Die beiden wurschteln sich so durchs Leben, bloß Kinder bekommen sie keine. Dabei ist Tante Lena doch so kinderlieb. Als meine Mutter ihr viertes Kind erwartet, bettelt sie: „Lydia, du hast doch schon drei Kinder. Das vierte Kind kannst du mir doch geben. Damit könnten wir zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Ich bekomme endlich ein Kind und du hättest eine Sorge weniger.“ Doch meine Mutter will mich auf keinen Fall weggeben, auch wenn sie noch so viele Kinder geboren hätte. Meine Schwestern sagen oft zu mir: „Stell dir mal vor, du wärest jetzt Tante Lenas Kind und nicht unsere Schwester.“
‚Was soll ich dazu sagen?’, denke ich verwirrt.
Da meine Tante keine eigenen Kinder hat, macht sie es sich zur Aufgabe, alle Kinder in ihrer großen Familie zu verwöhnen. Onkel Franz sagt dazu nur: „Du gibst aber eine Menge Geld für die Gören aus.“ Doch sie lässt sich nicht die Butter vom Brot nehmen und kontert geschickt: „Du gibst dein Geld für Zigaretten aus und ich meins für meine Nichten und Neffen.“ Onkel Franz verdreht dann nur noch die Augen und sagt gar nichts mehr dazu.
Meine Schwestern freuen sich riesig, eine solche Tante zu haben. Meine Mutter sieht das oft mit gemischten Gefühlen. Doch als Tante Lena auch noch meinen Vater mit großen, runden Kulleraugen ansieht, um ihre Weiblichkeit zur Schau zu stellen, das behauptet jedenfalls meine Mutter, flippt sie so richtig aus. Mutti weigert sich eine ganze Weile, ihrer Schwester die Kinder zum Verwöhnen zu geben. Vati will einlenken und meint: „Lena hat es doch nur gut gemeint.“
Das macht meine Mutter nur noch wütender und sie antwortet: „Jetzt nimmst du sie auch noch in Schutz!“ Mutti rechtfertigt sich in Gegenwart ihrer Kinder so: „Es ist ganz was anderes, wenn Tante Lena euch Mädels nur manchmal hat und euch dann von vorne bis hinten verwöhnt. Ich als Mutter bin immer mit euch zusammen und ich kann es mir nicht leisten, euch viele schöne Dinge zu kaufen. Da kann Lena leicht die gute Tante spielen.“
Meine Tante erzählt eine ganz andere Version der Geschichte. Sie sagt, dass Mutti und Vati verreist waren und die Kinder bei ihr und Oma geblieben sind. Was sich ja auch anbot, denn sie wohnten zu dieser Zeit noch bei uns. Tante Lena nahm sich vor meine Eltern zu überraschen. So gab sie sich besonders große Mühe, das Essen und den Tisch für meine Eltern vorzubereiten. Meine Tante legte zum Beispiel schöne Servietten auf den Tisch und steckte sie in niedliche kleine Serviettenhalter. Alles Dinge, für die meine Mutter nie Aufwand betreiben würde. Meine Eltern trafen ein und die Freude dauerte nur so lange, bis mein Vater sagte: „Lydia, warum deckst du denn nicht auch mal so schön den Tisch wie deine Schwester?“
In dem Moment verwandelte sich die Freude in Wut.
Tante Lena meint: „Deine Mutter war eifersüchtig auf meinen schön gedeckten Tisch. Dafür durfte ich euch, als ich ausgezogen war, eine ganze Weile nicht sehen.“
Ich weiß nicht, wer Recht hat, aber das mit der Eifersucht muss wohl stimmen. Denn meine Schwester Marlene weiß zu berichten, dass sie schon öfter solche Streitgespräche aus dem elterlichen Schlafzimmer gehört hat. Nach einer Weile verstummen die bösen Worte und es folgen versöhnliche Töne. Mein Vater behauptet dann, nur meine Mutter zu lieben. Wenn dann ganz andere Geräusche von nebenan zu hören sind, weiß Marlene, jetzt haben sich die beiden wieder vertragen.
Was sie wohl für Geräusche meint? Na egal, Marlene ist jedenfalls auch der Meinung, dass Mutti sehr eifersüchtig ist.
Nach einer ganzen Weile ist Gras über die Sache gewachsen und Tante Lena darf sich wieder mit meinen Schwestern vergnügen.
Das Osterfest mit unserer Tante ist aber auch der Knaller. Sie geht mit den Mädels am Kanal entlang. Anne liebt es, dort spazieren zu gehen. Besonders im Frühjahr, wenn der wilde Flieder blüht. Tante Lena läuft ein Stückchen voraus und lässt heimlich still und leise ein Osterei fallen. „He, guckt mal, Kinder, hier hat der Osterhase ein Ei versteckt!“, ruft Tante Lena und macht ein Gesicht, als würde sie es gar nicht fassen können. „Und hier noch eins", wundert sie sich dann.
