Frank schnallte sich ab und verfluchte den Hersteller der Batterien. Eine hatte schon am ersten Tag des großen Stromausfalls den Geist aufgegeben. Die Zweite an jenem denkwürdigen Abend, den sich seine Tante für ihren Besuch bei ihm ausgesucht hatte. Nur die Dritte der ach so hochgelobten U-Boot-Batterien für den heimischen Solarstrom konnte er verwenden. Aber die Solaranlage auf dem Dach war zu schwach, sie vernünftig aufzuladen.
Deswegen saß er jetzt hier.
Wieder einmal.
Seine Tiefkühltruhen waren aufgetaut, die letzten der tiefgekühlten Lebensmittel endgültig verdorben. Er hatte nur noch Konserven, die er sich nicht einmal warm machen konnte, weil die Gaswerke auch nicht mehr arbeiteten, und er so dumm gewesen war, nur auf seine Solaranlage als Energieversorgung zu setzen. Seufzend zog er den Helm und die Schutzmaske aus. So gern Frank beides anbehalten hätte, aber der Helm verringerte sein Sichtfeld und dämpfte verdächtige Geräusche.
Das hatte er gelernt, als er vor zwei Wochen zum ersten Mal die Häuser in dieser Gegend nach Lebensmitteln oder brauchbarer Ausrüstung durchsucht hatte. Eines von diesen Dingern war aus einer offenen Wohnungstür direkt neben ihm herausgekommen. Frank hatte den Zombie im Hausmeisterkittel erst bemerkt, als dieser ihn von hinten mit einer Hand an der Schulter gepackt hatte, um sich ein Häppchen Frank zu genehmigen. Nach einem kurzen Gerangel war es Frank gelungen, den Untoten über das Treppengeländer zu stoßen. Bis zum Aufschlag auf Höhe der Kellertreppe blieb der Hut auf dem Kopf des Zombies, als sei er festgeklebt gewesen. Seitdem trug Frank den Helm nur noch, um bei einem eventuellen Autounfall während einer Expedition so gut wie irgend möglich abgesichert zu sein.
Mit einer fahrigen Bewegung strich er sich über seine kurz geschorenen Haare. Noch etwas, was er durch die kurze Begegnung mit Hausmeister Krause gelernt hatte. Sollte es zu einem Nahkampf mit einem von diesen Dingern kommen, wollte er verhindern, dass es sich in seinen Haaren festkrallen konnte. Die Zombies mochten vielleicht langsam sein, aber wenn sie einen erstmal zu packen bekamen, war es verflucht schwer, sie wieder loszuwerden.
Im Rückspiegel sah er die ersten Untoten aus ihren Verstecken kommen, angelockt durch den Lärm seines Wagens. Sie wankten unbeholfen, und nicht wenige der Ghoule krochen sogar auf abgenagten Beinstümpfen. Aber sie wirkten ebenso fest entschlossen wie eine Horde Hausfrauen auf der Jagd nach einem Schnäppchen beim Sommerschlussverkauf. Diesen kleinen Imbiss wollten sie sich auf keinen Fall entgehen lassen.
Frank stieg aus und ging vorsichtig zum Kofferraum des Wagens … und zuckte mit einem leisen Fluch zurück. Er stellte sich breitbeinig über den Arm, der an der Stoßstange hing, öffnete die Klappe und hievte eine Konstruktion heraus, die eine wirre Mischung aus Ghettoblaster und Lkw-Batterie war. Ächzend stellte er die Konstruktion auf den Boden. Die ersten wandelnden Leichen waren schon gefährlich nahe.
Frank kontrollierte noch einmal die Spannung der Batterie, prüfte den Ghettoblaster und die eingelegte CD. Dann stieg er schnell wieder ins Auto. Er fuhr den Wagen nur wenige Meter weiter in eine Seitenstraße und parkte ihn so, dass er seine Konstruktion gut im Auge behalten konnte. Dann holte er aus dem Handschuhfach eine Fernbedienung. Die ersten Ghoule wankten in der Nähe des Kastens herum. Sie suchten scheinbar nach Frank. Er hielt den Atem an und drückte auf die Fernbedienung. Die ersten Takte von Henry Mancinis Theme from a summer place wehten über die verlassene Straße.
Einkaufsmusik.
Aber seine Mutter hatte diesen Song geliebt.
Gebannt wartete Frank, ob sein Plan funktionieren würde.
Die Streicher setzten mit ihrem sanften Klang ein, und tatsächlich … die Ghoule hielten inne! Verwirrt schauten sie sich um, nicht wenige blickten hoch in den Himmel … und dann erstarrten sie.
Frank schluckte.
