»Sie besaß nicht zufällig einen grünen Bademantel? Danach sieht es nämlich aus, was die Leiche dort drüben trägt«, erkundigte sich Dieber, den Blick auf seine Notizen geheftet.
»Alle hier im Hause besitzen einen grünen Bademantel. Der wird vom Haus gestellt.«
»Schade«, sagte Dieber und schloss den Notizblock. Dann öffnete er ihn wieder. »Nochmal fürs Protokoll«, sagte er streng und sah Jasper dabei an. »In den Malkurs, den Jasper seltsamerweise hier abhält, kam eine ältere Dame gestolpert, die eigentlich tanzen wollte. Doch im Gymnastikraum, in dem der nicht minder seltsame Tanzkurs stattfinden sollte, hatte sie niemanden angetroffen und durch die geöffnete Verandatür hatte die Dame einen Schrei gehört.«
»Das war ich«, warf Colin ein.
Dieber machte sich eine Notiz, während Jasper nur bestätigend nickte. »Daraufhin ließ der Pfarrer seine Schäfchen oder vielmehr Pinseläffchen im Stich, um seinem Freund zu Hilfe zu eilen, den er hier unterhalb der Böschung neben einer stark verwesten Leiche fand. Alles sehr interessant.«
Jasper ergänzte: »Ich habe dann mit meinem Handy die Polizei angerufen. Seit den Ereignissen vor ein paar Monaten trage ich immer ein Handy bei mir. Schließlich weiß man nie, wie es kommt. Apropos vor ein paar Monaten: Wie konnte es geschehen, dass die Dame hier monatelang direkt an der Grundstücksgrenze lag?« Er warf Mr Simms einen fragenden Blick zu.
»Wir hatten doch keinen Grund, hier zu suchen«, antwortete dieser hastig. »Christine war eine gesunde und temperamentvolle Dame. Eine Böschung wieder hinaufzuklettern, wäre für sie kein Problem gewesen. Wir haben sie in ganz England suchen lassen, aber wer rechnet denn damit, dass sie quasi direkt vor der Haustür liegt?«
Jeder, dachte Colin und nahm einen langen Schluck des vorzüglich schmeckenden Kaffees. So ziemlich jeder, möchte man meinen. Ich zumindest würde das denken.
»Und der Geruch? Haben Sie den ganzen Sommer hindurch nichts gerochen?«, fragte Jasper eindringlich. Colin spürte, wie sein Magen erneut rebellierte.
Auch Mr Simms sah jetzt etwas angeekelt drein und schüttelte den Kopf. »Wenn mal die Gartenabfälle müffeln, denkt doch niemand an eine verscharrte Leiche. Was hätten wir denn unter dem Rasenschnitt vermuten sollen?«
»Mir reicht’s«, sagte Dieber und klappte seine Notizen erneut zu. »Kommt ihr klar?«, fragte er Jasper und deutete dabei mit dem Daumen auf Colin, der vermutete, dass er immer noch sehr käsig aussah.
Jasper nickte nur knapp, woraufhin Dieber die drei Männer neben dem Gartenhäuschen ohne ein weiteres Wort stehenließ und strammen Schrittes zu seinem Vorgesetzten eilte. Colin sah ihm nach, wie er über die Liegewiese marschierte. Mit Missbilligung in der Stimme hörte er Jasper sagen: »Mir hat dieser Ton unseres Sergeants gar nicht gefallen.«
»Mir auch nicht. Aber dies hier ist eine Mordermittlung und nicht der Lost Anchor, wo er sich von uns auf ein Bier hätte einladen lassen. Hier muss er seinem Boss imponieren«, antwortete Colin und beobachtete Dieber, der gerade sein Ziel erreicht hatte. Seine Körperhaltung sprach Bände. Colin musste unweigerlich grinsen. »Da ist jetzt jemand aber bitter enttäuscht worden. Anscheinend konnte unser Freund mit seinen Informationen nicht mehr punkten.«
Mr Simms nickte schon wieder eifrig. »Sicher hat auch Mrs Halligan schon von der armen, vermissten Christine erzählt. Wer außer ihr könnte hier draußen schon in einem Bademantel des Heims liegen?«
»Ihnen gehen also nicht öfter alte Damen verloren?«, fragte Jasper.
»Natürlich nicht! Wenn Sie mich jetzt entschuldigen würden. Ich habe Verpflichtungen.« Mit den huschenden Bewegungen eines verängstigten Kaninchens verließ nun auch Mr Simms die Runde. Vermutlich fühlte er sich hinter seinem Empfangstresen am sichersten.
