»Wer sind Sie?«, fragte die Verkäuferin verwirrt.
»Ich habe eine Waffe auf dich gerichtet; wenn du dich umdrehst, bist du tot.«
»Sie wollen die Bilder stehlen!«
»Diesen Dreck könnt ihr behalten!« Rückwärts schritt Céline auf den Ausgang zu. »Ich mache jetzt die Tür zu, du zählst bis hundert, danach kannst du die Bullen rufen. Bleib an der Wand, ich will dich nicht erschießen.«
»Ja, gut.«
Céline schloss die Tür hinter sich. Und dann rannte sie, die Stufen hinauf, durch den Laden, durch die Tür und hinaus in den Regen, links ab, rechts ab und weiter, immer weiter zum goldenen Viertel.
Leere Gesichter
Glänzend wie Glas
Das Neonlicht
Malt bunte Masken
Schamanen, Engel
Und Dämonen
Im Regen wirkte das Krankenhaus wie eine Kirche, ein breiter Bau, über allem leuchtete das Kreuz. Entschlossen schritt Céline auf das Hauptportal zu, durchquerte es und fragte nach der Rezeption. Dort sprach sie eine Schwester an. »Ich suche Dr. Randell.«
»Um was handelt es sich?«
»Er ist mein Vater, ich muss ihn sprechen. Meine Mutter ist gestorben.«
»Oh, herzliches Beileid.« Die Krankenschwester griff nach einer Liste, fuhr mit ihren langen Nägeln an den Zeilen entlang. »Dr. Randells Schicht ist gerade vorbei, wenn du dich beeilst, kannst du ihn vielleicht am Personalausgang abfangen, rechts raus und einmal um die Ecke.«
Céline hastete zurück, durch die Drehtür und an Werbesäulen vorbei in die Seitengasse. Ein Arzt lief ihr entgegen; sie hielt an. »Dr. Randell?«
»Ja?«
»Ich habe deine Bilder geseh’n, deine Kunstwerke aus Fleisch.«
»Und gefallen sie dir?« In einer Ahnung ging Dr. Randell auf Abstand.
»Nein«, erwiderte Céline und zog ihre Waffe. »Sie stoßen mich ab!«
»Das geht vielen so«, erklärte Dr. Randell, der sich Schritt für Schritt entfernte. Kurz spähte er zu einem geparkten Kleinbus an der Ecke. »Sie verstehen die Aussage nicht. Die umfassende Schönheit des Menschen, das will ich zeigen. Nicht mehr und nicht weniger.«
»Dafür tötest du Menschen? Das ist doch krank!« Céline verringerte die Distanz. »Bleib da stehen.«
»Töten? Ich nehme Leichen als Ausgangsmaterial.«
»Lüg mich nicht an!«, schrie Céline, worauf sie noch näher kam. »Du wilderst in der Nacht, suchst dir neue Opfer wie ein Tier! Ich hab’s gesehen, du perverses Schwein!«
Dr. Randell setzte eine freundliche Miene auf. »Unsinn, du verwechselst mich.«
»Gravierte Klingen, ein Drache und ein Teufel.«
»Verflucht«, rief Dr. Randell und eilte zum Kleinbus, dessen Tür er hektisch aufriss.
»Stopp!«
Zwei Schüsse hallten durch die Gasse, einer zersplitterte die Autoscheibe, der zweite ging in Dr. Randells Bein.
»Gott, was willst du von mir?«, schrie er, während er seinen Körper mühsam auf den Fahrersitz hievte.
Céline schoss ihm in den Arm.
Randell keuchte, zitterte und sackte auf dem Rinnstein zusammen.
»Was ich will?«, schrie sie heiser. »Endlich ein Leben, eine Bleibe, Familie und Freunde. Und all das hier vergessen! Sag dieser Welt Lebwohl, du irrer Psychopath!«
Ein Blutfleck auf der Brust
Groß wie eine Faust
Die Augen leer und weiß
Wie Plastik
Noch ein Atemzug
Und aus
»Meine Schwester, möchtet Ihr noch mehr loswerden?«, fragte der Priester sanftmütig. »Ich nehme sie alle, die traurigen, bösen, schlechten.« Er hob die Hände zum Himmel. »Für euch bin ich das Auffangbecken!«
»Nein, danke«, sagte Céline lächelnd und zog ihre Kapuze über den Kopf. »Mehr hab ich nicht zu beichten.«
IM LABYRINTH DER NEONROSE
Ein Hochhaus
Nasse Wände, Beton
So alt und voller Tage
Wie eine Couch
Im Regen
Das Mädchen mit den Schmetterlingsaugen schloss die Lider und ließ den Regen über ihre Wangen laufen. Wind zerrte an ihren Haaren und einer Wolldecke, die sie um den nackten Oberkörper geschlungen hatte.
Ein Song drang auf den Balkon hinaus.
»Du wirst krank, komm rein!« Die Stimme kam aus dem Raum hinter ihr, männlich, jung.
»Gleich«, sagte das Mädchen und öffnete die schillernden Augen. »Die Luft ist sauber heute Nacht.«
»Liegt am Regen!«
»Nee, nicht immer.«
Links wurde ein Schatten größer.
Das Mädchen drehte sich um. »Die Ratten der Stadtwerke streiken, Öfen und Schornsteine sind abgeschaltet.«
»Komm rein«, wiederholte der Junge, diesmal fester – ein Punk, verkniffene Augen, prismatische Haarspikes; außer einer Narbe am Ohr war nichts Besonderes an ihm. Er führte das Mädchen zurück ins Zimmer. »Du musst jetzt gehen.«
»Schon?« Sie ließ die Wolldecke fallen und suchte nach ihrer Hose und dem Longshirt, beides schwarz.
»Muss gleich los«, erklärte der Punk, während auch er nach seinen Klamotten suchte, Ledermantel und Nietenhose. »Besorgungen machen.«
Das Mädchen zog ihren Plastikmantel über. »Du?«
»Ja?«
»Sehen wir uns … Ich meine …«, begann sie.
»Möglich«, erwiderte der Punk und grinste. »Wie heißt du eigentlich?«
»Céline.«
»Hübscher Name, passt zu dir.«
»Ich hau dann mal ab.« Céline verschnürte die Schuhe, nahm ihre Tasche und stand auf. Zügig ging sie auf die Haustür zu.
»Warte!« Der Punk kam herüber, umarmte sie. »Pass auf dich auf, okay?«
»Aber klar«, sagte Céline. Sie löste sich von ihm. »Mach’s gut.« Schnell öffnete sie die Tür und lief den Korridor entlang zum Fahrstuhl.
In Musik gebrannt
Ein Stuhl, ein Fenster
Buntes Licht
In Musik gebrannt
Atem, Haut
Zwei Risse an der Wand
»Also, an deiner Stelle würd ich sie behalten.« Die Verkäuferin zog die Haftung von der Stirn, ehe sie die Drähte um den goldenen Kubus wickelte; ein Transmitter für Memories. »Eine schöne Erinnerung, nette Musik. Von letzter Nacht?«
»Wie viel?«, fragte Céline und streifte die zweite Haftung ab.
»Fünfzig bar auf die Kralle, zweihundertfünfzig, wenn ich vorher einen Käufer ausfindig mache.«
»Was, nur?« Céline senkte den Kopf. »Ich dachte, die laufen immer, ich …«
»Sicher, werden gern genommen«, antwortete die Verkäu-ferin und nickte gutmütig. »Schau mal, erst gestern kamen zwei Jungs rein, bisschen