An einem Steg lege ich neben Yachten und Motorbooten an, gehe ein paar Schritte das Ufer hinauf und lasse mich vor dem Rasthaus ins Gras fallen, breite die Arme aus, schließe die Augen und bin so erschöpft, dass ich beinahe einschlafe. Das kurze Gras duftet nach Wiese und Erde und kitzelt mich im Gesicht. Eine halbe Stunde bleibe ich so liegen, dann stehe ich auf und fahre weiter.
Die Donau windet sich in der Schlögener Schlinge durch eine felsige und bewaldete Berglandschaft und ein Ausflugsschiff fährt an mir vorüber. »Rousse« steht in lateinischen und kyrillischen Buchstaben am Bug des Schiffes. Ruse, Bulgarien, ist noch 1 700 Flusskilometer entfernt.
AM TAG DARAUF fahre ich am späten Nachmittag an die nächste Schleuse. Ein weißes Motorboot, gut fünf Meter lang, liegt an der Kaimauer und darin sitzen zwei junge Männer und zwei Frauen in orangefarbenen Schwimmwesten.
»In einer halben Stunde kommt ein Schiff«, sagen sie, als ich neben ihnen anlege, »dann bringen sie uns nach unten.«
»Wo fahrt ihr hin?«
»Zurück nach Linz«, sagen sie. »Wir haben nur einen kleinen Wochenendausflug gemacht, nach Passau. Gestern hin und heute zurück. Und du?«
»Aus Regensburg«, sage ich. »Und vielleicht kann ich es bis Budapest schaffen.«
»So weit?«
»Ihr fahrt doch sicher auch oft viel weiter als nur bis nach Passau?«, sage ich. »Mit so einem Motorboot geht das doch bestimmt ganz schnell.«
»Naja.« Sie sehen sich an. »Vor zwei Jahren waren wir mal in Wien und einmal auch in Pressburg. Das ist ja gleich hinter der Grenze. Aber eigentlich machen wir immer nur Wochenendtrips, samstags hin und am Sonntag zurück.«
Der Frachter kommt, das Tor öffnet sich und im Schleusenbecken legen wir je an einer Leiter an und warten.
Ein Mann in blauer Mechanikerkluft kommt auf der Kaimauer zu uns gelaufen.
»Das geht nicht!«, sagt er zu mir. »Ohne Schwimmweste können wir dich nicht schleusen.«
»Warum denn das? Ich brauchte doch bislang auch keine.«
»Das war in Deutschland«, sagt der Mann. »In Österreich haben wir jetzt Rettungswestenpflicht. Letztes Jahr ist hier drin einer ertrunken.«
»Ich kann schwimmen«, sage ich.
»Nein. Entweder du hast eine Schwimmweste oder du fährst wieder raus aus der Kammer. Dann musst du dir eben eine kaufen.« Auf dem Motorboot schwenkt einer der Männer ein orangefarbenes Bündel und winkt mich heran.
»Hier«, sagt er und reicht sie mir, »wir haben noch eine übrig.«
»Danke«, sage ich und hinter uns schließt sich das Tor. Draußen gebe ich ihm die Weste zurück, wir winken uns noch einmal zu und das Motorboot fährt davon. Bald darauf ist es hinter der nächsten Flussbiegung verschwunden.
In dreizehn Kilometern kommt die nächste Schleuse und es sind noch acht Staustufen bis zur slowakischen Grenze. Wo kriege ich jetzt nur eine Schwimmweste her? Außerdem sind die Dinger bestimmt nicht billig, aber es wird schon irgendwie werden, denke ich und fahre erst einmal weiter.
Tiefhängende, graublaue Wolken treiben am Himmel, darunter schnellziehende Fetzen von schwarzgrauen Wölkchen. Auf dem Fluss habe ich, anders als in der Stadt, den Himmel immer im Blick. Ich kann ihm nicht entgehen, ich bin ihm den ganzen Tag unmittelbar ausgesetzt und er spannt sich von Horizont zu Horizont in Blau und in Grau, in Weiß und Rosa, und das Wasser spiegelt ihn, die Sonne wandert von Ost nach Westen und schnell vergehen die Tage. Ich fahre und sehe in die Karte, ich muss mich orientieren und auf den Fluss achten, auf treibende Äste, auf überspülte Buhnen und große Steine, auf die Großschifffahrt und auf die schnellen Motorboote und ihre kleinen, tückischen Wellen, auf Strömungen und Strudel. Das Wasser drückt gegen das Boot, manchmal schlägt es wie mit Fäusten gegen die Gummihaut und drückt gegen das Ruder, das Boot erzittert in den Wellen und gleichmäßig bewege ich das Paddel, links, rechts, links, immer wieder, stundenlang.
