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Lernen und wachsen
Die Nacht, in der meine Großmutter starb, prägte mein ganzes Leben. Sogar mehr als mein Leben, denn ich glaube fest daran, dass das, was wir auf diesem irdischen Planeten erleben, nur ein kleiner Teil dessen ist, was wir in all der Zeit erleben. Diese Nacht beeinflusste mich tief in verschiedenster Weise. Es war nicht nur ein Moment des Verlustes in meinem jungen Leben, es war auch ein Moment, der mich für immer veränderte. Ich möchte Sie mitnehmen, während ich zurück auf meine frühen Jahre schaue, denn dieser Moment war der Anfang von allem. So wie ich es sehe, ist das Leben eine Reihe von Chancen, etwas zu lernen. Viele davon werden durch unsere eigenen Entscheidungen in Bewegung gesetzt. Ich glaube auch, dass es bedeutsame Episoden gibt, die oft Wegweiser dessen sind, was kommen wird. Wenn Sie sich mit mir auf die Reise in die Welt eines vierjährigen Jungen begeben, sehen Sie vielleicht, was damals war und wie ich dahin kam, wo ich heute bin.
Was meine Oma mir in dieser Nacht zeigte, war ein Einblick in mein Schicksal. Seitdem habe ich gelernt, mit Engeln zu kommunizieren, und trotz meines jungen Alters bin ich davon überzeugt, dass das meine Bestimmung in diesem Leben ist. Mit Sicherheit begann alles in dieser Nacht, und ich danke meiner Oma für alles Wunderbare, das mir seitdem passiert ist. Ich hatte eine wirklich enge, schöne Verbindung mit ihr, und ich habe sie immer noch, obwohl sie nicht mehr in physischer Form hier ist.
Agnes war meine Großmutter mütterlicherseits. Sie und meine Mutter waren sich auch sehr nahe und es war ganz natürlich, dass ich vom Tag meiner Geburt an Teil dieser kleinen Gruppe sein würde. Diese starken weiblichen Einflüsse in meinen frühen Jahren prägten mich zu einem Großteil und halfen mir dabei, meiner Gefühle und meiner sensitiven Seite bewusst zu werden. Ich verwünschte sie noch nicht einmal, als diese Sensitivität mir während meiner Schulzeit im Weg stand, denn sie brachte mir auch so viel in meinem Leben.
Bevor meine Oma bei uns einzog, lebten wir sehr nah beieinander. Wir wohnten in einem neuen Haus auf einem Hügel und meine Oma lebte in dem Haus, in dem meine Mutter geboren wurde. Es war höchstens drei Minuten entfernt und ich sah meine Oma jeden Tag. Obwohl meine Mutter meiner Oma viel Aufmerksamkeit schenkte, als sie bei uns einzog, gab mir das doch die Gelegenheit, eine starke Verbindung zu beiden zu entwickeln.
Im Alter von drei Jahren wurde ich sehr krank, was mich meiner Großmutter noch näherbrachte. Etwa ein Jahr lang litt ich am Guillain-Barré-Syndrom, das ist eine Erkrankung, bei der das körpereigene Immunsystem Teile des peripheren Nervensystems angreift. Der Körper führt dabei Krieg gegen sich selbst. Die Krankheit kam, nachdem ich eine schlimme Erkältung hatte. Sie begann mit Schwäche und Schmerzen und Kribbeln in den Beinen, und sie wurde sehr schnell so schlimm, dass ich eines Tages nicht mehr laufen konnte. Die Ärzte befürchteten das Schlimmste und tippten zunächst auf Meningitis. Ich erinnere mich noch an die Lumbalpunktion - es war eine der schlimmsten Erfahrungen in meinem Leben und ich schrie ununterbrochen. Neun Monate lang war ich von der Hüfte abwärts gelähmt. Ich verbrachte einige Zeit im Yorkhill Krankenhaus, der Kinderklinik in Glasgow, aber ich hatte Glück und wurde mit vier Jahren wieder gesund. Es handelt sich dabei um eine seltene Erkrankung. Nach Ansicht der Ärzte trifft sie nur einen von 100.000 Menschen. Ich hatte so ein Glück, dass die Krankheit keine Spätfolgen hinterließ, wenn man von den Plattfüßen einmal absieht, bei denen die monatelange Physiotherapie nicht gegriffen hat.
Am meisten erinnere ich mich an die Lähmung, an die ich in dieser Zeit litt, aber diese Erinnerung ist nicht nur schrecklich. Mir kommt in den Sinn, dass diese Krankheit sogar noch mehr Liebe in mein Leben gebracht hat. Ich saß oft stundenlang auf dem Schoß meiner Großmutter und ich liebte das! Sie war in ihrem Rollstuhl und ich konnte nicht laufen, daher waren wir beste Freunde. Ich liebte Oma unermesslich.
Ich habe auch gute Erinnerungen aus der Zeit davor. Oma trug immer und zu jeder Gelegenheit eine Handtasche mit sich und egal, was man wollte, sie hatte es darin. Eines Tages saß ich im Auto auf dem Rücksitz, während meine Mutter und mein Vater von irgendwoher eine Uhr abholten. Ich erwähnte, dass ich Hunger hätte und Oma zog ein Messer und ein Stück mit Wachs überzogenen Käse aus ihrer Handtasche. Das war typisch für sie. Man wusste nie, was noch aus dieser Tasche kam. Ich nenne diese Art Käse noch bis zum heutigen Tag „Omas Käse“, denn sie schien ihn immer wieder in die Finger zu bekommen, als wäre das das Normalste auf der Welt.
