Schwarze Krähen - Boten des Todes. Carolina Dorn. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Carolina Dorn
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Зарубежные детективы
Год издания: 0
isbn: 9783961455164
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zu ihrem Patienten zu fahren. Sie fühlte sich wieder stabil und gestärkt, hatte praktisch wieder Boden unter den Füßen gewonnen, so dass sie sich sicher war, keine Panik mehr zu bekommen, wenn sie Brandon in die Augen sah.

      Als sie in „Twenty-Two-Oaks“ ankamen, zeigte die Uhr in der Küche dreiundzwanzig Uhr an. Alle Hausbewohner hatten bereits ihre Betten aufgesucht, als Gordons Handy klingelte. Er sprach nur ganz kurz, dann wandte er sich mit sorgenvoller Miene zu Christin.

      „Melissa hat vorzeitige Wehen bekommen. Ich muss sofort zurück zu ihr“, unterrichtete er sie.

      „Ja, fahr nur zu ihr. Sie braucht dich jetzt am allermeisten. Danke, dass du mich hergefahren hast.“ Christin begleitete ihn noch nach draußen.

      Sie sah ihm nach, wie er ins Auto stieg und die lange Auffahrt hinunterfuhr. Sie werden ein schönes Paar abgeben, überlegte sie. Melissa hat bestimmt den richtigen Mann an ihrer Seite. Höflich, gebildet, rücksichtsvoll, kinderlieb und vor allem überaus liebevoll ihr gegenüber. Langsam löste sie sich aus der Erstarrung, dass ihre Freundin nun einen Mann und bald eine Familie haben würde. Wenn sie nach dieser Pflege ins Kloster zurückkehrte konnte es sein, dass es sehr einsam um sie werden könnte, denn mit den anderen Ordensschwestern verkehrte sie nicht in so einem engen Kontakt wie mit Melissa. Immer noch nachdenklich löschte sie das Hauslicht und begab sich leise, um keinen zu wecken, in ihr Zimmer. Bevor sie sich niederlegte, warf sie noch einen Blick auf ihren Patienten. Doch der schlief fest.

      Es mochte wohl so zwischen zwei und drei Uhr früh sein, als die Hausbewohner von „Twenty-Two-Oaks“ ziemlich unsanft von lautem Geschrei geweckt wurden. Christin sprang aus dem Bett und warf sich rasch ihren Morgenmantel über. Ihre Schuhe fand sie in der Eile nicht, also ging sie barfuß. Auch zum Schließen des Morgenmantels blieb keine Zeit mehr.

      Das Geschrei ging einem durch Mark und Bein. Christin schaltete nur eine kleine Lampe neben ihrem Bett an. Sie stürzte in Brandons Zimmer. Abrupt verstummte das Geschrei.

      „Ein Engel“, krächzte er.

      Da nur eine Lampe brannte und Christins Gestalt von hinten beleuchtet wurde, sah es tatsächlich so aus, als stünde da ein Engel. Das bodenlange weiße Nachthemd, die weiten Ärmel des Morgenmantels und die dicken, langen, gewellten und teilweise gelockten dunklen Haare, die ihr bis über die Hüften reichten, trugen dazu bei. Und wie alle Engel trug sie auch keine Schuhe an ihren Füßen.

      „Was tust du auf dem Fußboden, Brandon?“, erschrak sie.

      Er jedoch starrte sie weiter an. „Christin, bist du das? Oder bist du wirklich ein Engel?“, äußerte er sich völlig durcheinander.

      „Ich bin schon Christin“, antwortete sie und kam ein paar Schritte näher zu ihm.

      „Ich bin aus dem Bett gefallen“, erklärte er.

      „Du bist noch nie aus dem Bett gefallen“, wunderte sie sich und kniete sich neben ihn.

      „Ich habe in letzter Zeit sehr wilde Träume. Vor allem, seit du mich verlassen hast. Aber jetzt wird alles wieder gut, weil du zurückgekommen bist und bei mir bist.“ Er sprach sehr schnell und beinahe atemlos. Anschließend verzog er schmerzlich sein Gesicht.

      „Hast du Schmerzen?“, erkundigte sie sich.

      „Ja.“ Er knirschte so sehr mit den Zähnen, dass sie es hören konnte. „Vor allem im Rücken.“

      Er lag sehr unglücklich auf dem Bauch, wie ein gestrandeter, breitgetretener Frosch.

      „Ich kann dich nicht umdrehen“, ließ ihn Christin wissen. Sie versuchte es ihm etwas bequemer zu machen, indem sie ihm ein Kissen unter den Kopf stopfte. Dann deckte sie ihn mit seiner Bettdecke zu, als er plötzlich nach ihrer Hand griff. Erschrocken hielt sie inne.

      „Ich fühle meine Füße“, flüsterte er. „Christin, ich spüre meine Beine. Oh mein Gott, hilf mir, dass dieses Gefühl nicht wieder vergeht. Nein, nein, jetzt wird der Schmerz wieder unerträglich!“, jammerte er und krallte seine Finger in das Kissen.

