Und so drehte er auch am Abend des 9. Dezember 1949 wieder seine Runde. Hardenberg-, Schiller-, Schlüterstraße und so weiter. Gewissenhaft hatte er sich aufgeschrieben, welche Häuser in der Hardenbergstraße zerstört waren: 1 bis 5, 13 bis 15, 20 bis 21, 23 bis 24, 27 und 37 bis 42. Die Nummern 1 bis 5 waren die Häuser auf der südlichen Straßenseite zwischen Knie beziehungsweise Bismarckstraße und dem Renaissance-Theater an der Knesebeckstraße, das nur vergleichsweise geringe Schäden aufwies. Albert Steinbock war das egal, ob sie schon wieder und was sie dort spielten, er würde sowieso nie hineingehen. »Ich hab’ schon so genügend Theater.«
Er vermutete, dass die Buntmetalldiebe zu dritt unterwegs waren. Einer stand Schmiere, während die anderen beiden am Sägen oder Abschrauben waren. Es war auch günstig, wenn einer die Taschenlampe hielt oder, war man in Ruinen an der Arbeit, darauf achtete, dass einem nicht alles auf den Kopf fiel. War da eben ein Pfiff gewesen? Er war sich nicht ganz sicher, denn eine Straßenbahn rumpelte vorüber. Wenn, dann musste der Pfiff vom Eckgrundstück Schillerstraße 3 / Hardenbergstraße gekommen sein. Steinbock machte ein paar Schritte und blieb dann stehen, um das Objekt zu mustern. Der ganze Block war zerstört, doch die Trümmer des Vorderhauses waren bereits weggeräumt worden. Seitenflügel und Quergebäude standen aber noch – als Ruinen. Und die Parterrefenster und Kellereingänge waren immer noch nicht zugemauert worden, so dass jeder dort einsteigen konnte. Am Tage die Kinder und nachts das zwielichtige Gesindel, dem Steinbock Kontra bieten wollte. Wieder ein Pfiff? Schwer zu sagen, woher er, wenn überhaupt, gekommen war. Vielleicht von einem Studenten drüben an der Technischen Hochschule.
Oder doch vom Ruinengrundstück an der Ecke? In Albert Steinbock kämpften Jagdeifer und Eigensicherung miteinander. Der erste Antrieb war stärker. Also betrat er das Grundstück und ging mit vorsichtigen Schritten über die rissige Betonplatte wie über dünnes Eis. Jeden Augenblick konnte er einbrechen. Nein, natürlich nicht. Ein Blick nach oben. Die rußgeschwärzten leeren Fensterhöhlen. Ein schauriger Anblick. Er wartete nur darauf, dass die Geister in ihren weißen und wallenden Gewändern erschienen. Das Licht der ohnehin nur matten Laternen vorne auf der Hardenbergstraße reichte schon lange nicht mehr, und er knipste seine Taschenlampe an. Deren Strahl traf den Eingang zum Keller. Von dort her war ein schleifendes Geräusch gekommen. Eine Ratte? Ein Liebespaar, das sich davonschleichen wollte? Ein Landstreicher, der hier auf seiner Decke schlief? Oder aber »seine« Buntmetalldiebe. Alles war möglich.
Die Kellertreppe. Er wagte sich ein paar Schritte hinunter. Angst, ja, die hatte er, aber wer die Ardennen-Offensive überlebt hatte, der … Und dennoch schrie er jetzt auf. Denn vor ihm lag ein Toter. Nein, kein Toter, das hätte ihn nicht so zusammenfahren lassen, denn Tote hatte er viel gesehen, sondern nur der Rumpf eines Menschen. Mit einem Stückchen Hals. Kein Kopf mehr dran, keine Arme, keine Beine. Das war das Entsetzliche.
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