Abbildung 10: Die Geschichte des Damen-Skispringens und ihre Meilensteine in einem Zeitstrahl. Eigene Darstellung.
Knappe zwei Monate nach dem Springen in St. Moritz (1998) fand ein Continental Cup (die zweite Liga im Skispringen) in Schönwald im Schwarzwald statt. Ursprünglich mit zwei Springen für die Herren vorgesehen, erhielten auch hier die Damen eine eigene Starterlaubnis. Auch auf der Adlerschanze siegte Heli Pomell, und zwar in beiden Wettbewerben. Ihre Landsfrau Kristiina Suokas belegte am ersten, Eva Ganster am zweiten Tag den zweiten Platz. Rang drei ging am ersten Tag an Lokalmatadorin Michaela Schmidt, am Folgetag sprang die heute immer noch aktive und erfolgreiche Daniela Iraschko auf eben diesen dritten Rang73.
Im folgenden Sommer wurden die Damen immerhin ins Vorprogramm der Sommer Grand-Prix-Serie der Herren eingebunden und sprangen in Hinterzarten im Schwarzwald, Stams in Tirol und Predazzo im Val di Fiemme. Eine wirkliche, eigene, durchgehende Serie von Wettkämpfen gab es jedoch immer noch nicht. Doch auch hier sollte der Aktivismus der Skispringerinnen-Väter Abhilfe schaffen.
Mit Hans-Georg Schmidt, dem Vater von Michaela Schmidt, sollte sich ein weiterer Vater einer Springerin um das Damen-Skispringen verdient machen. Er war gut mit Dr. Edgar Ganster befreundet, sodass diese Beiden die Entwicklung vorantrieben. Sie wurden bei der FIS vorstellig und erwirkten schlussendlich die Entstehung des 1. FIS-Ladies-Grand-Prix Ski-Jumping. Eine Serie von fünf Springen auf Schanzen in Deutschland und Österreich.
Im Februar 1999 trafen sich bei diesen fünf Springen insgesamt 29 Athletinnen aus neun Nationen, inklusive zweier Japanerinnen74.
Michaela Schmidt dankte ihrem Vater für seinen Einsatz, indem sie das historische erste Springen dieser Serie für sich entschied. Im Wetterchaos von Braunlage im Harz gewann sie nach nur einem Durchgang75. Für die übrigen vier Springen war Schmidt jedoch durch eine Trainingsverletzung außer Gefecht gesetzt76.
Stattdessen erklomm die Österreicherin Ganster bei den drei Springen auf deutschem Boden in Baiersbronn, Schönwald und Rastbüchl das Podest77. Zum Abschluss der Serie wurde im Rahmen der Nordischen Ski-WM in Ramsau am Dachstein gesprungen. Wieder konnte lediglich einer von zwei Durchgängen ausgetragen werden (wegen der durchweichten Anlaufspur).
Als dritte Springerin in diesem Winter konnte die Amerikanerin Karla Keck ein Springen für sich entscheiden78. Die Gesamtwertung der Tournee gewann jedoch Sandra Kaiser mit einem deutlichen Vorsprung von 25,9 Punkten auf Karla Keck. Dritte wurde Kaisers Teamkollegin Daniela Iraschko79.
Interessant bei dem Ganzen ist das Alter der jeweiligen Athletinnen, denn es handelt sich tatsächlich fast ausschließlich um Mädchen.
Das Alter lässt sich anhand der Einträge in die Datenbank der FIS nachvollziehen und somit ergibt sich folgende Altersstruktur:
Siegerin Sandra Kaiser wurde am 2. Februar 1983 geboren80 und war somit gerade einmal 16 Jahre alt, als sie die Gesamtwertung des 1. FIS-Ladies-Grand-Prix Ski-Jumping gewann. Dass die zweitplatzierte Karla Keck (30. Juli 1975)81 mit 23 Jahren die Älteste der sechs Bestplatzierten ist, spricht für die Jugend der Sportart. Vielleicht macht es dadurch die Vorbehalte der FIS-Offiziellen erklärlicher, aber das Alter allein kann keine Rechtfertigung für die Restriktionen sein, die die Damen jahrelang erfahren mussten. Die Drittplatzierte Daniela Iraschko ist die Jüngste von allen in den Top 6 mit ihren 15 Jahren, geboren am 21. November 198382.
In ihrem Jahrgang sind zudem noch die fünftplatzierte Schwedin Helena Olsson (15. November)83 und auch Michaela Schmidt (27. November)84, die durch ihre Verletzung bedingt im Endklassement im hinteren Feld landete.
Bleiben noch Eva Ganster, die Vierte und die Sechste, Izumi Yamada aus Japan. Yamada ist die Drittälteste mit damals 20 Jahren (28. August 1978)85, Eva Ganster wurde kurz nach Saisonende (am 30. März 1978)86 21 Jahre alt.
Da das Skispringen ja auch im Sommer ausgeübt wird, stellte sich nun die Frage, was nach Beendigung des Ladies-Grand-Prix sein würde. Wettkampfpause? Oder war die Serie im Winter bloß ein kurzes Auflodern einer Flamme, die so manch Funktionär bei der FIS nicht entzündet haben wollte? Die nationalen Skiverbände versuchten die Entwicklung voranzutreiben.
Allen voran der Österreichische Skiverband (ÖSV). Angetan von den Leistungen der jungen Damen entschied man sich, einen Nationalkader für die Frauen ins Leben zu rufen. Die erste Frauen-Skisprung-Nationalmannschaft der Welt bestand aus Eva Ganster, Sandra Kaiser und Daniela Iraschko87.
Und Wettkämpfe im Sommer gab es auch: der Skiklub Meinerzhagen (im Sauerland) veranstaltete am 4. und 5. September 1999 Einladungsspringen auf der größten Klub-eigenen Schanze, einer K65.
Die Namen, die in den Ergebnislisten auf den ersten drei Plätzen zu finden sind, sind an beiden Tagen dieselben – lediglich in anderer Reihenfolge88:
Das erste Springen gewann Daniela Iraschko vor Eva Ganster und Karla Keck. Am zweiten Tag behielt Ganster die Oberhand und siegte vor Keck und Iraschko. Einen Monat später fand ein ähnlicher Event auf der Olympiaschanze in Lake Placid (USA) statt, an dem 15 Damen aus unterschiedlichen Nationen teilnahmen89.
Der Hauptfokus sollte jedoch zunächst auf dem Winter und damit auf dem Ladies-Grand-Prix bleiben. Am 5. Februar 2000 gab es eine weitere Weltneuheit im Damen-Skisprung: den ersten Team-Wettbewerb. Heutzutage ist es im Skispringen