Nach dem Schlaganfall des Vaters hatten sein Bruder Erwin und er das Schmuckgeschäft übernommen. LENZEN & SÖHNE. Die Geschäftsleitung war von Anfang an klar getrennt. Erwin war der geborene Geschäftsmann, und er, Karl, kümmerte sich ausschließlich um die Buchführung. Sein Bruder musste wohl ausgezeichnete Verbindungen haben, denn seit der Übernahme florierte das Geschäft. Das Erwin ihm die Einsicht in seine Geschäftsführung verwehrte, ihn dafür aber die Buchführung nicht interessierte, war Karl nur recht. So war es ihm möglich, als gewiefter Buchhalter der er schließlich war, unbemerkt hin und wieder kleinere Beträge vom Geschäftskonto für seine Wettleidenschaft abzuzweigen. Erwin, der Trottel, hatte volles Vertrauen zu ihm. Und der Alte, na ja, der merkte sowieso nichts mehr. In der letzten Zeit war es aber wie verhext. Keiner seiner Tipps beim Pferderennen brachte einen vernünftigen Gewinn. Den Fehlbetrag auf dem Geschäftskonto konnte er bald nicht mehr vertuschen. Dabei war er immer so nahe dran an dem großen Gewinn. Und dann auch noch die verlustreiche Nacht mit der Pokerrunde. Diese Aasgeier hingen ihm jetzt auch noch im Nacken. Bis morgen Abend hatte er Zeit, den Betrag von fünfzigtausend Euro auf den Tisch zu blättern. Wenn nicht..., der Hinweis auf gebrochene Knochen war deutlich genug.
Mit halbem Ohr hörte er, dass die Musik im Radio unterbrochen wurde. Eine Stimme machte auf eine Sondermeldung aufmerksam. „… Personenzug kurz vor Hamburg entgleist.“ Er zuckte wie vom Blitz getroffen zusammen. Aufmerksam hörte er jetzt der Nachricht zu. „… einige Waggons in Brand geraten. Die Anzahl der Toten und Verletzten ist noch nicht abzusehen. Die Strecke, ab Harburg bis Hamburg/ Hauptbahnhof, ist vorübergehend gesperrt!“ Karls Gedanken überschlugen sich. „Mein Gott, wenn ich in dem Zug gesessen hätte? Ich könnte jetzt tot sein!“ Er hielt einen Augenblick den Atem an … und grinste. Plötzlich hatte er es sehr, sehr eilig.
„Kommissar Schröder“, Assistent Menke hielt den Telefonhörer hoch und deckte mit der rechten Hand die Hörmuschel ab, „es ist wieder der Erwin Lenzen. Seit dem Zugunglück ruft er stündlich an und erkundigt sich, ob sein Bruder Karl gefunden wurde.“
Schröder nahm den Hörer in Empfang. Selbst nach seinen langen Dienstjahren fiel es ihm immer wieder schwer die richtigen Worte für die Angehörigen eines Verunglückten zu finden. „Herr Lenzen, hier spricht Kommissar Schröder, bedauerlicher Weise kann ich Ihnen noch nichts über ihren Bruder mitteilen! Sind Sie ganz sicher, dass er in dem verunglückten Zug war? … Herr Lenzen, ich verstehe Sie ja, Ihr Bruder steht Ihnen sehr nahe. … Ja, sobald wir etwas wissen, werden wir Sie informieren!“
Mit einem nachdenklichen Gesichtsausdruck legte Kommissar Schröder den Hörer auf die Gabel. Die ständigen Anrufe des Erwin Lenzen kamen ihm, bei allem Verständnis der Situation, doch sehr übertrieben vor. Er gab Assistent Menke den Auftrag, Erkundigungen über die Brüder Lenzen einzuholen. Die Überprüfung ergab jedoch nichts, was auf einen Streit unter den Brüdern, oder eine unkorrekte Geschäftsführung hin deutete.
Mit einem zufriedenen Grinsen im Gesicht legte Karl Lenzen den Hörer auf. Jetzt war er sich sicher, dass sein Name auf der Liste der verunglückten Zuginsassen stehen wird. Nun musste er nur noch eine Kleinigkeit im Büro erledigen, schließlich lag im Safe eine ausreichende Summe an Bargeld für seinen Neuanfang, und ein paar besonders wertvolle Schmuckstücke. Damit würde er sich dann sorgenfrei absetzen.
Gegen 22.00 Uhr machte er sich auf den Weg ins Büro. Er war sich sicher, dass sein Bruder zu dieser Zeit das Geschäft verlassen hatte. Vorsichtig, und darum bemüht nicht gesehen zu werden, schlich er auf der Rückseite durch den Personaleingang in die Geschäftsräume. Der Gedanke, ein toter Mann zu sein amüsierte ihn köstlich, wodurch ein glucksendes Geräusch seiner Kehle entrann. An den Schuldschein aus der Pokerrunde verschwendete er jetzt keinen Gedanken mehr. Sollten sich die Aasgeier das Geld doch von Erwin hohlen.