      Sie erhob sich und schaltete zuerst das Licht an. Dann richtete sie eine Infusion mit einem starken Schmerzmedikament her, die sie ihm in die linke Armvene infundierte.

      In der Zwischenzeit kamen Richard und Doreen ins Zimmer gehastet, die durch den Lärm geweckt worden waren.

      „Brandon, Junge, was ist geschehen?“, rief Richard erschrocken, als er ihn auf den Fußboden liegend vorfand.

      Christin antwortete für ihren Patienten, der nur schwer atmend dalag.

      „Er ist aus dem Bett gefallen und jetzt hat er sehr starke Schmerzen im Rücken. Wir brauchen dringend einen Notarzt und einen Rettungswagen. Kann den bitte jemand besorgen?“, bat sie.

      Richard lief sofort nach unten in die Halle, um zu telefonieren. Es dauerte auch gar nicht lange, bis der Arzt kam. Dieser untersuchte Brandon kurz und meinte: „Ich fürchte eine Einblutung zwischen den Wirbeln. Er muss sofort in ein Krankenhaus.“

      Zwei Sanitäter kamen und betteten den großen Mann fachgerecht auf eine Spezialtrage für Querschnittsgelähmte. Christin musste sich beeilen, um in ihre Tracht zu kommen. In Windeseile rannte sie die Treppe hinunter und erreichte den Rettungswagen gerade noch rechtzeitig, um mitzufahren. Die Sanitäter schlossen die Türen und schon ging es los mit Blaulicht. So eine wilde Fahrt erlebte die junge Ordensschwester in ihrem ganzen Leben noch nicht. Selbst der Haltegurt im Wagen schützte sie kaum. Sie wurde so herumgeschleudert, dass sie die blauen Flecken hinterher gewiss nicht mehr alle zählen konnte.

      „Hallo!“, rief sie. „Können Sie nicht etwas vorsichtiger fahren? Der Patient hat eine schwere Rückenverletzung, die durch dieses Rütteln noch verstärkt werden könnte. Am Ende ist er dann tatsächlich querschnittsgelähmt!“

      „Der Notarzt hat uns befohlen, so schnell wie möglich in ein Krankenhaus zu fahren! Er sagte uns, es eilt! Außerdem sind nicht wir an dieser unruhigen Fahrt schuld, sondern der Straßenbelag!“, rief einer der Sanitäter zurück, um die Sirene auf dem Dach des Fahrzeugs zu übertönen. Christin versuchte währenddessen verzweifelt ihren Patienten mit beiden Armen in der Körpermitte einigermaßen ruhig zu halten und zu stützen. Es war ein sehr mühsames Unterfangen, doch sie gab nicht auf. Unter anderem rutschte auch noch die Infusionsflasche aus der Verankerung und traf Brandon am Kopf. Christin wollte es verhindern, landete jedoch bei dem Gerüttel auf seiner Brust. Ihr Patient stöhnte nur noch vor sich hin.

      „Ich habe doch schon genug Kopfschmerzen und jetzt bekomme ich nicht einmal mehr genügend Luft“, schnaufte er.

      Haltsuchend hangelte sich Christin zu ihrem Sitz und hängte die Infusion wieder auf. Dazu brauchte sie allerdings drei Versuche. Ein Hubschrauber wäre wohl besser gewesen, als so eine unsanfte Fahrt. Ich hoffe, es schadet seinem Rücken nicht noch mehr, ging es ihr durch den Kopf.

      Nach einer Stunde Fahrt erreichten sie schließlich ein Krankenhaus in Vancouver. Man rollte Brandon auf seiner Trage durch endlos lange, beleuchtete Korridore und von einem Aufzug zum anderen. Christin mühte sich ab, den Sanitätern zu folgen. Sie fühlte sich sehr wackelig auf den Beinen nach dieser Höllenfahrt. Schließlich bogen die Sanitäter mit der fahrbaren Trage um eine Ecke und schoben ihn durch eine sich selbst öffnende Glastür in einen Untersuchungsraum. Im Raum öffnete sich eine weitere Türe und ein ziemlich müde wirkender Arzt in einem zerknitterten, weißen Kittel mit zerknautschten schwarzem Haar erschien gähnend. Christin reichte ihm die Papiere, die der Notarzt ausgefüllt hatte. Er setzte eine Brille auf und überflog kurz die Diagnose.

      „Hm ja. Eine Wirbelverletzung“, brummte er vor sich hin.

      Jetzt endlich stellte er sich vor. „Ich bin Doktor Porter. Ich denke, wir machen erst einmal ein CT (Computertomogramm), um einen Überblick über die Verletzungen zu bekommen.“ Dann begann er ziemlich blöde zu grinsen, als er weiterlas. „Sie sind aus dem Bett gefallen?“

      Brandon nickte nur zustimmend.

      „Wie geht das, wenn man gelähmt ist?“, erkundigte sich der Arzt und blickte über den Brillenrand.