So beschloss die Bienenwachskerze, dass sie einmal für die Kirchenmaus ganz allein leuchten wollte. Tatsächlich, eines Abends nach dem Gottesdienst, behielt die Kerze heimlich einen Funken Glut in ihrem Docht, als sie nicht recht ausgeblasen wurde. Als niemand mehr nach ihr sah, fing sie, angefacht durch einen Luftzug, wieder zu brennen an. Als die arme Kirchenmaus sie so in der großen dunklen Kirche sah, konnte sie zunächst keinen Ton herausbringen. Noch nie hatte das Mäuschen die große Kirche so gesehen, die kleine Kerzenflamme verwandelte die Dunkelheit der Kirche in ein wunderbares Spiel aus Licht und Schatten. „Oh, ist das schön!“, piepste das Mäuschen und lief zur Bienenwachskerze hin. In deren Nähe war es ganz hell. Und die arme Kirchenmaus fühlte sich dort bei der Kerze so wohlig warm wie sonst nur im Sommer an einem warmen Stein. „Danke!“, flüsterte das Mäuschen der Kerze zu. „Danke, so schön war es noch nie hier in meiner Kirche.“ Da lächelte die Bienenwachskerze, und fast erschien es der Maus, als würde die Kerze beim Lächeln kleiner.
Lange, lange Zeit saß die Maus bei der Kerze. Warm war es dort, hell und schön. Die arme Kirchenmaus genoss diese Nacht. Ihr war es, als würde sie im Licht und der Wärme der Bienenwachskerze baden. Doch plötzlich erschrak das Mäuschen. „Du bist ja ganz klein geworden!“, piepste es. „Merkst du das erst jetzt?“, erwiderte die Kerze mit leiser Stimme. „Komm, ich will dir ein Geheimnis verraten!“, flüsterte sie. Und das Mäuschen spitzte seine Ohren.
Die Bienenwachskerze begann zu reden: „Mäuschen, Glück ist brennen und vergehen. Verstehst du das?“ Das Mäuschen schüttelte den Kopf. „Nun, was wir zusammen erlebt haben, Mäuschen, das ging nur, weil ich mich nicht gefürchtet habe, kleiner zu werden. Hätte ich eine große, schöne, duftende Bienenwachskerze bleiben wollen, hätte ich nie das Glück in deinen dunklen Mäuseaugen sehen können. Nie hätte ich deine Freude miterlebt, wenn ich den Funken nicht im Docht hätte glimmen lassen und für dich gebrannt hätte. Ohne mein Leuchten wäre die Kirche jetzt dunkel und kalt und nicht warm und erhellt.“
„Das verstehe ich“, sagte die Kirchenmaus. „Weil du brennst und kleiner wwirst, ist es schön für mich, und ich bin froh. Du verschenkst dich mit Licht und Wärme an mich.“
„Das hast du schön gesagt“, erwiderte die kleine Bienenwachskerze. „Ja, ich verschenke mich an dich, damit du glücklich bist.“ Mit großen Augen schaute das Mäuschen die immer kleiner werdende Bienenwachskerze an. „Glück ist brennen und vergehen“, murmelte es. Die Bienenwachskerze nickte und strahlte noch einmal besonders hell. Ihr Lichtschein fiel auf das Gesicht des gekreuzigten Jesus, der aus Holz geschnitzt am Altarkreuz hing. Fast war es der Kirchenmaus so, als habe er gelächelt.
Auch später ging es der kleinen Maus oft so, dass sie in stillen Augenblicken diesen Jesus anschaute, wenn ihr die Bienenwachskerze in den Sinn kam und ihr der Satz einfiel: „Glück ist brennen und vergehen.“
Verfasser unbekannt
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