In der Schule ist Anne immer gewissenhaft und fleißig, so wie Vati auf der Arbeit. Ihre Klassenkameradinnen will sie nicht mit nach Hause bringen, denn sie hat ihnen erzählt, dass wir ganz tolle Spielsachen besitzen. Was natürlich nicht stimmt. Die Angeberei der anderen ist ihr mächtig auf die Nerven gegangen. Da erfand sie halt unsere tollen Spielsachen. Nun muss sie aufpassen, dass ihre Lügen keine langen Beine kriegen!
Anne wehrt sich lange gegen das Eintreten in die FDJ – wegen der Kirche. Ihre Klassenlehrerin stellt sie jeden Tag deswegen zur Rede. Bis sie keine Lust mehr hat, auf ihre Fragen zu antworten und doch noch in die FDJ geht. Dort muss sie jeden Tag sagen: „Das geloben wir!“ Diese Aussage gefällt ihr ganz und gar nicht und sie wandelt den Satz einfach um in: „Das globen wir!“ Obwohl das ja fast dasselbe bedeutet, hilft es ihr, den Satz zu entschärfen. Vati hat uns mal erzählt, dass die Leute im Krieg anstatt „Heil Hitler“ „Heil Schitler“ gerufen haben, um ihrer Überzeugung treu zu bleiben. Ich glaube, diese List hat Anne hier auch angewendet.
Vati wäre es am liebsten, wenn Anne so schnell wie möglich die Schule verlässt und selbst Geld verdient. Doch ihre Lehrerin ist da anderer Meinung: „Anne, du bist doch so ein intelligentes Mädchen, warum machst du denn nicht zehn Klassen?“ Anne gesteht, dass sie eigentlich weiter zur Schule gehen will. Die Klassenlehrerin schreibt kurzerhand einen Brief an den Betrieb, in dem Anne lernen soll, und ermöglicht ihr damit, zwei Jahre weiter in die Schule zu gehen.
Eleonora ist die Hübscheste von uns allen. Mit langen Locken und viel Charme erobert sie die Herzen ihrer Familienmitglieder im Sturm. In der Schule kann sie die Lehrer anschauen, als würde sie sich nur für den Unterricht interessieren. Dabei ist sie schon längst in ihre Fantasiewelt verschwunden. Am liebsten hält sie sich zu Hause bei Mutti und ihren Geschwistern auf. Ela ist meistens sehr umgänglich und angepasst. Doch wenn ihre Schwestern Dummheiten aushecken, will sie natürlich auch mit dabei sein. Wenn meine Eltern nach einem langen Tag in Ruhe gelassen werden wollen, dann geht es für die drei erst richtig los. Sie toben, dass sich die Balken biegen. Das neueste Spiel heißt: Von einem kleinen Schrank auf einen großen Schrank klettern und dann vom großen Schrank ins Bett der Eltern springen. Das macht großen Spaß und wird so lange wiederholt, bis Vati kommt, um den Mädels eine Tracht Prügel zu verpassen. Doch wenn Vati sich ein Kind schnappt, um es zu verdreschen, brüllen die anderen so laut, dass die Nachbarn denken, Weddings bringen ihre Kinder um. Die drei schwören bei allem, was ihnen heilig ist, nie wieder unartig zu sein. Doch kaum ist Vati aus der Türe raus, geht die Sache von vorne los!
Einmal bedarf es nicht einmal der Androhung von Prügel, um sie zur Vernunft zu bringen: Meine Schwestern sind allein zu Hause. Sie üben Salto vorwärts über die Bettkante von einem in das andere Bett. Plötzlich hören sie unter sich ein Geräusch. Es ähnelt einer menschlichen Stimme, die etwas unheimlich und langgezogen „Hu“ sagt.
„Habt ihr das eben gehört?“, fragt Annedore.
„Ja“, meinen die beiden anderen ängstlich.
Die Situation kommt den dreien so gruselig vor, dass sie sich augenblicklich hinlegen und schlafen. Annedore ist voll und ganz überzeugt, dass die Stimme von „oben“ kam, um sie zu warnen, mit dem Mist aufzuhören, damit nicht noch etwas Schlimmes passiert!
Eleonora geht zur Musikschule und lernt zuerst Akkordeon und dann Klavier spielen. Sie hat mal erzählt, dass der Lehrer in der Musikschule stets hinter ihr steht und an ihrer Schulter und ihren Haaren herumstreichelt. Das kommt ihr sehr seltsam vor. Doch da er nur ihre Haare und ihre Schultern berührt und sie obendrein kräftig lobt, ist es dann doch nicht so schlimm.