Die Mädchen kommen herbeigelaufen: „Oh wirklich, Tante Lena, ein richtiges Schokoladenei.“
Tante Lena ist in ihrem Element: „Was ich hier alles finde! Hier, wieder ein Bonbon und hier eine Tafel Schokolade!“
„Oh, Tante Lena, warum findest du denn immer die Süßigkeiten und nicht wir“, fragt Annedore halb beleidigt.
„Na, da müsst ihr richtig hinschauen! Sucht mal fleißig weiter“, gibt Tante Lena zurück. Jetzt schmeißt sie ihnen die Süßigkeiten, wenn die Kinder mal nicht hinschauen, möglichst vor die Füße.
„Ich habe etwas gefunden!“, freut sich Ela.
„Ich auch“, verkündet Marlene ganz stolz.
Beim nächsten Versuch sagt Anne überrascht: „Tante Lena, du schmeißt ja die Süßigkeiten auf die Erde.“
Tante Lena kann sich nun nicht mehr halten vor Lachen und die Kinder lachen mit.
Immer wenn sie mit mir Ostern feiern, dann erzählen sie mir begeistert diese Geschichte. Ich suche meine Ostereier im Garten umringt von meinen Schwestern, die mich anfeuern und die Richtung angeben, indem sie laut „Heiß!“ oder „Kalt!“ brüllen. Ich weiß nicht, wer sich mehr freut, wenn ich etwas gefunden habe, meine Schwestern oder ich. Manchmal sind die Ostereier auf dem Misthaufen versteckt oder sie klemmen zwischen den Rhabarberblättern, oft auch im Stall und wenn es regnet garantiert in der Küche im Backofen.
ONKEL FRANZ, DER SPASSVOGEL
Zu Weihnachten lädt Tante Lena die Kinder natürlich auch ein. Die Geschenke, die sie für die Kinder gekauft hat, liegen schon schön verpackt unterm Baum. Alle freuen sich – und Tante Lena am meisten. Onkel Franz hat an diesem Tag auch viel Freude am Besuch seiner Nichten.
Zuerst wird gegessen. Alle setzen sich an den neuen Tisch. Onkel Franz sitzt am Kopfende. Tante Lena verteilt den Kuchen. „So, jetzt ist alles komplett. Ach nein, die Kaffeesahne fehlt noch. Wollt ihr Schlagsahne haben?“, fragt Tante Lena. Sie stellt sie auf den Tisch. Voller Vorfreude schaufeln sich meine Schwestern ordentlich Schlagschaum auf ihren Kuchen und fangen an zu essen.
Onkel Franz beobachtet das Geschehen., Die sind voll und ganz mit ihrem Kuchen beschäftigt, da kann ich anfangen’, denkt er. Und er macht sich daran, an einer Kurbel unterhalb der Tischplatte zu drehen. Er dreht den Tisch Stück für Stück nach unten. Die Kinder müssen ihre Oberkörper ziemlich weit runterbeugen, um überhaupt noch an den wundervollen Kuchen heranzukommen. Onkel Franz grinst sich eins ins Fäustchen und hält Blickkontakt zu Tante Lena.
„Der Kuchen ist eine Wucht“, sagt Marlene.
Onkel Franz freut sich unheimlich und kurbelt den Tisch wieder in die Mitte. Jetzt können die Mädels entspannt sitzen. Das macht natürlich nicht so viel Spaß und er dreht den Tisch weiter in die Höhe. Marlene reicht die Tischplatte jetzt bis zum Hals.
„Noch etwas Kakao?“, fragt Tante Lena.
„Ja“, sagt Marlene ganz begeistert und es sieht witzig aus, wie sie ihre Tasse über den viel zu hohen Tisch reicht. Da kann sich Tante Lena kaum noch halten vor Lachen.
„Was ist los?“, fragt Annedore.
„Ist alles in Ordnung“, gibt sie unter Kichern zurück.
Onkel Franz dreht weiter an seiner Kurbel. Die Kinder werden skeptisch. Jetzt müssen sie wieder so gebückt sitzen, wenn sie den Kuchen nicht auf dem Weg zum Mund verlieren wollen. Als Onkel Franz den Tisch zum dritten Mal hoch kurbelt und die Kinder ganz dämlich gucken, weil sie kaum noch über den Tisch blicken können, bekommt Onkel Franz vor Lachen schon fast keine Luft mehr.
„Mann, Onkel Franz, was machst du denn da?“, fragen die Mädchen und sie stürzen sich auf ihn.
Tante Lena hält sich den Bauch vor Lachen, ihr Gesicht ist ganz rot und sie muss sich die Tränen aus den Augen wischen.
„Onkel