Ich konnte den Gedanken nicht ertragen, dass meine Oma ohne mich allein sein könnte, daher ließ ich immer ein paar meiner Spielsachen bei ihr, damit sie ihr Gesellschaft leisteten. Meine Lieblingsspielzeuge waren kleine Plastikmonster, und ich sorgte immer dafür, dass sie ein paar davon an ihrer Seite hatte, wenn ich sie verließ.
Meine Erinnerungen an diese Zeiten sind immer noch sehr stark: Wie wir zusammen Fantasia ansahen, auf ihrem Rollstuhl miteinander kuschelten, Süßigkeiten aßen … Ich war nicht der erste und auch nicht der letzte kleine Junge auf der Welt, der seine Großmutter anbetete, und ich wette, dass viele Menschen, die das hier lesen, genau wissen, was ich meine, wenn ich sage, dass wir der Mittelpunkt der Welt des jeweils anderen waren. Es ist also kein Wunder, dass sie weiterhin eine so große Rolle in meinem Leben spielt, selbst nachdem sie verstorben ist. Immer wenn sie mich sah, rief sie: „Da ist mein kleiner Junge!“ Ich rannte zu ihr und wir umarmten uns, als hätten wir uns monatelang nicht gesehen. Im Sommer saß Oma oft mit ihren Nachbarn zusammen und hielt ein Schwätzchen. Wenn die anderen älteren Damen sagten: „Da ist Kyle, da ist mein kleiner Junge!“, antwortete Oma sofort. „Nein, nein, nein“, rief sie, „er ist mein kleiner Junge!“
Eine meiner schönsten Erinnerungen an sie ist ihre Liebe zu Nippes - sie konnte in jeden Laden gehen und ein Stück Tand finden, von dem sie begeistert war und behauptete, er wäre ein „Schatz“. Kinder finden so etwas spannend, da sie ja viel Zeit darauf verwenden zu denken, dass auch Abfall ganz toll ist. So verbanden die Fundstücke mich und meine Oma, und ich war immer neugierig auf die Dinge, die sie auspackte, wenn sie von ihren Reisen zurückkam.
Doch als die Zeit verging, verblassten all diese kleinen Teile ihrer Persönlichkeit. Sie konnte ihr Haus nicht mehr alleine verlassen und hatte daher nicht mehr die Möglichkeit, auf die Suche nach Nippes zu gehen. Sie konnte noch nicht einmal mehr zu den Geschäften hinunter laufen, um eine Tüte mit Süßigkeiten zu kaufen. Ich weiß, dass jeder, der dies liest, die kleinen traurigen Begebenheiten wiedererkennt, die es gibt, sobald ein Leben auf dieser Erde seinem Ende zugeht. Zu diesem Zeitpunkt war ich noch zu jung, um zu begreifen, dass dieser Punkt im irdischen Leben einer Person nur eine vorübergehende Phase ist. Aber heute weiß ich, dass Schmerz, Verlust, Leid und Alter nur Augenblicke auf unserer Reise sind und dass sie uns die Möglichkeit geben, zur nächsten Phase überzugehen. Mit der Hilfe von Engeln können wir Trost in diesem Wissen finden und ich hatte wirklich außerordentliches Glück, dass ich diesen wertvollen Trost in der Nacht bekommen habe, in der meine geliebte Großmutter hinüberging.
Oma litt schon eine Weile bevor sie starb an einem Lungenemphysem im Endstadium. Sie bekam Sauerstoff, ihre Füße und Beine waren dick angeschwollen und sie konnte sich kaum noch bewegen. Sie legte immer eine Decke über ihre Beine und hatte offensichtlich Schmerzen, doch selbst als es ihr wirklich schlecht ging, hatte ich immer noch in Erinnerung, wie sie vorher gewesen war. Sie war so ein toller Mensch.
Im Laufe der Zeit erzählte mir meine Mutter mehr über den Tod meiner Großmutter. Oma war in der Nacht gestorben, in der ich sie noch gesehen hatte. Meine Mutter war bei ihr im Krankenhaus, als sie starb. Als ich an jenem Morgen aufstand, war meine Mutter die ganze Zeit auf den Beinen gewesen, verzweifelt und nicht wissend, was sie tun sollte. Sie konnte sich einfach nicht entscheiden, ob sie mir vom Tod der Oma erzählen sollte. Aber weil ich noch so klein war, hatte sie beschlossen, damit zu warten, bis sich die Situation natürlich ergäbe, anstatt mich mit dem Verlust gleich an diesem Morgen beim Aufwachen zu konfrontieren. Sie und mein Vater entschieden, mit mir mittags essen zu gehen und mir dann die Botschaft beizubringen.
Wir gingen zu einem dieser Familienrestaurants und saßen zusammen. Nachdem wir bestellt hatten, nahm meine Mutter meine Hand.
„Kyle“, sagte sie, „das ist jetzt sehr wichtig. Ich muss dir etwas Trauriges mitteilen. Oma ist in den Himmel gegangen.“
Ich