Diese unerotische Unterhose, die sämtliche Hormone in die Flucht treibt, war, wie noch eben zu erkennen, einmal mit bunten Punkten versehen. Sie war bestimmt ein Weihnachtsgeschenk von seiner Mutter. Carsten liebt Punkte, außer beim Kraftfahrtbundesamt. Punkte auf Socken und Krawatten, auf Bürotassen und Zahnputzbechern. Er sagt, als Erstes wären ihm meine runden Sommersprossen aufgefallen, Punkte eben, braune Punkte.
Da steht er, gähnt herzhaft und zeigt mir seine Amalgamfüllungen und ein tanzendes Zäpfchen im Rachen. »Die Füllungen sollte er austauschen lassen«, denke ich. »Wer trägt heute noch so viel Gift im Mund, außer meiner Schwiegermutter, die verspritzt das Gift dann ständig.«
Gedankenverloren krault er sich mit der einen Hand in den Haaren auf seiner Brust. Es erinnert an die Streicheleinheiten, die er Paula, unserer Katze jeden Abend zukommen lässt. Die andere Hand hängt schlaff herunter, ein momentan unbrauchbares Anhängsel.
Wie behaart Carsten ist! Kein Mensch muss diese Wolle am Körper tragen, seit es Zentralheizungen gibt.
Wenigstens hat er keinen Mundgeruch, wenn er mir geistig abwesend den obligatorischen Morgenkuss verpasst. Einmal erwischt er dabei meine Stirn, einmal die Nase oder das Ohr, einmal den Nacken. Den Unterschied, scheint er nicht zu bemerken.
Beim Frühstück sieht er dann passabel aus, glaube ich. Das meiste von ihm verbirgt sich ja hinter der Zeitung.
»Tschüss Liebling, bis heute Abend«, begleitet mich sein täglicher Refrain auf meinem Weg ins Bad, ins Schlaf- oder ins Wohnzimmer. Hier räume ich zähneknirschend die unzähligen Andenken weg. Haare vom Rasieren im Waschbecken, Haare in der Dusche, Zahnpasta am Becherrand, festgeklebt wie Zucker an einem Cocktailglas.
Eine Socke, selbstverständlich gepunktet, auf der obersten Treppenstufe, die andere hängt noch im Hosenbein der Jeans.
Wenigstens ist die Jeans nicht gepunktet.
Im Wohnzimmer ein Weinglas, eine Weinflasche, Zeitschriften und eine leere Chipstüte.
Und im Keller, zur Krönung, eine gepunktete, amerikanische Unterhose, aber auf dem Schmutzwäschebehälter, immerhin.
Neeeiiinnnn!
Ich stelle das Radio an, Welle Nord, Schmusemusik für Verliebte. Sehnsüchtig lausche ich den Klängen und den Texten. Warum darf ich nicht noch einmal so etwas Aufregendes erleben? Noch einmal jemandem mit Herzklopfen gegenüberstehen.
Da kommt mir eine Idee. Wo ist die Samstagzeitung? Ah, im Papiercontainer. Ich finde sie, die Seiten mit den spannenden Kontaktanzeigen.
Was die so schreiben! Wahnsinn! Viele versprechen Leidenschaft und Zärtlichkeit, die ich so sehr vermisse. Aber die meisten sind 30, oder um die 40 und ich bin, geschmeichelt, um die 60, nein, eigentlich in den Siebzigern.
»Weiterlesen«, sage ich mir, »jetzt nicht aufgeben. So also ist das. Offensichtlich suchen nur ganz besonders tolle Mannsbilder Bekanntschaften auf diesem Wege. Komisch, warum bin ich nicht schon früher einmal darauf gekommen?«
Ich werde selbst eine Anzeige aufgeben, natürlich! Da kann ich mich gut darstellen und Suchkriterien berücksichtigen wie im Supermarkt.
Etwa so: schlanke, junge, nein jung gebliebene Frau. Konkrete Altersangabe lasse ich weg.
Attraktiv. Nein, wie blöd und eingebildet, besser: ansehnlich und sympathisch. Das sind herrlich dehnbare Begriffe.
Kunst- und kulturinteressiert. Das schreiben alle, aber na gut.
Gebildet. Gebildet? Ich kann manchmal nicht vollständig das tägliche Rätsel in der Tageszeitung lösen, egal.
Ungebunden, das ist wichtig. Aber es stimmt ja nicht. Besser ich schreibe: mit viel Freizeit.
Sportliche Natur- und Tierliebhaberin. Nein, das geht auch nicht. Womöglich meldet sich ein Steilwandkletterer mit Kampfhund.
