Schwarze Krähen - Boten des Todes. Carolina Dorn. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Carolina Dorn
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Зарубежные детективы
Год издания: 0
isbn: 9783961455164
Скачать книгу
nicht zur Ruhe. Brandon tobte, er schrie und schlug heftig um sich.

      Doreen hielt sich nachts das Kopfkissen über den Kopf. Sie konnte sein Geschrei, das durch das gesamte Haus hallte, kaum noch ertragen.

      „Was tut diese Pflegerin nur mit ihm? Schlägt sie ihn? Oder lässt sie ihn verhungern und verdursten? Wenn das noch länger dauert, ziehe ich aus“, jammerte sie ihrem Mann vor.

      Nach einer Woche wagte sich das Ehepaar vorsichtig zum ersten Mal wieder in das erste Stockwerk. Sie fanden die Nonne vor Brandons geschlossener Zimmertüre auf dem Fußboden sitzen, neben sich ein Gebetbuch aufgeschlagen liegen. Die Beine hatte sie angezogen und mit den Armen umschlang sie ihre Knie. In ihrem völlig übernächtigten Gesicht fanden sie Tränenspuren. Es herrschte tiefe Stille. Eine beängstigende Stille.

      „Was ist geschehen? Ist er gestorben?“, erkundigte sich Richard mit vor Schreck geweiteten Augen.

      „Nein, um Himmels willen“, antwortete die Nonne. „Ich denke, er hat den schlimmsten Teil der Entzugserscheinungen hinter sich, bis vielleicht noch auf einzelne, kleinere Ausbrüche.“

      „Haben Sie so etwas schon öfter tun müssen?“, informierte sich der Hausmeister.

      „Nur einmal bisher aber das hier übersteigt sogar meine Kräfte. Ein Glück, dass er nicht aufstehen kann, sonst wäre er gewiss aus dem Fenster gesprungen. Jetzt ist er etwas ruhiger geworden. Ich hoffe, die Krise ist vorüber. Er wird nun lange schlafen, denn diese Tobsuchtsanfälle verlangten ihm alle Energie ab, die er noch in seinem Zustand zur Verfügung hatte.

      An diesem Tag wurde endlich das Spezialbett geliefert, das Christin vom Kloster anforderte. Von nun an brauchte sie nur auf einen Knopf zu drücken und das obere Teil des Bettes senkte sich auf das untere und drehte sich mitsamt dem Patienten und dem Bettzeug um. So schonte sie ihren Rücken und seinen ebenfalls.

      Tatsächlich wurde Brandon ab jetzt wieder ruhiger. Christin lagerte ihren Patienten Tag und Nacht in seinem Bett um, damit der Dekubitus abheilte. Nach einer Woche endlich kam der sichtbare Erfolg. Man sah, dass sich die Wunde schloss und abheilte. Nur sein Allgemeinzustand gefiel ihr nicht. Er aß wieder weniger, schlief sehr viel und die Schmerzen kehrten wieder heftig in seinen Körper zurück.

      Trotzdem servierte ihm die Pflegerin immer wieder kleine Mahlzeiten. Er jedoch schob den Teller zurück. „Ich habe keinen Hunger. Bitte nehmen Sie es wieder mit“, bat Brandon matt.

      „Wenn Sie gesund werden möchten, brauchen sie Kraft, um die bösartigen Zellen zu besiegen“, widersprach Christin.

      „Ich werde nicht mehr gesund, ich sterbe“, entgegnete er, fest davon überzeugt. „Hören Sie das Geschrei da draußen? Da sind sie wieder, die schwarzen Krähen. Diese Vögel kommen immer noch jeden Tag. Sie kreisen um die alten Eichen und warten auf meinen Tod.“

      Ein Vogel setzte sich wieder auf das Fensterblech und klopfte mit dem Schnabel gegen das Fenster. Ob es wohl der gleiche war wie neulich?

      „Sehen Sie? Jetzt klopft er schon an, um mich zu holen“, machte er ihr begreiflich. Sein Gesicht glänzte vor kaltem Schweiß und er zitterte am ganzen Körper.

      „Aber nein, Mr. Stonewall. Der Vogel hat sich nur verirrt. Er will Sie gewiss nicht holen. Er testet das Glas nur, ob er hindurch fliegen kann. Er will schließlich keinen Genickbruch riskieren“, lächelte sie milde. „Warum? Warum sterben? Haben Sie noch Schmerzen im Moment?“, wollte sie wissen. „Ich nehme Ihnen die Schmerzen und solange meine Medikamente noch anschlagen, ist es noch nicht zu spät. Sie torpedieren meine ganze Arbeit! Etwas müssen Sie auch dazu leisten! Essen Sie wenigstens die frischen Himbeeren. Der Krebs mag keine Himbeeren, wissen Sie das nicht?“, versuchte sie ihn zu ermuntern.

      Sehr zaghaft und mit langsamen Bewegungen nahm er eine Beere nach der anderen und schob sie sich unter ihrer Aufsicht in den Mund. Sie blieb so lange bei ihm stehen, bis er die letzte Himbeere gegessen hatte.

