Ich wurde Zeuge, wie sie ihn um den Finger wickelte. Noch eine Seite, die ich an meiner Mutter so zuvor nie beobachtet hatte. Es gelang ihr, ihn zu beruhigen und aufzulegen.
Inzwischen standen wir auf dem Bürgersteig, nicht sicher, was als Nächstes passieren sollte. Umständlich streckte ich die Arme aus. Bea schien auf diesen Moment gewartet zu haben und tat es mir gleich. Eine hölzerne Umarmung folgte. Ich hätte sagen können, dass ich sie lieb hatte, aber die Worte blieben mir im Hals stecken.
»Meld dich Mittwoch, wie’s gelaufen is’«, flüsterte sie, als wir uns voneinander lösten.
»Mach ich, und vielen Dank!«
Sie strich mir zum Abschied über die Wange und bog dann in den Höhenweg ein. Ich sah ihr noch kurz hinterher und ging schließlich zurück zur Bushaltestelle. In meinem Bauch rumorte eine friedliche Mischung aus Doppelkorn und Zuneigung.
Der Bus 134 fuhr gerade vor, als ich an der Ecke ankam. Der Busfahrer sah mich und wartete. Ich lächelte zum Dank, torkelte an ihm vorbei und nahm im Augenwinkel wahr, dass er den Kopf schüttelte. Erst wollte ich protestieren, dass ich gar nicht betrunken sei, dann fiel mir aber ein, dass es gelogen wäre. Ich ließ mich wieder auf einen Sitz über einer Heizung nieder und dachte über meinen Morgen nach. Am Bahnhof Spandau nahm ich die Regionalbahn Richtung Cottbus, um erst nach Lichtenberg und von dort aus mit der S-Bahn zurück nach Springpfuhl zu fahren. Etwa auf der Höhe vom Zoo zückte ich kurz entschlossen mein Telefon und verfasste eine lange Nachricht an Bea. Ich schrieb, dass der Morgen toll gewesen war, dass sie toll war, dass unser Verhältnis jetzt richtig toll würde und dass wir unser Treffen bald wiederholen sollten. Ich nannte sie sogar Mutti und endete mit Ich hab Dich lieb. Die Nachricht wurde mir erst als gelesen angezeigt, als ich schon über den Helene-Weigel-Platz lief. Bis dahin hatte Bea vermutlich mit Klaus zu tun gehabt. Kurz wurde angezeigt, dass sie mir schrieb, dann schien sie ihr Telefon nicht mehr anzufassen: Zuletzt online um 11 : 58.
Am Nachmittag kam Pami vorbei und hörte sich meinen Bericht an. Sie fand die Entwicklungen großartig, wurde aber aus meinem traurigen Gesicht nicht schlau.
Ich zeigte ihr daraufhin meine letzte Nachricht und fragte: »Meinst du, ich bin zu weit gegangen? Wollte ich in meinem Dusel zu schnell zu viel?«
»O mein Gott!«, stieß sie aus. »Du bist ja genauso unsicher wie nach einem ersten Date!«
Mit laut klopfendem Herzen bestieg ich am Mittwoch den Fahrstuhl zum Immobilienbüro Lindner. Doch ehe ich mehr als drei Schritte in den Empfangsbereich getan hatte, sprang mir Chris entgegen.
»Hallo, Aileen! Ich habe schlechte Nachrichten.«
»Oh!«
»Keine Ahnung, was Sie dem Chef gesagt haben. Aber er hat mich wissen lassen, dass wir den Dauerauftrag auslaufen lassen sollen«, erzählte sie mir, während sie neben mir her in die Küche lief.
»Ach«, sagte ich, »Bäumchen wechsel dich!« Als wir an Sams Büro vorbeikamen, ging die Tür auf, und Doktor Arschkrampe trat heraus. Instinktiv wich ich zur Seite, mein Körper spannte sich an, bereit, jederzeit einen Verteidigungsgriff durchzuführen. Sam sah jedoch durch mich hindurch und schritt an mir vorbei.
Erst als Chris und ich in der Küche ankamen, ergriff ich zaghaft das Wort. »Hat er sonst noch etwas gesagt?«
»Nein. Für diesen Monat bezahlen wir Sie noch. Es tut mir so leid, ohne Ihre Cupcakes wird hier etwas fehlen!« Sie trat einen Schritt auf mich zu. »Ich werde übrigens bald kündigen. In meinem neuen Büro werde ich sehen, was ich für Sie tun kann.« Sie zwinkerte mir zu, und ich grinste.
Noch im Fahrstuhl rief ich Pami an und berichtete ihr von dem bockigen Jungen, der es sich anders überlegt hatte.
»Hätte schlimmer kommen können«, sagte sie. »Solange er bei seinen Geschäftsfreunden keinen Rufmord an uns betreibt, sind wir noch fein raus.«
»Nur müssen wir deinen Eltern jetzt sagen, dass wir ihnen diesen Monat keine Rate zahlen können. Zudem ist Sparen angesagt.«
»Sieht so aus. Aber mach dich mal nicht nass, das kriegen wir schon hin!«
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