Alles war dunkel und still im Büro. Er ließ die Jalousie herunter und machte die Schreibtischlampe an. Ein euphorisches Gefühl überkam ihn. In Kürze würde er dieses Leben hinter sich haben. Wie Recht er mit diesem Gedanken doch hatte. Er stand vor dem geöffneten Safe und räumte mit hastigen Bewegungen die Geldscheine in einen Aktenkoffer. „Jetzt noch schnell die wertvollsten Schmuckstücke und dann nichts wie weg hier!“, dachte er, als die vor Wut unterdrückte Stimme seines Bruders hinter ihm zu hören war. Wie ein Peitschenhieb traf ihn das eine Wort: „Karl!“ Ruckartig drehte Karl Lenzen sich um und stieß gleichzeitig „Scheiße“ hervor. Auf dem Gesicht seines Bruders spiegelte sich Wut und Enttäuschung wieder, aber auch eine Entschlossenheit, die Karl bei seinem Bruder noch nie bemerkt hatte. Etwas unsicher grinste er dümmlich. „Sorry, Erwin, ich verschwinde ins Ausland und brauche ein wenig Startkapital. Du kannst mich nicht aufhalten. Ich habe bereits dafür gesorgt, dass ich offiziell bei dem Zugunglück als Unglücksopfer registriert wurde!“ Die Worte sprudelten nur so aus ihm heraus als wollte er für sein Handeln um Verständnis bitten.
Schlagartig veränderte sich der Gesichtsausdruck seines Bruders zu einer eiskalten Miene. Leicht zusammengekniffene Augen fixierten Karl und hätten ihn warnen müssen.
„Warum bist du hergekommen?“, fragte Karl etwas ungehalten und drehte sich wieder dem Safe zu, um die restlichen Schmuckstücke an sich zu nehmen.
Erwins Stimme drang kalt und emotionslos an sein Ohr. „Ich habe einen Schuldschein mit deiner Unterschrift, den du bis morgen Abend einlösen musst! Ich wusste, dass du hier erscheinen würdest.“
Karl spürte die unmittelbare Nähe seines Bruders hinter ihm. Der heiße Atem streifte seinen Nacken. Einen kurzen Moment beschlich ihn ein ungutes Gefühl. Er war jedoch so sehr damit beschäftigt, die besten Schmuckstücke auszuwählen, dass er nicht bemerkte, wie Erwin den schweren Aschenbecher vom Schreibtisch aufnahm. Ohne zögern, krachte er mit voller Wucht auf Karls Hinterkopf. Im Fallen stieß er mit dem Kopf gegen die Schreibtischkante. Es gab ein kurzes knackendes Geräusch, als sein Genick brach. Teilnahmslos sprach Erwin Lenzen weiter: „Deine frisierte Buchführung habe ich noch toleriert, du kleiner Schreibtischganove, doch jetzt bist du zu weit gegangen. Niemand, auch du nicht, beklaut uns … die Firma …!“ Er drehte sich, ohne noch einen Blick an seinen Bruder zu verschwenden, um, und verließ das Büro. Kurz darauf betraten zwei muskelbepackte Rausschmeißer den Raum und verfrachteten den Toten in einen Lieferwagen der vor dem Hintereingang parkte. Doch das alles interessierte Karl Lenzen nicht mehr. Er hatte dieses Leben, wie ja schon angekündigt, hinter sich gelassen
Am Morgen erhielt Erwin Lenzen den ersehnten Anruf von Kommissar Schröder: „Herr Lenzen, ich muss ihnen die traurige Mitteilung machen, dass wir ihren Bruder gefunden haben. Beim Aufprall des Zuges wurde er aus dem Waggon geschleudert. Er erlitt dabei einen Genickbruch.“
Erwin Lenzen nahm seine Jacke vom Garderobenhaken, verschloss sorgfältig sein Geschäft, und hängte ein Schild an die Tür. „Wegen Trauerfall heute geschlossen.“
Dann machte er sich auf den Weg ins Leichenschauhaus, um seinen Bruder zu identifizieren.
Kurzkrimi
EIN MÖRDERISCHER PLAN
Vollgepackt mit Tüten strebte Gerda Hansen im Laufschritt dem Parkhaus entgegen. Beim Shoppen ist ihr mal wieder die Zeit davongelaufen, und in knapp einer Stunde sollte sie bereits bei ihrer besten Kundin, Frau Ilona Martens sein. Erst vor wenigen Monaten hatte Gerda ihren eigenen Kosmetiksalon eröffnet, doch bisher lief das Geschäft nur schleppend an. Deshalb machte sie bei besonders wichtigen Kundinnen auch Hausbesuche. Frau Martens war nicht nur eine bekannte, erfolgreiche Maklerin, sondern auch durch eine Erbschaft sehr vermögend. Ihr Mann, ein erfolgloser Antiquitätenhändler, würde, so tratschte man hinter vorgehaltener Hand, sich mit dem Geld seiner Frau ein schönes Leben machen.
Hastig verstaute Gerda die Tüten im Kofferraum und startete das Auto. Den Schlüssel gedreht, … doch außer ein stotterndes Gebrumme, vermischt mit einem schleifenden, und quietschendem Geräusch, tat sich nichts. „Bitte, bitte spring an, lass mich jetzt nicht im Stich!“, flehte sie, doch nach mehreren Versuchen gab sie auf. Nun blieb ihr nichts anderes übrig, als in der Werkstatt anzurufen. Der Wagen musste abgeschleppt werden. Wütend kramte Gerda in der vollgestopften Handtasche herum. Alles Mögliche kam zum Vorschein,