Karl May im Nationalsozialismus
Karl May auf Leinwand, Bühne und Schallplatte
Wissenschaftliche Erforschung und Biografien
Karl May und seine dankbaren Leser
Von Schatztruhen, der Neurosenzucht und ewigen Werten
Ein Vorwort von Jens Böttcher
Karl May, 1906
Herzlich willkommen auf den ersten Seiten dieses besonderen Buches, liebe Leserinnen und Leser. Ich stelle mir gerade verschiedene Möglichkeiten vor, warum Sie es zur Hand genommen haben. Vielleicht, weil Sie einfach gern Biografien über außergewöhnlich spannende Menschen lesen. Oder weil Sie sich nicht nur für den Text, sondern auch für das exklusive Hörspiel interessieren, das parallel zu diesem Buch entstanden ist und in dem mitzuspielen ich übrigens die Freude und Ehre hatte (Karl May: Abenteuer mit Winnetou und Old Shatterhand. Old Cursing Dry, Brendow 2012). Vielleicht aber auch, weil Sie mit den weltberühmten Stoffen von Karl May etwas sehr Persönliches verbinden – etwas, das womöglich auf den ersten Blick profan scheint, es aber spätestens auf den zweiten schon nicht mehr ist: die Erinnerung an ein Stück heile Welt, oder wenigstens: die Erinnerung an die Sehnsucht danach. Gemeint ist die Sorte Sehnsucht, die einem Jugendlichen viel weniger illusorisch oder auf peinliche Weise schwärmerisch erscheint als uns sogenannten Erwachsenen, die wir zu unserem »realistischeren« Lebenskonzept erklärt haben, dass sie wohl unerfüllt bleiben wird, diese Gute.
Vielleicht verbinden Sie mit dem Namen Karl May also die Reise in eine Zeit – wie kurz oder lange diese auch zurückliegen mag –, in der Sie vor Ihrem eigenen oder dem elterlichen Bücherregal knieten, saßen oder standen und voller Ehrfurcht und mit positiver Anspannung diese ungewöhnlichen, grüngefärbten Buchrücken betrachteten. Und vielleicht können Sie sich sogar an einen dieser Momente des leichten Seelenfiebers erinnern, als gleich zu Beginn der soundsovielten Fernsehausstrahlung von »Winnetou III« die erhabene Titelmusik des Komponisten Martin Böttcher ganz sanft Ihre nach Abenteuer und Freiheit dürstende Seele berührte und irgendetwas in Ihnen zum wohligen Seufzen brachte. Es würde mich nicht wirklich überraschen, wenn Sie zu all denen gehören, die sich in diesen Erinnerungen wiederfinden. Viele von uns tragen solche schönen Momente aus der Jugend in einer unsichtbaren Schatztruhe mit sich herum, um wenigstens hin und wieder mal einen kurzen, nostalgischen Blick auf die Diamanten und Rubine zu werfen, die darin merkwürdig unversehrt vor sich hin funkeln und uns an einen noch größeren Glanz erinnern, den wir immer wieder schon verloren glaubten.
In zahllose dieser Diamanten ist wohl der Name Karl May graviert.
Die Buchrücken also, die Vorspannmusik, die Filme, das Pferdegetrappel. Und natürlich Pierre Brice, Lex Barker und der junge Terence Hill, als er noch Mario Girotti hieß. Oh, und nicht zu vergessen: die wunderbaren Hörspiele. Die befinden sich selbstverständlich ebenfalls in der Schatztruhe. Auch sie ein Relikt aus dieser geheimnisvollen Zeit, als Schallplattenhüllen noch kräftig nach Pappe rochen und die Nadel des Plattenspielers beim Aufsetzen auf zerkratztes Vinyl noch klang wie die Ankündigung eines nahenden Wunders.
Sie haben bestimmt längst gemerkt, dass ich hier aus eigener Erfahrung schreibe. Meine eigene Schatztruhe ist voll mit wundervollen Erinnerungen dieser Art, gefüllt mit schönen Momenten, mit toller Musik, mit Literatur und Filmen, mit der abenteuerlichen Poesie des Reisebeginns zu diesem geheimnisvollen, dynamischen Gebilde, das wir selbst waren, in diesem Moment sind – und eines Tages sein werden.
