Schwarze Krähen - Boten des Todes. Carolina Dorn. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Carolina Dorn
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Зарубежные детективы
Год издания: 0
isbn: 9783961455164
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war ein Findelkind. Sie lag einst zu Weihnachten, in der Heiligen Nacht, in der Krippe unserer Kapelle. Ein Neugeborenes, nur in ein Badetuch gehüllt. Unsere Kapelle wurde zu dieser Zeit noch nicht beheizt, deshalb war es sehr kalt dort und das Kind erkrankte anschließend sehr schwer, so dass keiner mehr glaubte, dass es überleben würde. Aber, wie durch ein Wunder, wurde sie gesund. Sie ist hier im Waisenhaus aufgewachsen und hat sich dann mit fünfzehn Jahren entschieden Nonne zu werden. Christin hat fleißig gelernt und ist eine meiner besten Pflegekräfte, was die Krebspflege betrifft. Deshalb erlaube ich ihr auch über Nacht und, wenn es sein muss, über mehrere Monate bei schwerkranken Patienten zu bleiben. Ich kann ihr fest vertrauen, wenn sie eine Tätigkeit über lange Zeit außerhalb der Klostermauern beansprucht, denn sie ist vor allem äußerst stark im Glauben“, erklärte die Oberin.

      Die Tante und der Neffe hatten sich lange nicht gesehen und so blieben sie noch eine Zeitlang zusammen, um Erlebnisse auszutauschen. Dadurch erfuhr die Tante, dass Gordon im Moment keine Anstellung hatte. Er hatte seine Stelle als Kinderarzt in einer Vancouver Kinderklinik gekündigt, um seinem Freund beizustehen. Sie rechnete ihm das hoch an. Da kam ihr eine Idee.

      „Du hast keine Arbeit, sagtest du?“, forschte sie nach.

      „Ja, die Entfernung von meinem Arbeitsplatz in Vancouver bis zu Brandon betrug viele Meilen, die ich nicht ständig fahren konnte“, antwortete Gordon.

      „Nun, ich könnte gerade einen Kinderarzt brauchen. Unser langjähriger Kinderarzt ist krank und schon siebzig Jahre alt. Er sollte in den Ruhestand gehen und nicht mehr arbeiten. Wenn du möchtest, kannst du dir die Kinderklinik gleich einmal ansehen“, machte sie es ihm schmackhaft.

      „Wenn das möglich wäre“, überlegte er. „Dann würde ich auch nicht allzu weit entfernt von meinem Freund sein.“

      Die Oberin rief eine Schwester auf der Kinderstation an. „Gleich wird dir Schwester Melissa, die Stationsschwester, die Klinik zeigen“, lächelte sie ihrem Gast zu.

      Kurze Zeit später öffnete sich die Türe und die Schwester im völlig schwarzen Habit trat ein.

      Gordon erhob sich, um sie zu begrüßen. Da traf es ihn wie ein Stromschlag, als er sie erblickte. Groß gewachsen, schlank, jung, ein unwahrscheinlich liebliches Gesicht und eine Hautfarbe wie heller Milchkaffee, denn sie war ein Mischling zwischen schwarz und weiß. Gordons Verbeugung fiel etwas ungelenk aus, während die Oberin Melissa den Wunsch ihres Gastes mitteilte.

      „Oh ja, natürlich führe ich Sie gern durch die Kinderklinik“, bestätigte sie mit einer angenehm leisen Stimme und einem Lächeln.

      „Kommen Sie mit mir“, forderte sie Gordon auf.

      Ja, dachte er. Mit dir würde ich überall hingehen. Ich muss diese Stelle hier bekommen. Damit ich immer in deiner Nähe sein kann.

      Mit einem frohen Lächeln auf den Lippen führte sie ihn herum. Man sah und fühlte, dass sie ihre Arbeit sehr gern, mit Herz und viel Liebe bei den kleinen Patienten verrichtete. Gordon bemerkte auch, dass die kranken Kinder sie sehr gern hatten. Melissa stellte Gordon auch den alten Kinderarzt Dr. Henry Clark vor. Dieser reagierte allerdings etwas griesgrämig.

      „So, Kinderarzt sind Sie? Wollen mir wohl meinen Platz hier streitig machen, weil ich nicht mehr der Jüngste bin? Deshalb gehöre ich noch lange nicht zum alten Eisen. Ich habe dafür nämlich viel mehr Erfahrung als ihr jungen Hüpfer“, gab er ihm gleich zu verstehen, dass er nicht vorhatte so schnell das Feld zu räumen.

      Er schob seine Brille auf seine Stirnglatze und besah sich Gordon ganz genau. Ein Kranz weißer Haare umrundete seinen Hinterkopf und die Seiten. Den weißen Arztmantel trug er offen, denn sein dicker Bauch sprengte alle Knöpfe.