Die Dinger lauschten wahrhaftig der Musik! Einige schwankten sogar leicht hin und her, die Augen geschlossen … Gab ihnen die Musik etwa den Frieden, den sie im Leben nach dem Tod nicht finden konnten? Weitere der Wesen strömten heran, kamen aus Hauseingängen, aus Seitenstraßen und von der Brücke herunter, nur um plötzlich stehen zu bleiben, und der Musik zu lauschen.
Frank atmete tief durch. Jetzt kam es darauf an. Mit so einem durchschlagenden Erfolg seines Plans hatte er nicht gerechnet.
Ablenkung?
Ja.
Verzückung?
Niemals!
Egal! Das, was hier passierte, war wesentlich besser, als eine reine Ablenkung. Er griff nach seinen Waffen, öffnete leise die Fahrertür und stieg aus.
Keine Reaktion.
Er schloss so leise wie möglich die Autotür. Selbst die Zombies, die nahe genug waren, um ihn zu bemerken, schlurften wie Schlafwandler in Richtung der Musik, ohne ihn zu beachten. Langsam ging Frank auf die Einmündung der Straße zu, immer bereit, den sofortigen Rückzug anzutreten, wenn die Lage sich doch noch zuspitzen sollte. Jetzt hatten beinahe alle anwesenden Untoten die Köpfe in den Nacken gelegt und starrten in den hellen Sommerhimmel. Immer noch strömten weitere von ihnen auf die Straße, viele blieben einfach dort stehen, wo sie die Musik zum ersten Mal vernommen hatten. Sie sahen aus, als wären sie in einer verzückten Trance gefangen.
Frank schlich die nächste Seitenstraße entlang, weg von den erstarrten Zombies, zu der Schule, die während der Krise zu einem Lager der Noteinsatzkräfte umfunktioniert worden war. Er hatte sie während seiner letzten Expeditionen wegen ihrer Größe ebenso gemieden, wie das Einkaufscenter an der Kalker Hauptstraße, und sein Glück lieber in kleinen Häusern versucht. Ein Einkaufscenter machte sich vielleicht in Filmen als Versteck gut, aber im realen Leben war das seiner Meinung nach tödlicher Schwachsinn. Wie hätte er so ein großes Gebäude denn im Alleingang jemals ausreichend sichern können? Ein Einkaufsbummel in dem Center wäre für ihn zudem sinnlos gewesen, weil es dort keinen Camping- oder Outdoorshop gab. Alle anderen Lebensmittel, die dort vielleicht noch zu finden wären, waren bestimmt schon verdorben und Konserven hatte er genug. Damit würde er bei strenger Rationierung noch einige Zeit hinkommen. Was er aber benötigte, waren Batterien für sein altes Kofferradio und vielleicht einen kleinen Campingkocher. Er mochte zwar Eierravioli und mexikanischen Feuertopf aus der Dose, aber bitte etwas wärmer, als nur zwei Grad über der Betriebstemperatur eines herkömmlichen Speiseeises.
Also hatte er es zuerst in den Häusern der näheren Umgebung versucht. Vergeblich. Danach hatte er immer längere Wege auf sich genommen, und war zuletzt bis hierher nach Deutz gelangt. Aber egal wo er auch sein Glück versuchte, er fand keine brauchbare Ausrüstung. Jetzt blieb ihm nichts anderes übrig, als sich für das vermeintlich kleinere Übel der Schule zu entscheiden. Die Flure der umfunktionierten Schule waren bestimmt enger als die Gänge in einem Einkaufscenter, aber dort hoffte er auf größere Chancen, sich mit weiterer Ausrüstung eindecken zu können. Vielleicht fand er sogar ein paar der Notrationen, die die Bundeswehr ihren Männern für den Feldeinsatz mitgab, und die hier vor dem totalen Zusammenbruch an die Bevölkerung verteilt worden waren.
Er kam an die große Glasflügeltür der Schule. Dahinter herrschte trotz des hellen Tages nur Dämmerlicht. Er konnte keine verdächtige Bewegung entdecken.
Ein letzter Blick in die Runde.
Die Zombies lauschten am anderen Ende der Straße immer noch den Klängen der Musik. Hoffentlich wurden es nicht noch mehr, denn die Letzten in der Meute standen schon gefährlich nah an seinem Wagen. Er hätte ihn vielleicht doch weiter weg parken sollen. Vorsichtig zog er die Tür zum Hausflur der Schule auf und spähte in die geräumige Vorhalle. Links und rechts führten zwei Treppen in die oberen Stockwerke. Der Platz in der Mitte war frei, wenn man von dem Müll absah, der auf dem Boden herumlag. Das Licht von der Straße verlor sich in den Tiefen der Vorhalle. Überall waren Ecken und Nischen voller Schatten.
Verdammt!
Er hatte seine Taschenlampe vergessen!
Zurück?
Nein, das war keine Alternative.
Lauschen.
Nichts