      „Sind Sie jetzt zufrieden?“, murrte er.

      „Ja, heute bekommen Sie sogar ein Lob von mir“, gab sie lächelnd zur Antwort.

      Als der behandelnde Arzt ihn am nächsten Tag nach langen Wochen wieder einmal besuchte, nahm er Blut ab, um es untersuchen zu lassen. Die Zeitabstände, in denen er bei Brandon erschien, wurden auch immer länger. Er klopfte Brandons Rücken ab und hörte die Lunge mit dem Stethoskop ab. Er tat das sehr genau und intensiv. Dann richtete er sich auf, legte sich das Instrument um den Nacken und stemmte seine Fäuste in die Hüften.

      „Zum Teufel! Wo in aller Welt ist das ganze Wasser in der Lunge hin? Ich höre nichts mehr“, wunderte sich der Arzt. Er sah auf und entdeckte eine steile Falte auf der Stirn der Nonne stehen.

      „Oh, Verzeihung Schwester“, entschuldigte er sich.

      „Ist wohl verdampft“, murmelte Brandon in sein Kissen, denn er lag auf dem Bauch.

      „Ich kann mir das nicht erklären. Normalerweise wird es nach jeder Punktion etwas mehr“, er schüttelte den Kopf. Nachdenklich packte er sein Stethoskop wieder weg. Dann richtete er sich auf und wandte sich an Christin: „Schwester, Sie wissen sicher, dass der Patient Wunschkost bekommt?“

      Sie öffnete ihren Mund, um ihm von ihrer Vollwertkost zu berichten: „Ich gebe …“, doch weiter kam sie nicht, da fiel ihr Brandon ins Wort. „Ich will keine Wunschkost.“

      „Nicht?“, wunderte sich der Professor. „Meinen Sie das Manna dort oben im Himmel schmeckt besser?“, amüsierte er sich.

      „Das weiß ich nicht. Auf jeden Fall möchte ich die spezielle Kost, die mir Schwester Christin persönlich zubereitet, weiterhin behalten. Ihre Gerichte schmecken vorzüglich, denn sie kocht sehr gut und ich habe das Gefühl, dass sie mich stärken und aufbauen“, ließ ihn Brandon wissen.

      „Dann sind Sie also zufrieden mit Ihrer Pflegekraft? Wenn Sie allerdings keine Nonne haben wollen und eine freie Schwester vorziehen, kann ich Ihnen auch eine aus meiner Klinik besorgen“, bot er ihm an.

      „Nein, danke. Das hätten Sie bereits früher tun sollen. Von den anderen Pflegekräften habe ich die Schnauze gründlich voll. Schwester Christin entspricht allem, was eine exzellente Pflegekraft ausmacht. Ich bin absolut zufrieden mit ihr“, antwortete Brandon.

      „Das freut mich zu hören“, entgegnete der Arzt.

      Beschämt über so viel Lob senkte sie ihre Augen und schenkte dem Arzt ein schüchternes Lächeln, das so bezaubernd ausfiel, dass der Professor schmunzelnd zur Antwort gab: „Ja, bei diesem Lächeln müssten sogar die Krebszellen kapitulieren.“ Er packte seine Tasche ein. „Ich komme in zwei Tagen wieder und werde Ihnen dann das Blutergebnis mitteilen.“ Er hielt sich diesmal länger bei Brandon auf, als er eigentlich wollte. Auf der Rückfahrt jedoch ging ihm das verschwundene Wasser nicht aus dem Kopf.

      „Haben Sie etwas mit dem Wasser zu tun?“, informierte sich Brandon bei seiner Pflegerin und blinzelte sie schräg an.

      „Sie bekommen dreimal täglich einen speziellen Krebs-Tee von mir. Es könnte sein, dass er dafür verantwortlich ist. Er ist neu in unserer Apotheke. Ich konnte ihn vorher noch nicht testen“, erklärte sie ihm.

      „Ach ja? Dann bin ich also Ihr Versuchskaninchen?“, beschwerte sich Brandon wütend.

      „Nein, nein, unsere Apotheke verkaufte ihn schon drei Wochen lang. Er wurde im Labor lange Zeit getestet. Sie brauchen keine Angst zu haben, dass er Ihnen schaden könnte. Im Gegenteil, er hat Ihnen doch jetzt die Punktion erspart“, beschwichtigte sie ihn.

      Zwei Tage später erschien der Arzt wieder und teilte ihm schonungslos das niederschmetternde Ergebnis mit: „Die Krebszellen haben sich enorm vermehrt. Wir machen morgen gleich nochmal eine Chemotherapie“, ordnete er an.

      „Wieso das denn auf einmal? Ich dachte, ich bin im Endstadium und Sie hätten mich aufgegeben“, wunderte sich Brandon.

      „Nun, seit dem Sie kein Wasser mehr in der Lunge haben, denke ich, dass wir vielleicht noch eine kleine Chance haben“, erklärte ihm der Professor.