      „Streitig machen möchte ich Ihren Platz auf keinen Fall. Aber ich hätte da einen anderen Vorschlag: Wir könnten uns die Arbeit teilen. Dann wird keiner überbelastet und zusätzlich kann einer vom anderen noch lernen. Ich bringe Ihnen die Neuerungen und Sie mir Ihre Erfahrungen. So könnten wir uns toll ergänzen“, bot Gordon an.

      „Von den neuen Errungenschaften in der Kinderheilkunde halte ich nicht viel.“ Der alte Arzt machte eine wegwerfende Handbewegung. „Die alten haben sich immer noch am besten bewährt.“

      Während der Unterhaltung beobachtete Gordon, wie dem alten Arzt die Hände zitterten. Nachdem sie sich verabschiedet und sich ein Stück von ihm entfernt hatten, blieb er stehen und wandte sich an die Ordensschwester.

      „Trifft er eigentlich noch eine Vene, mit seinen zittrigen Händen?“, erkundigte er sich leise.

      „Selten, meistens legen wir die Infusionen und geben die intravenösen Spritzen. Es wäre sehr schön, wenn Sie bei uns arbeiten würden. Dann müssten wir nicht täglich sein griesgrämiges Gesicht sehen und seine Launen ertragen. Ich glaube nicht, dass er noch lange bleibt“, antwortete Melissa.

      „Dr. Clark hat Parkinson?“, hinterfragte Gordon vorsichtig.

      „Ja, Sie haben es richtig erkannt, aber er will es nicht wahrhaben.“ Dabei sah sie ihn mit strahlenden, dunklen Augen an. Ihm lief es eiskalt den Rücken hinunter. Warum muss dieses Geschöpf ausgerechnet eine Nonne sein, wenn ich mich schon einmal verliebe? dachte er. Denn dass er sich in sie verliebt hatte, wurde ihm sofort klar.

      Melissa brachte den Arzt zur Oberin zurück. Sie verabschiedete sich und verschwand ebenso leise, wie sie gekommen war. Bevor sie jedoch die Türe hinter sich schloss, drehte sie sich noch einmal um und lächelte ihm zu.

      „Und, Gordon? Hast du dich schon entschieden?“, riss die Tante ihren Neffen aus seinen Gedanken.

      Ihre Augen erspähten bereits das sanfte Lächeln auf seinen Lippen und ebenso den besonderen Glanz in seinen Augen.

      „Ja, ich werde dein Angebot annehmen. Wenn Schwester Christin Brandon betreut, braucht er mich nicht mehr so oft. Ich würde mich dann nur langweilen“, antwortete er. „Möchtest du meine Zeugnisse sehen?“, bot er ihr an.

      „Nein, das muss nicht sein. Ich glaube, du bist auch so ein guter Kinderarzt. Wenn du willst, kannst du sie ja beim nächsten Mal mitbringen. Solange du die Kinderklinik besichtigt hast, habe ich mir erlaubt bei deiner letzten Arbeitsstelle Erkundigungen über dich einzuholen. Sie waren alle voll des Lobes über dich und sie bedauern es sehr, dass du so plötzlich gekündigt hast“, erklärte ihm die Oberin.

      „Na, na, Tante, übertreib mal nicht“, wehrte Gordon ab.

      „Stell dein Licht nicht unter den Scheffel. Sie wollten dir demnächst den Chefarztposten anbieten und den bekommt man bestimmt nicht so ohne weiteres in deinem Alter. Tja“, sie zuckte mit den Achseln. „Gerade da hast du deinen Hut genommen“, berichtete sie weiter.

      „Das habe ich nicht gewusst“, antwortete er völlig tonlos.

      „Hättest du dann nicht gekündigt?“, wollte die Tante gespannt wissen.

      Der Arzt überlegte kurz. „Doch, ich hätte es trotzdem getan. Ich wollte meinem Freund beistehen. Mir ist der Mensch wichtiger, als das Geld, das ich dann mehr bekommen hätte“, bestätigte er voller Ehrlichkeit. „Mein Freund ist vier Jahre jünger als ich und wir kennen uns seit Kindertagen. Mir graut vor dem Tag, an dem er mich verlässt.“ Beim letzten Satz wurde er immer leiser.

      „Siehst du? Genau das wollte ich von dir hören“, atmete sie erleichtert auf. Sie war sich sicher, dass sie den richtigen Mann gefunden hatte für ihre Kinderklinik.

      „Gut, dann werde ich den alten Clark mal langsam aus dem Verkehr ziehen“, überlegte die Oberin.

      „Nein, Tante Rose, das würde ich nicht tun“, wehrte Gordon ab. „Lass ihn solange er möchte seine Arbeit verrichten. Ich habe das Gefühl, er braucht es, auch wenn er ziemlich tatterig ist. Eines Tages wird er es selbst begreifen, wenn es nicht mehr geht.“

      „Schön, wenn du meinst mit ihm klarzukommen? In manchen Dingen ist er nämlich ganz schön bockbeinig und er kann zu einem richtigen Kotzbrocken werden“, warnte sie ihn.

      „Keine Sorge,