Wenn Sie nun also ebenso wie ich zu der Gruppe von Menschen gehören, die sich mit Behagen an all das erinnern und dieses nostalgische Gefühl unter anderem oder gar explizit mit den Werken von Karl May verbinden, dann kann ich es nach dieser kleinen Vorrede zur Vorrede jetzt wagen, Ihnen zu versprechen, dass dieses Buch Ihnen gefallen wird. Oh, und falls Sie überdies eben noch Freude an Biografien haben und gern Hörspiele hören, kann jetzt eigentlich überhaupt gar nichts mehr schiefgehen.
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Aber zunächst taucht mal die Frage auf: Warum verursacht denn nun die Erinnerung an das Werk von Karl May bei vielen von uns so wohlige Schatztruhengefühle? Ich vermute, die Antwort ist zumindest ambivalent. Vordergründig, hauptsächlich und ganz unkompliziert lautet sie: May war eben einer, der tolle Geschichten erzählt hat. Der uns darin den Glanz des menschlichen Edelmutes und den Lohn des Strebens nach innerem Wachstum immer wieder plakativ und auf sehr unterhaltsame Weise vor Augen geführt hat. Dazu, kreuz und quer durch sein Werk: die ganz großen Themen und hohen Werte. Das Gute. Die Wahrheit. Aufrichtigkeit. Brüderlichkeit. Abenteuer. Neue Horizonte. Bewegung. Reisen. Freundschaft. Und immer wieder diese wunderbare Freundschaft, die in Mays Werken zu einem Symbol für die gereifte Liebe unter Menschen schlechthin wird.
Nebenbei bemerkt: Wer von uns, um Himmels willen, wäre wohl nicht zutiefst gerührt, wenn ihm jemand gestehen würde: Hey, Alter, weißt du was? Ich muss dir mal was sagen. Du bist für mich ein Freund wie … Winnetou. Bam. Oh, ich … äh, und du, mein wertvoller Freund, bist für mich … ein echter Old Shatterhand. Pow. Ich glaube, so ein ins Herz gestempeltes Kompliment überträfe an Popularität und Wirkung sogar einen Verweis auf die klassisch-biblische Männerfreundschaft zwischen König David und seinem Herzenskumpel Jonathan. Von den meisten anderen literarischen Figuren mal ganz zu schweigen. Wer sonst könnte das wohl in uns auslösen? Mal ehrlich, weder Doc Holiday und Wyatt Earp noch Hanni und Nanni noch Susi und Strolch noch Starsky und Hutch können da doch wirklich mithalten. Und oh, um bloß die politische Korrektheit zu wahren und bevor nun die vielen lesenden Damen sich hier spontan benachteiligt fühlen: Ich glaube, »Du bist eine Freundin wie … Winnetou« ginge wohl auch vollkommen in Ordnung. Na ja, irgendwie. Sie wissen schon, was ich meine. Freundschaft von ewigem Wert. Vertrauen. Loyalität. Grenzenlose Liebe. Göttliche Verbindung. Darum geht es. Und das ist mal, jedenfalls wenn Sie mich fragen, eindeutig geschlechtsneutral.
Das Stichwort Männerfreundschaft allerdings veranlasst mich hier zwischendurch noch schnell zu folgender, sehr aufrichtig gemeinter Blümelei: Ein wichtiger Grund für meine ganz persönliche Freude, an diesem Projekt teilhaben zu dürfen, ist meine tiefe Freundschaft zu Rainer Buck, dem Autoren dieses Buches. Ich vermute, dass sein Name vielen von Ihnen bereits durch seine beiden hervorragenden Romane »Aljoscha« und »44 Tage mit Paul« ein Begriff ist. Für mich war es von Anfang an ein inneres Fest, zu wissen, dass nun ausgerechnet Buck dieses Karl-May-Buch verfassen wird. Nicht nur, weil er tatsächlich ein May-Exeget allererster Güte ist und offensichtlich liebt, worüber er schreibt, sondern auch wegen seines gepflegten, klaren Stils. Ich will sagen: Was für eine Freude. Es ist doch überaus erquicklich, wenn ein Schriftsteller über einen Schriftsteller schreibt (und wenn Sie jetzt denken, dieser Satz sei irgendwie komisch, möchte ich Ihnen von dem Gerücht erzählen, dass angeblich mal eine Colliehündin versucht hat, eine Biografie über Lassie zu schreiben. Glücklicherweise wurde der Plan schließlich aufgegeben, und die Colliehündin verfasste stattdessen eine Biografie über Winston Churchill).
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Ich möchte hier inhaltlich natürlich