Jasper sah betreten aus. »Jetzt habe ich möglicherweise seine Gefühle verletzt. Dass solch einem ordentlichen und diensteifrigen Menschen wie Mr Simms auch so eine ärgerliche Sache passieren muss. Dabei ist es sogar nachvollziehbar, dass hier niemand etwas gerochen hat.« Jasper deutete auf die zahllosen Zigarettenkippen zu seinen Füßen. »Diese Hütte hier scheint der Treffpunkt aller Nikotinabhängigen von Hodge House zu sein. Wer sich hier aufhält, riecht vermutlich nur Rauch.«
Colin schnüffelte und musste Jasper recht geben. Der offenen Hüttentür entströmte der hartnäckige Geruch kalten Zigarettenrauchs und der Boden rund um die Hütte war vom Orange der Filter gesprenkelt. »Im Moment bin ich eigentlich recht dankbar für diese penetrante Duftnote. Sie duldet keine anderen Gerüche neben sich«, antwortete Colin und deutete in Richtung Böschung, wo die Spurensicherung noch immer ihren Job tat.
»Lass uns gehen. Oder wackeln dir die Knie noch?«, fragte Jasper.
Colin schüttelte den Kopf und erhob sich. Nein, es wackelte nichts mehr. Als er vorhin versucht hatte, die Böschung wieder hinaufzuklettern, hatte das Adrenalin seine Hände und Füße stakkatoartig zittern lassen. Doch das war nun vorbei. Er war wieder fit. Nun, vielleicht nicht fit, aber betriebsbereit. Langsam gingen Jasper und er über die Liegewiese, wo sie vor der Terrassentür des Gymnastikraumes bereits von einer Gruppe älterer Herrschaften erwartet wurden.
Ein Herr mit verfilztem Toupet rief ihnen entgegen: »Dann wird es heute wohl nichts mehr mit den Kursen, hm?«
Colin umfasste seinen Kaffeebecher fester und antwortete so ruhig wie möglich: »Nein, tut mir leid. Ich habe da so ein Problem, wissen Sie? Man nennt es Pietät.«
»Ach, das hatte ich auch mal, das legt sich«, antwortete eine ältere Dame in einem geblümten Seidenkleid und nickte mitfühlend mit dem Kopf. Der Toupetträger murmelte »Halleluja« und verschwand im Innern des Heims. Er gehörte zweifellos nicht zu den freiwilligen Teilnehmern der Freizeitangebote. Waldemar, der Althippie mit der Schleife im Bart, sortierte einige Gänseblümchen rund um seine noch immer brennende Stumpenkerze und summte dabei eine Melodie. Zwei Damen begannen ein Gespräch über die Spätfolgen von Pietät.
Jasper gab Colin einen Stoß mit dem Ellenbogen und flüsterte: »Lass uns verschwinden.«
»Keine Seelsorge, Herr Pfarrer? Sie werden hier womöglich noch gebraucht«, flüsterte Colin in spöttischem Unterton zurück.
Doch Jasper machte keine Anstalten, noch länger verweilen zu wollen, und steuerte auf die Glastür zum Gymnastikraum zu. »Mich gruselt es gerade ein bisschen. Hier sieht keiner wirklich betroffen aus. Dabei wurde gerade eine Leiche am Rande ihrer Liegewiese entdeckt. Lass uns lieber verschwinden, bevor wir auch so werden wie die. Kennst du diesen Film mit den Körperfressern? Vielleicht waren die schon hier.«
»Vielleicht ist der Tod in einem Altenheim auch nicht ganz so schockierend und überraschend«, gab Colin zu bedenken.
»Aber diese Frau wurde ermordet«, antwortete Jasper. »Das muss doch einen Unterschied machen.«
Jasper und Colin betraten die verwaiste Gymnastikhalle, wo Colin seine Utensilien zusammenraffte. Sie waren schon fast in der Tür, als sie hinter sich die hohe Stimme Sergeant Diebers vernahmen.
»Wer hat euch denn erlaubt zu gehen?«
»Du bist zuerst gegangen, schon vergessen? Und falls du oder dein Boss noch Fragen haben, weißt du ja, wo man uns findet«, rief Jasper über seine Schulter zurück und marschierte zur Tür hinaus.
Colin folgte ihm. Sie gingen schnellen Schrittes und ohne sich noch einmal umzusehen zum Parkplatz, stiegen in Mrs Greys Wagen und Colin fuhr los. Er saß aus reiner Gewohnheit hinter dem Steuer und spürte, dass ihm das Lenkrad in seinen Händen ein gutes Gefühl gab. Er war wieder Herr der Lage. Er hatte die Kontrolle. Zumindest über diesen Wagen.
Eine Weile sprachen sie kein Wort. Dann überlegte Jasper laut: »Wenn die Leiche mehrere Monate unter dem Abfall gelegen hat, dann könnte sie zur gleichen Zeit gestorben sein, wie die Opfer unseres letzten Mordfalls. Lässt sich da ein Zusammenhang herstellen?«
Colin