Gerald hatte schon immer die Neigung, lieber die kleinen Abzweigungen zu erkunden, statt friedlich die Hauptstraße entlangzutuckern.
In einem Kapitel mit dem Titel „Eine ganz besondere Zeit“ schildert Mountainberger, wie die Mitglieder seiner Gemeinde während einer Wochenendfreizeit eine ihrer Mahlzeiten in völliger Stille einnahmen, mal abgesehen von der inspirierenden geistlichen Musik, die am hinteren Ende des Speisesaals spielte. Das Ergebnis war, sagt er, eine „Vertiefung der Bande zueinander und zu Gott, eine wahrhaft herzerwärmende Zeit, voller Liebe, Gnade und geistlicher Harmonie durch die zwar lautlose, aber umso beredsamere Begegnung unserer Blicke.“
Dachte mir, das könnten wir bei unserer Freizeit ja auch mal versuchen. Las den kurzen Abschnitt abends im Bett Anne vor. Sie gähnte, runzelte die Stirn und sagte: „Wie vertieft man denn Bande? Müsste man sie nicht eher stärken oder festigen oder so? Die Stelle, die du gerade vorgelesen hast, hört sich so an, als ob sich die Bande in die Haut einschneiden.“
Bewahrte meinen Gleichmut und sagte: „Darauf kommt es doch jetzt gar nicht an. Was hältst du allgemein davon, dass wir eine Mahlzeit schweigend einnehmen?“
Sie gähnte abermals. „Ach, ich weiß nicht … es ist ja schließlich eine Familienfreizeit, nicht? Was machen wir mit den Kindern?“
Ich erwiderte: „Na ja, ganz ehrlich, wenn Eltern ihre Kinder im Laufe eines ganzen Wochenendes nicht einmal eine Stunde lang im Zaum halten können, dann stimmt doch etwas nicht mit dem Ganzen – mit Eltern, die das nicht schaffen. Aber spricht dich dieser Gedanke einer wahrhaft herzerwärmenden Zeit voller Liebe, Gnade und geistlicher Harmonie denn nicht an?“
Darauf Anne: „Doch, klar, hört sich wunderbar an. Gerade deshalb denke ich ja, dass eine schweigende Mahlzeit bei einer Familienfreizeit wahrscheinlich keine so gute Idee ist.“
Fragte am nächsten Morgen Gerald, was er von meiner Idee mit der Schweigemahlzeit hielt. Ich sagte: „Mama scheint nicht sehr erpicht darauf zu sein, aber sie sieht auch nicht immer alles richtig. Zum Beispiel dachte sie dieses Jahr irgendwann mal, sie hätte unrecht, aber dann stellte sich heraus, dass sie sich irrte. Da sieht man ja, dass sie nicht immer recht hat.“
Verschwand auf die Toilette, bevor er etwas dazu sagen konnte. Schaute mich noch einmal um und sah, wie er mir erstaunt hinterhersah. Schön zu wissen, dass man seinen eigenen Sohn nach all den Jahren noch beeindrucken kann.
Bevor Gerald sich nach dem Mittagessen auf den Heimweg machte, fragte ich so beiläufig wie möglich: „Macht ihr bei euch in der Gemeinde viele Plenarrunden, Gerald, oder … oder nicht?“
„Na ja – manchmal schon, denke ich, ja. Wieso fragst du?“
„Ach, weißt du, ich habe mich nur gefragt, was für interessante Dinge bei denen passiert sind, die du geleitet oder organisiert oder – gemacht hast?“
Er sah mich an, nachdem er Anne, die gerade das Geschirr in die Spülmaschine räumte, einen Blick zugeworfen hatte.
„Nun ja, abgesehen von allem anderen kommt es darauf an, dass die Wassertemperatur genau richtig ist, Paps. Meinst du nicht auch, Mama?“
„Oh ja, die muss stimmen.“
„Die Wassertemperatur?“
„Ja“, fuhr Gerald fort. „Ich meine, wenn du jedem einzelnen Teilnehmer persönlich wirklich gründlich die Füße waschen willst, dann musst du darauf achten, dass das Wasser nicht zu heiß und nicht zu kalt ist und dass es während der ganzen Waschung warm genug bleibt. Um genügend Handtücher musst du dich natürlich auch kümmern. Wenn du das richtig machst, kann alles Mögliche passieren.“
„Klar. Klar. Klar …“
O Graus! Allen die Füße waschen? Die Füße jedes einzelnen Teilnehmers? Wirklich gründlich? Hätte man mich vor die Wahl gestellt, glaube ich, hätte ich mich lieber einschließen und zwingen lassen, jede jemals gedrehte Folge von EastEnders anzuschauen, bis ich alle Drehbücher auswendig kenne.