Ela kann auch gut andere Leute nachmachen. Sie stellt sich vor den Spiegel und nennt das Pantomime. Am besten gefällt mir, wie sie meinen Vater imitiert, wenn er seine Tabletten schluckt. Das ist echt bühnenreif. Sie nimmt die imaginären Tabletten, tut so, als wenn sie einen Schluck Wasser hinterherkippt, schüttelt alles mit gesenktem Kopf in ihrem Mund durcheinander, um dann das Fantasiegemisch mit einem Ruck in ihrem Rachen verschwinden zu lassen.
Marlene und Ela sehen sich ziemlich ähnlich. Deshalb halten Fremde sie oft für Zwillinge. Doch Marlene ist in Wirklichkeit über ein Jahr jünger als Ela, und vom Wesen her trennen sie Welten.
Marlene ist wild und voller verrückter Ideen. Sie bringt alle ihre Freundinnen mit nach Hause und ist überall beliebt. In die Schule geht sie gern und in der Hofpause ist sie immer von einer Traube Mädchen umringt. Ihre treueste Freundin ist Martina, mit ihr geht sie durch dick und dünn. Die witzigen Ideen sprudeln nur so aus Marlene heraus.
Als Eleonora und Marlene gemeinsam vom Religionsunterricht kommen, hat Marlene zum Beispiel mal wieder solch eine glorreiche Idee: „Komm, Ela, wir werfen jetzt unsere Taschen soweit wir können nach vorne. Guck mal, so!“ Und sie demonstriert ihrer Schwester, wie sie es meint und schmeißt ihre Tasche im hohen Bogen in die Weltgeschichte. Das Spiel kann beginnen. Sie pfeffern ihre Taschen in die gezeigte Richtung. Ein, zwei Mal mit Erfolg. Das dritte Mal landet Marlenes Tasche in einem Vorgarten, genau unter einem Fenster, das offen steht.
„Mist, was jetzt?“, fragt Ela.
„Los, du stehst Schmiere und schaust, ob die Leute nicht grade aus dem Fenster gucken, wenn ich in ihrem Vorgarten rumkrieche“, sagt Marlene schelmisch.
Marlene schleicht an der Gartenpforte vorbei, huscht hinter den nächsten Busch, kämpft sich unterm Fenster vorbei und schmeißt sich in den Dreck, um ihre Tasche zu bekommen.
Ela jammert: „Marlene, mach schnell, dahinten kommen Leute!“
Marlene robbt auf dem Bauch dem Ausgang entgegen und kommt auf allen vieren aus der Tür herausgekrochen. „Wo sind denn die Leute?“, fragt sie.
„Die sind zum Glück da hinten abgebogen. Aber im Haus war jemand. Der schaute immer so komisch her. Jetzt ist er wieder verschwunden“, meint Eleonora.
Ela hilft Marlene hoch und sie rennen lachend davon.
Oder ein anderes Beispiel: Anne, Ela und Marlene kommen von der Kirche nach Hause. Marlene stiftet sie dazu an, im Gleichschritt zu laufen. „Los, rechts fangen wir an!“, befiehlt sie. „Rechts, links und rechts, links!“ Die Mädchen sind so mit ihrem Gleichschritt beschäftigt, dass sie gar nicht mehr auf die Straße achten. „Und rechts und links“, müssen sie sich immer wieder sagen, um nicht aus dem Tritt zu kommen. Sie geraten dabei etwas auf die rechte Seite der Straße. Ehe sie sich versehen, knallen sie heftig gegen die Hinterseite eines stehenden Autos. Ein Mann, der sie dabei beobachtet, schüttelt vor Verwunderung den Kopf. „So viel Blödheit geht ja auf keine Kuhhaut“, sagt er und wendet sich achselzuckend ab.
SONJA
Marlene geht auch zur Musikschule, sie lernt bei Herrn Deckert Geige spielen. Dort hat sie Sonja kennen gelernt. Sonja ist im Sommer bei uns.
Ich sitze gerade auf unserem Kirschbaum und lasse die Beine baumeln. Ein Ast des Baumes ist so gewachsen, dass man gut drauf sitzen, aber auch „Schweinebaumeln“ daran machen kann. Sonja gesellt sich zu mir und fängt an, mit mir zu quatschen. Dabei steckt sie sich eine Kirsche nach der anderen in den Mund. Sie isst die Kirschen mit so viel Genuss, dass es eine Freude ist, ihr dabei zuzuschauen. Ich weiß aber, dass die Kirschen dieses Jahr voller Maden sind und teile es Sonja mit. Die sagt nur: „Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß“, und futtert genüsslich weiter. Habe ich mich vielleicht getäuscht und es sind gar keine Maden in den Kirschen? Ich esse genau so gerne Kirschen wie Sonja und es wäre toll, diese Früchte verspeisen zu können. Von außen sehen sie ja sehr lecker aus. Doch halt, ich werde mal nachschauen, wie es in der Frucht aussieht. Ich teile die Kirsche in zwei Hälften. Igitt, vier Maden tummeln sich darin. Ich habe es doch