr im Schlaf seufzen. Boston Blackie lag auf ihren Füßen und schnarchte leise. Sie fühlte sich von Angst zerschunden. Sie fühlte sich, als blutete sie Angst ins Bettzeug. Es war nur ein Albtraum. Aber das glaubte sie nicht. Das glaubte sie ganz und gar nicht.

      Louise 3

      Nachmittagssonne

      Der Sand versengte Louise die Fußsohlen, als sie mit Claude zwischen Zwergblaubeeren und Hartgras über eine niedrige Düne zum Strand ging, wo Badende sich schon einen Pfad durch den Stacheldraht gebahnt hatten. Die Wellen bäumten sich auf, um schneidig anzurollen, obwohl der Wind nur noch eine sanfte Brise war. Ein Sturm war unlängst aufs Meer hinausgezogen, hinter den fernen Horizont wie der Krieg, hatte Seetang angespült, vereinzelte verbogene Metallstücke, Geschosshülsen und in der Nacht zuvor eine Leiche, so hatte Louise im Dorf gehört, als sie zum Einkaufen hingeradelt waren. Louise hatte seit Jahren auf keinem Fahrrad mehr gesessen, aber nach einer schlimmen Nacht mit schmerzenden Waden, über die sie sich nicht beklagte, hatten ihre spannkräftigen Muskeln sich erinnert und wieder darauf eingestellt.

      Claudes drahtiger Körper in gestreiften Badehosen war für sie eine Neuheit, immer noch ein wenig erschreckend. Er war dünner als Oscar, leichter gebaut, und bewegte sich mit einer nervösen Behändigkeit und Schnelligkeit. Sie ertappte sich dabei, wie sie ihn wieder einmal mit Oscar verglich, und verzog angewidert das Gesicht. Hörte sie denn nie damit auf? Seit sie mit ihm in diese Ferienwoche gefahren war, überfiel sie immer wieder das Befremdende an dieser Nähe zu einem Mann, der nicht ihr geschiedener Mann war. Hundert kleine Gewohnheiten und Gebräuche waren ihr neu und überraschend, dass er einen Schlafanzug trug, dass er in Französisch sang, wenn er etwas Handwerkliches