Hörte Anne und Gerald lachen, als sie sich ein paar Minuten später draußen auf der Eingangstreppe verabschiedeten. Als Anne wieder hereinkam, fragte ich sie, was denn so witzig gewesen sei.
Darauf sie: „Ach, nichts, Liebling. Nichts Wichtiges. Ehrlich.“
Hmm.
Ziemlich frustrierende Neuigkeit heute Morgen, nur wenige Tage vor unserer Gemeindefreizeit. Alf Sanderson ist ein alter Freund von uns und einer der Kirchenvorsteher von St. Peters, der Gemeinde, die uns für die Freizeit den Referenten und die Kindermitarbeiter zur Verfügung stellen soll.
Alf rief an und sagte, die Gemeinde von St. Peters habe so etwas wie eine Implosion erlitten. Überrascht mich eigentlich nicht sehr. Unmittelbar offensichtlich, dass James Galston, ihr Pfarrer, der seit ein paar Monaten im Amt ist, sich in einem anscheinend unvermeidlichen „anglikanischen Frühling“ befindet – das ist so ähnlich wie der arabische Frühling, nur in Miniaturform und von spezifisch anglikanischer Art. Mein Sohn, der mit James auf dem Seminar war, schildert ihn als einen von den Leuten, denen es nicht das Geringste ausmacht, über die theologische Bedeutung der Liebe zu diskutieren und gleichzeitig Kaninchen zu erwürgen, und die wahrscheinlich mit Gemeindegliedern ähnlich umgehen würden, wenn sie eine Lücke im Kirchengesetz fänden, die das zuließe.
Gerald hatte James in seiner früheren Gemeinde besucht und erzählte, wie er durch den Haupteingang hereinkam und ihn im Gespräch mit, so Geralds Beschreibung, „einem von diesen total weißen, pummeligen Mädchen, die ihre Pfarrer immer als seelischen Mülleimer benutzen“, antraf. Kaum hatte er Gerald gesehen, schleuderte Galston das arme Mädchen mehr oder weniger von sich. Sie hatte Glück, dass er sie nicht gleich erwürgte, meine Gerald. Sie flog quer über den Mittelgang, prallte am Ende einer Kirchenbank ab und stand dann, nachdem sie sich den Staub ein wenig abgeklopft hatte, ein wenig verbeult und mit einer Schafsgeduld da, um zu warten, bis ihr erwählter Mülleimer wieder verfügbar wäre.
Wir wussten, dass es zwischen dem Pfarrer und den guten Leuten von St. Peters zu wachsenden Konflikten gekommen war, insbesondere, seit er verfügt hatte, dass die Mitglieder der Jugendgruppe ein Glaubensbekenntnis unterzeichnen mussten, bevor sie im Einkaufszentrum Weihnachtslieder singen durften. Allerdings hatten wir nicht geahnt, dass die Lage schon so dramatisch war.
„Ich fürchte“, sagte Alf trübselig, „es war die Sache mit eurer Freizeit, an der sich der Funke letzten Endes entzündet hat. Pfarrer Galston sagt, ihm hätte niemand gesagt, dass David und die beiden Damen zu euch kommen würden, um eure Gruppen zu leiten. Er wurde stinkwütend und schickte überall Nachrichten herum, in denen er Leute dafür kritisierte, dass sie Entscheidungen treffen, ohne ihn zu konsultieren, wo er doch die Verantwortung für das Ganze tragen solle. Nun ja, in eurer Gemeinde müssen sich die Leute so etwas nicht anhören, oder? Ich habe noch versucht, ihm zu verstehen zu geben, dass das vielleicht nicht der ratsamste Weg sei. Aber nichts zu machen. Daraufhin fingen die Leute an, mit E-Mails um sich zu sprühen wie ein Haufen wild gewordener Feuerwehrleute mit Hochdruckschläuchen. Letztendlich versuchte der Pfarrer, mit der Faust auf den Tisch zu hauen. Er sagte David und June und Valerie rundheraus, sie dürften nicht zu euch kommen. Dann ging natürlich die Granate richtig hoch, und das Maß war voll. Am kommenden Wochenende gibt es ein Riesengemetzel von einer Gemeindeversammlung …“
„ … bei dem David und die anderen auf jeden Fall dabei sein müssen.“
„Tut mir wirklich leid, Adrian.“
„Nicht deine Schuld, Alf. Ich hoffe sehr, die Versammlung bringt was. Gottes Segen dafür.“
Was wäre das für ein tolles Team gewesen. Katastrophe! Muss ganz neu überlegen.
Gute Nachricht, was die