Und nun zu ihm:
Er sollte – nein, besser: Bist du männlich und jung geblieben? Nicht unter 55, zärtlich, schlank, gebildet und an einem Abenteuer interessiert? Um Gottes willen, das Letzte geht gar nicht, das kann ich nicht schreiben. Besser ist: Und entsprichst meiner eigenen Beschreibung, dann melde dich. Ja, so kann ich die Annonce aufgeben.
Peinlich ist mir das Ganze schon, aber ich greife tapfer zum Telefon. Am anderen Ende sieht man mich ja nicht. Wo steht die Telefonnummer? Ah hier, unter der letzten Anzeige.
Und die klingt gut, besonders gut. Warum habe ich die vorhin überlesen?
Da steht doch tatsächlich alles, was ich vermisse und ohne konkreten Alterswunsch.
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Er, in der Mitte der zweiten Lebenshälfte, 1,82 Meter, schlank, aber nicht dünn, noch berufstätig, zärtlich und leidenschaftlich. Musik- und Theaterliebhaber, ein wenig sportlich, sehnt sich nach einer ebensolchen Frau, schlank bis mollig, Alter unwichtig.
Alter unwichtig? Wie meint er das? Kann ich mich da auch noch bewerben? Ist er nicht diesem Jugendwahn verfallen, der das Alter zu einem Makel degradiert? Ich tue es, ich tue es nicht, ich tue es. Meine Blusenknöpfe sagen: »Ich tue es.«
Erst einmal meine Annonce aufgeben und dann seine beantworten. Eine von beiden Aktionen wird schon erfolgreich sein. Ich werde meine E-Mail-Adresse angeben und vorsichtshalber ein Extrakonto einrichten.
Es ist so weit. Endlich!
Morgen werde ich ihn treffen, meinen verheißungsvollen Märchenprinzen. Er hat sich schon ein paar Tage später auf meine Antwort gemeldet. Bin ich aufgeregt! Ich kenne ihn doch noch gar nicht, bin ich etwa schon verliebt?
Was ziehe ich an? Und zum Friseur muss ich auch noch. Pediküre, Maniküre und einen farbenfrohen Lippenstift.
Ich werde einen kurzen Rock anziehen, den mögen alle Männer leiden. Oder ist das zu gewagt? »Ach, Blödsinn«, beruhige ich mich.
Wann habe ich mir zuletzt so viele Gedanken um mein Äußeres gemacht?
Ich weiß nicht, wie ich die Nacht herum bekommen habe. Schlaf wollte sich nicht einstellen. Nun habe ich verquollene, rote Augen und eine fahle Haut, auf der sich die Falten wie Regenrinnen ausmachen.
Na ja, ich kann noch etwas aus mir machen, habe noch ein paar Stunden Zeit.
Nur kein schlechtes Gewissen aufkommen lassen. Es ist Frühling und man lebt nur einmal. Zudem ist es in meinem Alter fünf vor zwölf und die Zeiger rücken unerbittlich viel zu schnell weiter.
Wenn ich jetzt noch hektische rote Flecken bekomme! Uff, bitte nicht.
Ich möchte doch nur noch ein einziges Mal dem Alltagstrott entkommen. Nur noch einmal Begehren, das mir gilt, in den Augen eines Mannes sehen, Leidenschaft spüren und schenken. Versprochen, nur noch ein einziges Mal.
Wie gut, dass Carsten auch heute Abend, wie so häufig, später kommt. »Die Besprechung kann dauern«, meinte er. Das passt super.
Nach anstrengendem, zeitraubendem Versuch der Verschönerung schaue ich in den Spiegel. Ganz passabel, ich nicke mir Mut machend zu. Jedenfalls ist es nicht mein Alltags- und Putzgesicht, das mir entgegen schaut. Nur das einfallende Sonnenlicht ist erbarmungslos. Hoffentlich ist in der vorgeschlagenen Gaststätte rücksichtsvollere Beleuchtung.
Ich bin so aufgeregt! Ein Rendezvous in meinem Alter! Die Haustür verschließe ich sorgsam und gehe mit zitternden Knien den Gartenweg hinunter.
Ein vertrauter, betörender Geruch erfüllt die Luft.
»Autsch!« Da bin ich zu nahe an den Rosenstrauch gekommen. Dunkelrotes Blut tropft von meinem Handrücken auf die unzähligen weißen Blütenblätter, die wie ein Teppich den Erdboden bedecken. Mein Blut verfärbt das Weiß in ein helles Rosa. Ich starre fasziniert auf die attraktive Färbung. Ein Ast des Strauchs hat sich unter seiner Blütenlast über den Gehweg gebeugt und den Durchgang behindert. Der Busch trägt so viele