Es beginnt zu nieseln und nach einer Weile wird der Regen stärker, ich ziehe mir die Spritzdecke bis vor den Bauch und streife das Regencape über. Der Himmel und der Fluss sind grau, rings um mich schlagen die Tropfen klein und weißperlend aufs Wasser und der Regen rauscht nieder. Ich lasse mich treiben und steuere das Boot lediglich mit dem Ruder, ein Graureiher hockt mit eingezogenem Kopf auf einem toten Baum, der im Wasser liegt, und der Regen hüllt mich ein, ich kann nur ein paar hundert Meter weit sehen und Fluss und Himmel verschwimmen im Grau des Horizonts. Wasser läuft durch kleine Ritzen ins Boot und unter das Regencape, nach einer Stunde bin ich durchnässt und durchgefroren und paddle eine Stunde ohne Pause, um wieder warm zu werden. Aus den Bergen dampft es.
Das Regencape ist eine leuchtendgelbe Plastikhaut und wenn ich die Ärmel hochkremple, dann sieht es von Weitem ganz bestimmt so aus als ob ich eine Schwimmweste trage, denke ich, als ich zum Schleusentelefon gehe und anrufe. Die Männer sitzen im Turm, wegen des Regens kommen sie nicht heraus und ich werde problemlos geschleust.
Am Abend lege ich am Ruderklub Linz an und trage das Gepäck die Treppe hinauf zum Haus.
Im Garten liegen ein paar Boote im Gras, daneben stehen drei Zelte. Ich gehe ins Haus und sehe einen Mann in dem großen Saal, in dem unzählige Kajaks und schlanke, hölzerne Ruderboote auf langen Gestellen liegen, die bis zur Decke reichen.
»Hallo«, sage ich. »Ich wollte fragen, ob ich hier übernachten kann.«
»Auf der Wiese, neben den anderen Zelten. Die Übernachtung kostet fünf Euro und die Duschen sind da hinten«, sagt er und deutet auf eine Tür. »Jetzt haben wir viel Platz. Es sind nur ein paar Camper hier. Vor drei Wochen war die TID bei uns, da war alles belegt. Das ist immer ein fester Termin, Anfang Juli kommt die TID.« Die TID, die Tour International Danubien, findet seit 1956 statt und ist die längste Kanu- und Ruderregatta der Welt. Jedes Jahr starten Ende Juni mehr als hundert Teilnehmer in Ingolstadt und fahren nach Sfântu Gheorghe am Schwarzen Meer. Dabei legen sie täglich Strecken von dreißig bis sechzig Kilometern zurück und Mitte September erreichen sie ihr Ziel.
»Und du«, fragt er und sieht mich an. »Warum fährst du allein? Warum fährst du nicht mit der TID?«
»Ich glaube«, sage ich, »dass man in einer Gruppe weniger mit den Leuten in Kontakt kommt als allein. Und ich möchte wissen, wie die Menschen entlang der Donau leben. Mich interessiert, was sie von ihren Nachbarn, die zehn, hundert oder tausend Kilometer entfernt leben, wissen. Ob die Donau sie verbindet.«
»Viel Glück«, sagt er und nickt. »Aber pass auf dich auf! Alleine ist es auch viel gefährlicher als in der Gruppe.«
Dann geht er.
DER REGEN HAT DIE DONAU anschwellen lassen. Um etwa zwanzig Zentimeter ist der Pegel über Nacht gestiegen und im Fluss treiben Zweige, Äste und ein ganzer Baumstamm. Das Wasser ist aufgewühlt und schlammigtrüb und scheint schneller zu fließen, aber es regnet nicht mehr und ich hole meine Sachen, steige ins Boot und fahre weiter.
Am rechten Ufer liegt ein Industriegebiet, ich fahre unter den Straßen- und Eisenbahnbrücken von Linz hindurch und das Wasser reflektiert das gelegentlich zwischen den Wolken durchscheinende Sonnenlicht in hellen Flecken an die Unterseite der stählernen Konstruktionen.
Nach zwei Schleusen – das Regencape geht auch heute beide Male problemlos als Schwimmweste durch – und 53 Kilometern erreiche ich am Abend Grein, ein kleines Städtchen in der Bucht einer Flussbiegung. Hinter dem Ort erheben sich bewaldete Berge und am gegenüberliegenden Ufer stehen Felsen.
Im Yachthafen lege ich an und gehe den Hügel hinauf zu einem Haus, vor dem zwei Männer und eine Frau auf der Terrasse sitzen. Sie sind etwa fünfzig Jahre alt, sie tragen teuer aussehende Segelkleidung, wollene Markensweatshirts und helle Hosen, und vor ihnen steht eine Flasche Wein auf dem Tisch.
»Ah, an Kanute!«, sagt einer der Männer,